Lag ein versuchter Mord vor? Vor dieser Frage stand im Juli 1983 der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe. Was war geschehen?
Anfang der 70er Jahre lernte Fred G. in einer Diskothek die vier Jahre jüngere Heidrun T. kennen. Sie war laut Schilderung von Zeugen damals eine unselbstständige, komplexbeladene Frau von Anfang 20. Der anscheinend umwerfende Charmeur Fred hatte sich als Heilpraktiker, Privatdozent und Doktor der Psychologie ausgegeben. Heidrun war beeindruckt und verliebte sich heftig, obwohl sie gewiss war, dass ihre Liebe von dem aus ihrer Sicht großen, weisen – aber mit anderen Frauen liierten – Mann nicht erwidert werden konnte. Eine intensive, doch nur platonische Freundschaft entwickelte sich. Man diskutierte sich hauptsächlich die Köpfe heiß.
Fred wusste einfach auf alles eine Antwort. Die ausgebildete Chefsekretärin Heidrun befand sich in einer Selbstfindungsphase und war gerade dabei, den Sinn des Lebens zu ergründen. Sie vertraute Fred blindlings. Er war immer für sie da, zumindest telefonisch!
Damit sie ihre Probleme überwinden könne, meinte er, bedürfe sie geistiger und philosophischer Weiterentwicklung. Er könne Hilfe anbieten, denn er kenne einen Mönch namens „Uliko vom Volke der Dogen“, einen noch größeren Lehrmeister. Der würde für sie meditieren, was allerdings nicht billig wäre. Das verstand Heidrun und nahm einen Bankkredit auf.
Dass es sich bei „Uliko“ um Freds Fantasieprodukt handelte, braucht hier nicht näher dargelegt zu werden. Und dass er das Geld – 30.000 DM – seinem eigenen Konto gutschreiben ließ, erst recht nicht! Deswegen wurde er später auch wegen Betrugs verurteilt. Aber versuchter Mord? Es musste also noch mehr vorgefallen sein.
Fred erzählte überraschenderweise, dass er eigentlich gar kein Mensch sei, sondern von einem fremden Stern stamme. Er sei Sirianer, Bewohner des weit entfernten Sternes Sirius. Die Sirianer seien eine Rasse, die philosophisch auf einer weit höheren Stufe stünden als Menschen. Er sei zur Erde gesandt worden, um es einigen besonders brillanten Personen zu ermöglichen, auf dem Sirius weiterzuleben. Selbstverständlich gehörte auch die leichtgläubige, aber geschmeichelte Heidrun zu dieser Elite. Freilich bleibe ein kleines Problem: Ein Weiterleben auf dem Sirius sei erst nach geistiger Weiterentwicklung und völligem Zerfall des Körpers möglich, denn nur mit ihrer Seele könne Heidrun auf den Sirius gelangen. Dafür müsse sie aber zuvor ihre geistigen Blockaden überwinden.
Fred hatte auch dafür eine Lösung: In einem Raum am Genfer See stehe für Heidrun ein neuer Körper bereit, in dem sie sich als Künstlerin wiederfinden werde, wenn sie sich von ihrem alten Körper trenne. Damit könne sie sich geistig weiterentwickeln. Beruhigungspillen und die erforderlichen Papiere würde sie dort auch vorfinden.
In welchen schillernden Farben Fred diesen neuen Körper schilderte, geht aus dem Urteil nicht hervor. Er muss jedenfalls sehr überzeugend gewesen sein. Heidrun glaubte ihrem Sirianer ohne den Hauch eines Zweifels und ließ sich darauf ein, eine Lebensversicherung über 250.000 DM abzuschließen. Bei Unfalltod sollte sich die Summe auf 500.000 DM erhöhen. Daher musste der „Übergang in den neuen Körper“ wie ein Unfall aussehen. Heidruns Versicherungsschutz begann im Dezember 1979. Ihre monatliche Versicherungsprämie belief sich auf 587,50 DM. Ein Batzen Geld bei ihrem Einkommen, aber bald wäre sie ja eine andere und die Versicherungsprämie wäre dann hinfällig.
Heidrun bestimmte Fred zum Bezugsberechtigten und bereitete sich auf ihr neues Leben vor. Das Geld – so versprach Fred – werde er ihr nach Auszahlung der Versicherungssumme sofort überbringen. Sie glaubte ihm bedingungslos und gab ihm vorab schon mal ihre übrigen Ersparnisse in Höhe von 4000 DM.
Beide gemeinsam fanden den günstigsten Platz für einen Autounfall: den Brückenpfeiler eines Autobahnzubringers. Der „Unfall“ sollte Weihnachten 1979 stattfinden. Da war Heidrun gerade 28 Jahre alt.
Ihr Plan ging allerdings nicht sofort auf, denn tragischerweise durchkreuzte Freds Ehefrau Heike das Vorhaben, indem sie sich kurz zuvor selbst erschoss. Fred hielt sich während des Suizids seiner Gemahlin in der Wohnung auf und da zuvor schon Freundinnen von ihm auf dubiose Weise ums Leben gekommen sein sollten, liefen polizeiliche Ermittlungen gegen ihn.
Doch war ihm vorerst nichts nachzuweisen. Fred bastelte daher bald wieder am Plan der „Körpervernichtung“ Heidruns. Da sie nicht sicher sein konnten, ob sie nach einem Autounfall möglicherweise doch „nur“ schwer verletzt sein würde, entschlossen sich die beiden, es mit einem Föhn in der Badewanne zu versuchen. „Evakuieren“ nannte Fred das. Evakuieren auf den Planeten Sirius, in ferne Galaxien sozusagen.
Zuvor sollte Heidrun – damit es wirklich nach einem Unfall aussah – Wäsche waschen, einen Kuchen backen, eine Bekannte für den Abend einladen und das Telefon neben die Badewanne stellen. Fred gab telefonisch den Startschuss, doch der tödliche Stromstoß blieb aus. Heidrun verspürte nur ein Kribbeln am Körper, als sie den eingeschalteten Föhn ins Wasser eintauchte.
Fred, der sich nach dem Tod der Gattin nicht mehr am Schauplatz eines Selbstmords aufhalten wollte, war hörbar überrascht, als Heidrun bei einem Kontrollanruf den Hörer abnahm. Sie saß immer noch in der Wanne und versuchte verzweifelt, ihren Körper zu vernichten. In den nächsten drei Stunden gab Fred ihr in etwa zehn Telefongesprächen Anweisungen zur Fortführung des Versuchs, bevor Heidrun nach stundenlangem erfolglosem Experimentieren, mittels Stromschlags in der Wanne ihr Leben auszuhauchen, aus dem – inzwischen wohl kalt gewordenen – Wasser stieg. Fred hatte zuvor den Befehl gegeben: „Aufhören jetzt!“ Sein Anwalt wollte das später als Rücktritt von der geplanten Tat gewertet sehen. Damit hatte er allerdings keinen Erfolg.
Der TÜV-Gutachter stellte im Prozess fest, dass Heidrun ihr Überleben einer Bauschlamperei zu verdanken hatte, denn die Badewanne war nicht geerdet – was damals Vorschrift gewesen wäre.
Erst im August 1980 ging Heidrun zur Polizei und brachte den Fall damit ins Rollen. Aus welchen Motiven dies geschah, blieb im Dunkeln. Die Polizei ermittelte, doch das größere Problem hatte die Justiz: Ein Selbstmord ist nun mal nicht strafbar.
Betrug? Ein gewisses Sümmchen hatte Fred ergaunert. Aber versuchter Mord? Nein, da war er sich sicher! Sein Anwalt trug vor, dass nur straflose Beteiligung am versuchten Selbstmord in Betracht käme. Das war nicht ganz von der Hand zu weisen.
Doch ein Mann mit derartiger krimineller Energie und dubioser Vorgeschichte sollte nicht straflos ausgehen. Das Gericht war der Ansicht, dass allein Fred G. eine mögliche Tötung zu verantworten hatte. Die leichtgläubige Heidrun dachte nicht einmal an Selbstmord, sie glaubte, in einem anderen Körper zu erwachen und nach Überwindung der geistigen Blockaden zum Sirius zu entfleuchen.
Soweit die potenzielle Selbstmörderin sich gar nicht bewusst sei, dass sie gerade im Begriff ist sich umzubringen, und der Hintermann, der sie anleitet, dieses hohe Maß an Einfalt ausnutzt, sei er als Täter anzusehen, denn er benutze ein willenloses Werkzeug gegen dieses selbst – so das Gericht. Deshalb, und nur deshalb, kam es zum Schluss, dass Fred G. wegen versuchten Mordes zu verurteilen war, obwohl er gar nicht persönlich Hand angelegt hatte – nicht einmal anwesend war – und Selbstmord nicht strafbar ist.
Das Gericht meinte etwas gestelzt, dass Fred seinem Opfer nicht vorspiegelte „es werde durch das Tor des Todes in eine transzendente Existenz eingehen, sondern es in den Irrtum versetzte, es werde – obgleich es scheinbar als Leichnam in der Wanne liege – zunächst als Mensch seinen irdischen Lebensweg fortsetzen, wenn auch körperlich und geistig so gewandelt, dass die Höherentwicklung zum astralen Wesen gewährleistet sei“.
Während Heidrun glaubte, nach dem Stromstoß am Genfer See zu erwachen, sei es Fred nur darum gegangen, die Versicherungssumme für ihren Tod zu kassieren. Laut Gericht „ein Verbrechen der versuchten mittelbaren Fremdtötung“, denn – um es salopp zu sagen – Fred war der kritiklosen und naiven Frau weit überlegen, und nur seine Täuschung führte dazu, dass sie arglos Hand an sich selbst legte. Von allein hätte sie es nie getan.
So kann jemand, der im wörtlichen Sinn eigentlich keine Tat begangen hatte, als mittelbarer Täter für die Handlung eines anderen verantwortlich sein. Deshalb musste Fred G. wegen versuchten Mordes für sieben Jahre im Knast schmoren, auch wenn er selbst von einer „teuflischen Hetzjagd“ und einem „absurden Fehlurteil“ sprach.
Untätig blieb er auch in der Haft nicht. Als 1988 seine Strafe eigentlich verbüßt gewesen wäre, musste er im Gefängnis bleiben. Wieder mit Hilfe einer leichtgläubigen Frau und einer von ihm selbst gegründeten Briefkastenfirma hatte er versucht, ziemlich viel Geld zu ergaunern. Er blieb für weitere zwei Jahre und drei Monate im Gefängnis. Nach Verbüßung der Strafe verliert sich seine Spur.
Vom Autor erschien das Buch „Mord? Totschlag? Oder was?“, in dem es auch um den „Siriusfall“ geht.
Schlagwörter: Bundesgerichtshof, Ernst Reuß, Justiz, Mord, Selbstmord