Die Lyrik der schönen Jahreszeit vereinnahmt mich ebenso wie das Aufbrechen der Knospen am Gesträuch in den Gärten nebenan und herüberwehender Veilchenduft. Mörike lässt sein blaues Band des Frühlings wieder flattern und den Harfenton von fernher erklingen. Eichendorff jubelt: „Vom Grund bis zu den Gipfeln, / So weit man sehen kann, / Jetzt blüht’s in allen Wipfeln, / Nun geht das Wandern an […].“ Und Heinrich Heine huldigt dem Frühling in feiner zarter Manier: „Leise zieht durch mein Gemüt / Liebliches Geläute. / Klinge, kleines Frühlingslied, / Kling hinaus ins Weite […].“ Eigentlich müsste man die Zeilen singen, denn sie sind voller Musik. Die schöne schlichte Melodie von Felix Mendelssohn-Bartholdy ermuntert dazu.
Die zweite Strophe des Gedichtes war mir nicht mehr geläufig. Ich suchte nach dem vollständigen Text in Heines „Buch der Lieder“, einer Ausgabe ohne Jahreszahl (wahrscheinlich Ende der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts), wo ich ihn nicht fand. Nicht finden konnte, da er erst vier Jahre nach dem Erscheinen vom „Buch der Lieder“ veröffentlicht wurde. Stattdessen fand ich darin zwischen den Seiten des „Lyrischen Intermezzo“ und den Versen: „Im wunderschönen Monat Mai, / Als alle Knospen sprangen, / Da ist in meinem Herzen / Die Liebe aufgegangen […].“ einen vergilbten Zeitungsausschnitt (ebenfalls ohne Zeitangabe). Er ließ schaudern und zerschlug die Lieblichkeit des kleinen Frühlingsliedes.
„‚Schluß mit Heinrich Heine!‘ NSK. Im Septemberheft der NS. Monatshefte unternimmt es Dr. W. Lutz, in eingehenden Untersuchungen den restlosen Beweis zu führen, daß der vielgepriesene Heinrich Heine tatsächlich keinen Anspruch darauf erheben kann, als Dichter zu gelten. Drei allgemeinbekannte Gedichte: ‚Die Loreley‘, ‚Belsazar‘ und ‚Die Grenadiere‘, stehen im Mittelpunkt dieser Untersuchung. An ihnen wird humorvoll und sachlich Heines dichterische Unfähigkeit bewiesen. Nachdem Heine durch sein Judentum schon als ‚deutscher‘ Dichter ausschied, ist er nun als Dichter selbst erledigt. Die geheimrätlichen Kathedergermanisten mit ihrer Heine=Verhimmelung haben ausgespielt.“
Ergänzung: Vermutlich handelt es sich bei dem genannten Dr. W. Lutz um Wilhelm August Luz, Kunsthistoriker und Galerist (1892-1959), dessen Blütezeit als Kunsthändler in den Jahren des NS-Regimes lag. Ab 1937 war er außerdem als Sachverständiger und Gutachter an der Reichskammer der Bildenden Künste tätig und besaß Verbindungen zu hohen und höchsten Vertretern des Staates.
Ein Menetekel baut sich auf. Von Heinrich Heine fast seherisch in seiner Tragödie „Almansor“ (1823) angeführt: „[…] dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Die „Aktion wider den undeutschen Geist“, als Vorbereitung auf den 10. Mai 1933, nimmt Formen an (initiiert durch den Nationalsozialistischen deutschen Studentenbund NSDStB). Auf dem August-Bebel-Platz (ehemals Schlossplatz) brennen am Abend der Scheiterhaufen und Tausende von Büchern, deren Autoren aus politischen, religiösen oder moralischen Gründen über Nacht zu unerwünschten Personen wurden. Die sogenannten „Schwarzen Listen“ enthielten unzählige Namen der Verfemten, gleichgültig, ob sie noch lebten, oder bereits tot waren. Deutschland verlor die Elite seiner Kultur- und Geisteswelt. – Viele deutsche Städte folgten dem Berliner Beispiel. Die Universität in Halle überbot sich in der Mitläuferrolle und setzte weitere Personen und ihre Werke, deren Namen in den „Schwarzen Listen“ noch nicht verzeichnet waren, zusätzlich auf den Index. Unter ihnen Heinrich Heine.
Es ist Frühling. Narzissen und Tulpen und Hyazinthen blühen. Die Bäume zeigen das erste hellgrüne Maienlaub. Amseln schmettern ihre Lieder. Die Natur schwelgt in allen Farben des Regenbogens. Die Romantiker der Dichtkunst überfreuen sich am neuen Glanz. Sie begrüßen diese Wiedergeburt mit Lob und Preis. – Und ich finde die zweite Strophe von Heines zärtlichem Gesang; 1831 erstmals erschienen und als Nummer VI in den Gedichtzyklus „Neuer Frühling“ aufgenommen. Lebensfroh, voller Erwartung und Zuversicht: „[…] Kling hinaus, bis an das Haus, / Wo die Blumen sprießen, / Wenn du eine Rose schaust, / Sag, ich laß sie grüßen.“
Schlagwörter: Heinrich Heine, Renate Hoffmann