Am 23. Dezember 2022 kündigte die thüringische Umweltministerin Anja Siegesmund völlig überraschend an, dass sie zum 31. Januar 2023 „aus persönlichen Gründen“ zurücktreten werde. Sie erklärte sich nicht näher. In solchen Fällen schießen die Spekulationen ins Kraut. Ganz wild wurde es, als die Nachfolgefrage geklärt werden musste. Plötzlich bekam nämlich der Schauspieler – er ist das tatsächlich und hat es bis zum Schauspieldirektor gebracht … – Bernhard Stengele Lust auf eine neue Rolle. Zwei Jahre lang war er einer der beiden Sprecher des Landesverbandes der Bündnisgrünen. Die Partie wurde ihm offenbar zu langweilig. Auch beim Schlussapplaus steht man nur in der zweiten Reihe. Dank der Gunst der Stunde – der Siegesmund-Rücktritt – beschloss er, stellvertretender Ministerpräsident zu werden. Doof war nur, dass in der Partei eine Quotenregelung gilt und Stengele offensichtlich männlichen Geschlechts ist. Zwei Kerle gehen gar nicht, wenn man nur zwei Sitze im Kabinett hat … Die Partei empfahl nun ihrem Justiz- und Migrationsminister Dirk Adams, den Rücktritt einzureichen, um wegen Stengele irgendeiner Frau Platz zu machen. Der wollte aber nicht. Also legte man dem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow nahe, doch endlich in Sachen seines „als blass und zögerlich geltenden“ (so mdr.de) Justizministers zur Tat zu schreiten. Ramelow schritt und entließ Adams am 9. Januar 2023.
Dass der selbst der eigenen Partei gegenüber nicht besonders gehorsame Ministerpräsident brav über das grüne Stöckchen sprang, hat Gründe. Er selbst ist als Regierungschef nur geduldet. Ramelow regiert ohne Mehrheit an der langen Leine der CDU. Die nach dem Kemmerich-Eklat – am 5. Februar 2020 war der FDP-Mann im dritten Wahlgang mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt worden – vereinbarten Neuwahlen zum Landtag wurden im Juli 2021 auf Eis gelegt, da einige Abgeordnete von CDU und Linken erklärt hatten, einer Landtagsauflösung nicht zustimmen zu wollen. Sie wollten ihre Mandate nicht verlieren. Die jüngsten Umfragen (FUNKE Medien vom 1. Februar 2023) deuten darauf hin, dass Thüringen das gegenwärtige außereheliche Polit-Verhältnis legalisieren möchte: Gäbe es jetzt Wahlen, müssten CDU und Linke in eine gemeinsame Koalition gehen. Sonst wäre eine Regierungsmehrheit nicht möglich. Oder eine von beiden Parteien koalierte mit der AfD …
Diese Drohung war offenbar der grüne Joker. Ramelow sprang schnell – und Stengele bekam seine Hauptrolle. Adams-Nachfolgerin wurde die bis dato völlig unbekannte Polizeihauptkommissarin Doreen Denstädt. Dank dieses grünlackierten „Mensch-ärgere-dich-nicht“-Spielchens geriet Anja Siegesmund fast in Vergessenheit. Schon Anfang Januar war nämlich herausgekommen, was die „persönlichen Gründe“ Siegesmunds wirklich waren: Die Umweltministerin a.D. will sich Ende Mai, so die Ostthüringer Zeitung (OTZ), vom Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft (BDE) zur geschäftsführenden Präsidentin wählen lassen. Wenn da nicht so eine blöde – dummerweise auf Druck der Grünen selbst in der vergangenen Legislaturperiode verschärfte – Karenzzeitregelung im thüringischen Ministergesetz stünde. Und die zuständige Expertenkommission empfahl im Falle Siegesmund 16 Monate. Stütze wird die arbeitslose Frau Anja nicht beantragen müssen. Ihre Funktion als designierte Evangelische Kirchentagspräsidentin 2025 in Hannover ist zwar ehrenamtlich, aber bis Ende April erhält sie nach OTZ-Recherchen ihr volles Ministergehalt, etwa 15.000 Euro monatlich. Davon fließt bis Ende Januar 2024 immer noch die Hälfte. Für die restlichen fünf Monate wird sich der BDE sicher etwas einfallen lassen. Deutsche Arbeitgeberverbände hatten in solchen Fällen schon immer ein soziales Herz.
Vielleicht reduziert auch die Landesregierung aufgrund der Verdienste der Ministerin a.D. ihrerseits die Karenzzeit. Immerhin hatte die beschließen lassen, bis 2050 den Ausstoß von Treibhausgasen in Thüringen „um bis zu 95 Prozent“ zu reduzieren. Sicher nicht um bis zu 95 Prozent, aber vielleicht bis Ende Januar 2024? Ich meine die Karenzzeit … Im Interesse des Klimaschutzes sind der Abfallwirtschaft schließlich weitere Einnahmequellen dringlichst zu erschließen! Und bei den Gebühren ist auch im Freistaat noch deutlich Spielraum nach oben …
Mit fällt da nur noch der gute alte Sueton aus der Zeit meines Latinums ein. In seinen Kaiserviten („Acht Bücher über das Leben der Kaiser“) berichtet er von einem Konflikt, den Vespasian mit seinem Sohn und Nachfolger Titus hatte. Auch der Kaiser erkannte die Profitträchtigkeit der Abfallwirtschaft und ließ die Latrinen Roms besteuern. Titus missfiel es, aus so einer übelriechenden Sache Geld zu schinden, und er regte sich auf. Vespasian rubbelte nun dem Junior mit der Frage, ob das übel rieche, einige Sesterzen aus der Klo-Steuer unter die Nase. Selbst der konnte an den Münzen keinen üblen Geruch bemerken. Das war die Quelle unseres geflügelten Wortes, das Geld nicht stinke …
Gut, Geld sicherlich nicht, aber so manche Politikerkarriere schon. Und wer da immer noch glaubt, dass die Vorturnerinnen und Vorturner der Grünen genetisch bedingt bessere Menschen seien, sollte nach Erfurt schauen. Allerdings lohnt es sich momentan nicht, die Homepage der Ministerin aufzusuchen. „Die Webseite befindet sich im Winterschlaf und wird im Frühjahr neu erstrahlen“, steht dort geschrieben. Sicher aus persönlichen Gründen.
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