Die Autorin hat zu ihrem genderkritischen Text vor einigen Wochen in der Berliner Zeitung (auch im Blättchen 11/2023) außergewöhnlich viele Rückmeldungen erhalten. Nun reagiert sie darauf.
Anti-Gender-Texte kämen für ihn einer Folter gleich, teilt mir ein Kollege bei dieser Zeitung [der Berliner Zeitung – die Redaktion] mit, er habe das Thema satt, es sei alles ausdiskutiert. Unsere Leser sollten sich mal beruhigen dürfen. Auch der Leser Steffen Kraft erwidert auf meinen genderkritischen Text „Gender-Terror: Die Erziehungsmaßnahmen der Sprachpolizisten nerven!“ vom 11. Mai: „Dieses ewige Rumgeheule der Genderkritiker nervt mich nur noch! Dann lasst es eben! Hört halt nicht hin!“
Als ob das so einfach wäre mit dem Weghören oder Überlesen. Genau das ist doch die Crux, dass viele Menschen vom Inhalt abgelenkt werden, wenn er ihnen in dumpf aufgeblähter, mit Sternen oder Sprechpausen verunstalteter Sprache entgegenkommt. Oder, genauso schlimm, in der vermeintlich „sanften“ Variante, in Konstrukten mit falschen Verlaufsformen wie Zu-Fuß-Gehende und Studierende. Bei mir setzt da ungewollt ein gedanklicher Fluchtreflex ein.
Aber es stimmt, tatsächlich ist alles gesagt über die Gender-Zumutungen. Allein die Berliner Zeitung, die Frankfurter Allgemeine und DIE WELT haben ungezählte gründliche Recherchetexte dazu veröffentlicht. Ich musste für meine Argumente weder in mittelalterliche Sprachgrundlagen einsteigen noch unwissenschaftliche Gender-Studien widerlegen, nicht mal absurde Beispiele sammeln – alles schon erledigt, überwiegend von hochgebildeten Sprachexperten.
Dennoch breitet sich Gendersprache aus wie Unkraut. Nicht, weil sie sich aus sich selbst entwickelt, sondern weil sie von Verwaltungen und Institutionen in forschen Leitlinien angeordnet wird. Weil man sich dort denkfaul dem Druck von Aktivisten beugt. Leser berichten von Professoren, die die Annahme ungegenderter Arbeiten ablehnen. Meine Freundin wird von ihrer Chefin zu einem maßregelnden Arbeitsgespräch einbestellt, weil sie den genderkritischen Text der Berliner Zeitung in den sozialen Medien weiterverbreitet hat. Sie arbeitet in der Zentrale einer Berliner Bank, die eigens eine Mitarbeiterin für „gendersensible“ Fragen beschäftigt.
Dabei ist es klar übergriffig von Ämtern und Institutionen, der Bevölkerungsmehrheit „unsensibles“ oder „ungerechtes“ Deutsch zu unterstellen und dann penetrante Erziehungsmaßnahmen zu verfügen. Alles ohne Argumente, abgesehen vom Gefühl fehlender weiblicher Sichtbarkeit in einer vermeintlich männlichen Sprache.
In einer Flut zustimmender Briefe sehen es Leser genauso – pardon, nicht alle wurden beantwortet. Gerade Frauen aus dem Osten betonen, dass sie einst als Ingenieur oder Ökonom eingestellt wurden und sich unter Männern durchgesetzt haben – in gleichwertiger Arbeit. Sie finden es erniedrigend, sich in sprachlichen Anhängseln wie Ingenieur:innen wiederzufinden. Und kränkend, dass Männer pauschal „in eine Verbrechertüte“ gesteckt werden – hilfreiche Kollegen oder geliebte Männer, die ihnen in der Familie mit Kindern berufliche Weiterbildung erst ermöglicht haben. Statt ominöser sprachlicher „Sichtbarkeit“ verlangen sie gleichwertige Wahrnehmung. So wie Britinnen, für die die Berufsbezeichnungen waitress, actress oder ministress diskriminierend klingen. Sie verstehen sich geschlechterneutral als waitor, actor oder minister.
Alles keine Überlegung wert für Deutschlands Sonderweg selbst in der Gendersprache? Der befördert vor allem eins – die weitere gesellschaftliche Spaltung, die Stärkung rechter Ränder, alles bedrohlich. Noch wurde kein Stoppschalter umgelegt, damit wir zurückfinden zu den wesentlichen Fragen des Lebens. Solange sich derart viele Leser so massiv und emotional hochfahrend von der Gendersprache ausgegrenzt fühlen, sollte ihnen kein Redakteur „Beruhigung“, kein Amt „Sensibilität“ verordnen. Denn nicht die Kritiker haben die Stottersprache erfunden, sie wehren sich nur gegen die Zumutungen von Verwaltungen und öffentlich-rechtlichen Sendern.
Zu Recht! Denn das generische Maskulinum ist ja nur ein harmloser Vorgeschmack auf das, was noch kommt im Sprachstreit um Geschlechterfragen. Allein die Fronten unter Feministinnen sind schon derart verhärtet, dass die Gender-Aktivistin Stevie Schmiedel die Debatte als „einziges Gemetzel“ bezeichnet. Sie versteht sich als Vermittlerin zwischen Jung und Alt, Progressiv und Konservativ, hat ein ganzes Buch über Versöhnung zwischen den Lagern geschrieben, über Verständigung und Kompromisse. Doch selbst sie regt an, nicht mehr von Mann und Frau zu sprechen, sondern nur noch von Menschen mit Uterus oder mit Prostata. Ohne dabei den Kampf gegen Diskriminierungen zu unterbrechen. Keine Ironie, so klingen Vorschläge von der Versöhnerfront. Über die Realisierung solle man dann „in aller Ruhe reden“.
Nein! Darüber ist nicht zu reden. Der Versuch der Tagesschau, den Begriff Mutter durch „Gebärende“ zu ersetzen, war Experiment genug.
Berliner Zeitung (online), 05.06.2023. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des Verlages.
Schlagwörter: Birgit Walter, Gendersprache