Der am 25. April 96-jährig verstorbene Sänger, Schauspieler und sozialistische Bürgerrechtler Harry Belafonte war eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des amerikanischen Kulturlebens wie auch der Musik und Schauspielkunst im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert.
Er wurde am 1. März 1927 in Harlem, New York City, in einer aus Jamaika stammenden Familie geboren. Während seine Mutter Melvine geb. Love afro-jamaikanischer Herkunft war, stammte sein Vater Harold George Bellinfanti Sr., von Beruf Koch, der auch als Seemann arbeitete, aus einer schwarz-weißen Familie: Dessen jüdischer Vater war niederländisch-sephardischer Abstammung. Harry Belafontes teilweise jüdische Herkunft sensibilisierte ihn ebenso für drängende Probleme des Rassismus wie seine Hautfarbe, die ihn in den USA als Schwarzen auswies.
Er wuchs in Harlem, doch zwischen 1935 und 1940 auch in Jamaika auf. „Ich wurde in Armut hineingeboren“, schrieb Belafonte 2011 in seiner (mit Michael Schnayerson verfassten) Autobiografie „My Song“. Armut habe sein Leben geprägt, und tief in seiner Seele denke er, dass Armut ihn noch heute definiere, da er im materiellen Reichtum lebe. Deshalb gelte es, Solidarität mit den Ärmsten und den Schwächsten der Gesellschaft zu üben.
Das künstlerisch hochbegabte, doch durch Legasthenie behinderte Kind erfuhr früh Anregungen durch den afro-amerikanischen Jazz, den karibischen Calypso und andere Formen der westindischen Folklore wie durch die moderne hebräische Populärkultur; musikalische Formen, die er sich mit eiserner Energie aneignete.
1944 verließ Belafonte die High School und diente kurz bei der Marine, ohne jedoch zum Kriegseinsatz zu gelangen. Danach lebte er in New York zunächst von verschiedenen Gelegenheitsjobs, so war er Hilfsportier in einem Bekleidungsgeschäft, bevor er im American Negro Theater für das Stück „Home is the Hunter“ aushilfsweise für eine Nebenrolle verpflichtet wurde. Diese Erfahrung bewog ihn, sich für einen Schauspielkurs, Erwin Piscators Dramatic Workshop an der New School for Social Research, anzumelden. Er wurde angenommen und absolvierte seine berufliche Ausbildung zusammen mit Bea Arthur, Marlon Brando, Tony Curtis, Judith Malina, Walther Matthau, Rod Steiger und Elaine Stritch. Zum politischen Vorbild aber wurde ihm der Kommunist Paul Robeson, den er im Theater kennengelernt hatte. Zugleich sang Belafonte in Jazzclubs und erhielt seine ersten Plattenverträge. Interpretierte er zunächst Jazz- und Popmusik-Standards wie „Whispering“ und „Smoke Gets In Your Eyes“, verschmolz er bald solche Musik mit karibischen Elementen zu einer eigenständigen Interpretation. 1956 erreichten seine Alben „Belafonte“ und „Calypso“, das zweite und dritte seiner 30 Studio-Alben, die ersten Plätze der Billboard-Charts. Sein größter Calypso-Hit, der Banana Boat Song“, handelt von der harten Arbeit beim Beladen von Frachtschiffen.
Schon 1955 war ihm mit der Titelrolle in Otto Premingers „Carmen Jones“ auch der Durchbruch in Hollywood gelungen. An der Seite von Dorothy Dandridge (die von Preminger künstlerisch und sexuell ausgebeutet wurde) wirkte er in einem Film, in dem – erstmals überhaupt in Hollywood – ausschließlich schwarze Schauspieler auftraten. 1957 behandelte „Island in the Sun“ (deutscher Titel „Heiße Erde“), in dem Belafonte den Titelsong sang, rassistische Spannungen auf einer fiktiven Insel. Dass neben Belafonte mit James Mason und Joan Fontaine die anderen Hauptrollen mit Weißen besetzt wurden, war damals im Filmgeschäft die Ausnahme. Auch „Odds Against Tomorrow“ (Wenig Chancen für morgen) behandelte 1959 das Thema des Rassismus. Im gleichen Jahr spielte Belafonte die Hauptrolle in „The World, the Flesh and the Devil“, einem nicht in den deutschen Verleih gelangten Film, der in New York nach einer Atomkatastrophe handelt. Dies inspirierte den Künstler zur Interpretation eines seiner besten Songs, „Come Away Melinda“, in dem eine Tochter ihren Vater nach ihr unbekannten Dingen einer – unserer – Zivilisation fragt, die durch einen Dritten Weltkrieg ausgelöscht wurde.
Die sechziger Jahre sahen Harry Belafonte bei ungebrochener künstlerischer Schaffenskraft vor allem als Bürgerrechtler in Aktion. Seit 1952 war er mit Martin Luther King Jr. eng befreundet, 1961 vermittelte er den Kontakt zwischen dem schwarzen Prediger und Bürgerrechtler mit Präsident John F. Kennedy. Der ernannte Belafonte zum Kulturberater des Peace Corps, das sich um die Entsendung junger Amerikaner als Aufbauhelfer in unterentwickelte Länder bemühte. Damit sollte dem Stereotyp des „Yankee-Imperialismus“ entgegengewirkt werden, wobei Belafonte die prokapitalistische und antikommunistische Stoßrichtung des Programms jedoch unterschätzte.
Im Jahr 1964 flog Belafonte mit seinem Freund Sidney Poitier nach Mississippi, um die Bürgerrechtsbewegung finanziell und ideell zu unterstützen. Nach mehreren Mordanschlägen auf schwarze und weiße Aktivisten durch den Ku-Klux-Klan wurden auch Belafonte und Poitier nachts im Wagen beschossen und überlebten nur mit Glück unverletzt.
Belafontes Interesse an jüdischen Fragen verdient besondere Aufmerksamkeit. 1970 spielte er in der Verfilmung von Bernard Malamuds Novelle „The Angel Levine“ die Titelrolle – an der Seite der vom spätstalinistischen Regime aus ihrer polnischen Heimat vertriebenen Ida Kaminska. Seine Interpretation von „Hava Nagila“ wurde ein weiterer Welthit. Dieses Lied habe ihn, bemerkte er in nicht ganz ernster Weise, zum „beliebtesten Juden Amerikas“ gemacht. Schon 1960 trat Belafonte erstmals in Israel auf. Seine EP (extended play record) „Harry Belafonte Sings Hebrew Songs“ enthält außer „Hava Nagila“ drei weitere Lieder, darunter das bekannte Liebeslied „Erev Shel Shoshanim“ (Abend der Rosen). Zwei von Belafontes vier Kindern aus drei Ehen sind Juden, er selbst gehörte der katholischen Kirche an.
Einer neuen Generation wurde Belafonte, so dies überhaupt noch nötig war, 1985 durch die mit Bob Geldof gestartete Wohltätigkeitskampagne „Aid for Africa“ bekannt. Auch als Goodwill-Botschafter für das Kinderhilfswerk UNICEF war er unermüdlich um die Finanzierung von Förderprogrammen bemüht. Jahrzehntelang gegen das Apartheid-Regime in Südafrika engagiert, wurde das Treffen mit dem befreiten Nelson Mandela 1990 in New York zu einem Höhepunkt in Belafontes Leben. Kunst und Politik verschmolzen auf seinen zahlreichen Reisen um die ganze Welt (darunter auch in die DDR, wo eine LP seiner erfolgreichsten Songs erschien) zur untrennbaren Einheit. Sein Leben lang förderte er talentierte, noch unbekannte Künstler – darunter zu Beginn der sechziger Jahre einen jungen Musiker im New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village. Dieser, mit Namen Robert William Zimmerman, nannte sich alsbald Bob Dylan. Der durch französische Chansons und deutsche harmlose Schlagerliedchen bekannten Nana Mouskouri eröffnete er in New York die Möglichkeit, ihre hervorragenden Fähigkeiten als Jazzsängerin zu zeigen. Belafontes Auszeichnungen sind kaum zu zählen: Er erhielt, zum Teil mehrmals, den Emmy, den Grammy, den Tony und einen Ehren-Oscar.
Manche von Belafontes Hoffnungen sollten sich nicht erfüllen. Bis zuletzt sah er in Kuba und in Venezuela praktikable Alternativen zum Kapitalismus. „Es dürfte schwer sein, ein Land zu finden, das mehr Wert auf die Kultur seiner Menschen und die Entwicklung dieser Kultur legt als Kuba“, erklärte er 2002, und noch vier Jahre später nahm er den venezolanischen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ für bare Münze. Zuletzt fand sich sein Name unter einem Aufruf, der die Kongressabgeordnete Ilhan Omar gegen – berechtigte – Vorwürfe verteidigte, ihre wiederholten Kommentare über jüdische Lobbygruppen als Strippenzieher amerikanischer Politik seien antisemitisch. Harry Belafonte blieb politisch mitunter gutgläubig, doch suchte und fand er immer seinen Platz auf Seiten der Sozialisten. Solange die Kräfte es erlaubten, blieb er politisch aktiv. Er unterstützte 2015-16 die Kandidatur von Bernie Sanders als Präsidentschaftsbewerber der Demokratischen Partei. Am 23. Oktober 2015 sprach er in New York im Jüdischen Kulturzentrum 92ndY, wo ich ihn erlebte. In seiner Debatte mit dem jungen Musiker Usher Raymond forderte er, die Ketten sozialer Ungerechtigkeit zu zerbrechen: „Let’s break the chains of social injustice“. Dieser Satz darf als Leitmotiv seines Lebens gelten.
Dieser Beitrag erscheint auch auf der Website der Zeitschrift „Sozialismus.de“.
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