26. Jahrgang | Nummer 7 | 27. März 2023

Jack the Ripper und die Folgen

von Angelika Leitzke

Es war wohl ein nie gefasster Täter, der den Anfang machte: „Jack the Ripper“, der Ende des 19. Jahrhunderts im Londoner East End als Prostituiertenmörder sein Unwesen trieb. Seinen Namen, mit dem er Kriminalgeschichte schrieb, erhielt er, da man nichts über seine wahre Identität wusste und er in einer Zeit des aufstrebenden Zeitungswesens aktiv war. Die Rechnung, durch breit gestreute Pressemeldungen einem Unbekannten auf die Spur zu kommen, ging nicht auf. „Jack der Aufschlitzer“ verschwand in Akten, die noch heute selbst Fachleute beschäftigen.

Unlängst bekam ein bei einem bewachten Ausgang in Berlin entflohener Haftinsasse den Beinamen „Sadist von Nauen“ verpasst, der wohl zuvorderst von einer Boulevardpresse stammt, die vor keiner Schlagzeile zurückscheut, um den Umsatz in den eigenen Reihen zu steigern. Doch der sogenannte „Sadist von Nauen“ kann auf eine Namenkette zurück blicken, die bis heute trauriger Weise ihre Fortsetzung erfährt. Diesmal nicht nur allein durch die Print-, sondern auch durch die Online-Medien. Und das Internetlexikon Wikipedia, das auch die Autorin dieses Textes befragte, hat eine beachtliche, da global umfassende Liste zusammengestellt.

Blickt man nur auf Deutschland alleine, so gibt es den „Kannibalen von Rotenburg“ alias Armin Meiwes, der kurz nach der Jahrtausendwende die Gemüter erhitzte. Die Krankenschwester Irene Becker wurde mit „Todesspritzerin“ tituliert, nachdem sie 2005/2006 auf einer kardiologischen Station der Berliner Charité mindestens fünf Patienten durch Injektionen das Leben nahm. Als „Todesengel von Köln“ wurde die 2022 verstorbene Marianne Nölle bekannt, die als Altenpflegerin ihren Senioren eine Überdosis an Medikamenten verabreichte. Mit dem Epitheton „Kirmesmörder“ stattete man den pädosexuellen Serientäter Jürgen Bartsch aus, der in den 1960er Jahrenn tötete.

Rudolf Pleil verhalf sich selbst zu seinem Prädikat, indem er sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der Haft als „größter Totmacher“ aller Zeiten bezeichnete, um somit Berühmtheit und die vermeintliche Unsterblichkeit zu erlangen. Die Zeit der Superlative war ohnehin gerade reif geworden mit dem 1955 gegründeten „Guinness-World-Records-Buch“. Als sich Pleil 1958 mit 34 Jahren in seiner Zelle erhängte, konnte er natürlich nichts ahnen von dem  Jahrzehnte späteren Film „Der Totmacher“ (1995) mit Götz George in der Rolle des Fritz Haarmann, jenes Serienmörders der Weimarer Republik, dem Pleil um eine Nasenlänge voraus sein wollte.

Fälle, die in Literatur, Kino, Fernseh-Dokumentationen, Theaterproduktionen und sogar Computerspiele eingingen oder diese inspirierten. Zu den berühmtesten Beispielen gehört wohl Fritz Langs Tonfilm „M“ von 1931, der in Berlin angesiedelt ist. Hier sucht nicht nur die Polizei, sondern auch die organisierte Unterwelt nach einem zunächst anonymen Verbrecher, den sie durch das an seinem Mantel aufgebrachte Zeichen M – für Mörder – selbst jagt und durch Lynchjustiz zu Fall bringen möchte. Vorbild für Lang waren u. a. der „der Vampir von Düsseldorf“ alias Peter Kürten und besagter Fritz Haarmann, der auch der „Werwolf von Hannover“ genannt wurde. Langs Film rief wie bei Jack the Ripper das „Publikum“ zur Mitwirkung auf – bei Lang mittels Plakaten auf Litfaßsäulen und einer Presse, die damals in der deutschen Reichshauptstadt drei Ausgaben pro Tag vorweisen konnte. Berlin war schließlich mit fast vier Millionen Einwohnern eine der größten Metropolen der Welt.

Sie töteten mit Scheren, Beilen, Messern, Medikamenten, Gift, Schusswaffen oder durch die bloßen Hände. Geldgier, Geldnot, Geltungsbedürfnis, krankhafte sexuelle Neigungen, prekäre familiäre, wirtschaftlich- politische Verhältnisse, Kannibalismus, Sadismus, Mordlust, Missionseifer. Was auch immer die Motivation gewesen sein mag – die Antriebe der NS-Kriegsverbrecher, die in Hitlers Auftrag in schier unermesslichem Ausmaß folterten und töteten, dürften sich von jenen Beweggründen vielmals nicht unterscheiden. Wie etwa Amon Göth, der „Schlächter von Płaszów“, oder Irma Grese, die „Hyäne von Auschwitz“, die „schöne Bestie von Belsen“. Beide wurden offiziell hingerichtet. Ihre „Beinamen“ sind heute nicht mehr jedermann geläufig. Zu schnell wird deutsche Geschichte von denjenigen vergessen, die dem „Sadisten von Nauen“ privat wie mit Hilfe des „Publikums“ dass Handwerk legen wollen. Und die in der Sensationslust als Mittel gegen den Alltagstrott, im Schüren von Ängsten, in der gegenseitigen Bespitzelung und im Gefallen am Grusel, sofern er nicht die eigenen heimeligen vier Wände heimsucht, ihre paranoiden Spießgesellen finden

Vielleicht sollte man nur die Stars von Bühne und Leinwand, ans Rampenlicht gewöhnt, mit Beinamen schmücken, die schließlich auch zur Legendenbildung beitragen: „Satchmo“ Louis Armstrong, „Duke“ John Wayne, Alec Guinness, der „Mann der tausend Gesichter“, „The Voice“ Frank Sinatra, „die Göttliche“ Rita Hayworth oder „Sexikone“ Marilyn Monroe. Agatha Christie gilt immer noch als „the Queen of Crime“, auch wegen der milliardenschweren Auflage ihrer Bücher. Wüsste sie vom „Sadisten von Nauen“, sie würde sich vermutlich im Grabe herum drehen.