Am 9. Oktober 1896 berichtete die Stralsundische Zeitung über zwei große weiße schwimmende Bojen, die im Frühjahr bei Lohme vor der Jasmunder Küste „eine halbe Stunde vom Ufer entfernt“ installiert wurden, um eine Seemeile zu markieren. Stettiner Werkleute errichteten außerdem auf der Steilküste bei Blandow und einer Anhöhe bei Nardeviz zwei turmähnliche Signalmasten, die mit der westlichen Boje eine Visierlinie für Probefahrten von zwei „mächtigen Fahrzeugen“ zwischen Stubbenkammer und Arkona bilden würden. Die Arbeiten wurden im Auftrag der 1857 durch Stettiner und Berliner Unternehmer gegründeten „Stettiner Maschinenbau Actien-Gesellschaft Vulcan“ (kurz „AG Vulcan, Stettin“, oder einfach „Vulcan“) durchgeführt. „Vulcan“ war Nachfolger der Firma „Früchtenicht & Brock“, die mit der 1852 in Dienst gestellten „Dievenow“ das erste eiserne Seeschiff Preußens gebaut hatte.
Welche Schiffe sollten vor Jasmund getestet werden?
Am 4. August 1896 informierte die Stralsundische Zeitung über den Stapellauf eines dieser Schiffe. Die Taufe auf den Namen „Friedrich der Große“ vollzog die Tochter des Vizepräsidenten der Werft „Norddeutscher Lloyd“, Martha Achelis. Das 4,731 Millionen Goldmark teure Schiff, dessen 7100 PS leistenden zwei Maschinen eine Höchstgeschwindigkeit von 14,6 Knoten (rund 27 Stundenkilometer) erlaubten, sei, so hieß es im Bericht der Zeitung, durch den doppelten Boden und die 12 bis zum Oberdeck reichenden Querschotte unsinkbar. Außer den „bequem und wohnlich“ eingerichteten „Kammern“ verwies die Zeitung auf drei Küchen, eine große Bäckerei mit zwei Patent-Backöfen, einen Destillierapparat, zwei Pantries und zahlreiche Klosett- und Baderäume sowie insgesamt 20 Rettungsboote. 650 elektrische Lampen „von je 25 Normalkerzen“ würden alle Räume beleuchten.
„Friedrich der Große“ gehörte zu einer Reihe von „Reichspostdampfern“, die auf den staatlich subventionierten Linien des Deutschen Reiches nach Ostasien, Ostafrika und Australien zum Einsatz kamen und vertraglich festgelegte Bedingungen zu erfüllen hatten. Die Reederei musste sich unter anderem verpflichten, für den Ostasien- und den Australien-Verkehr je eine monatliche Linie ab Bremerhaven zu unterhalten. Die dabei festgelegten Häfen mussten pünktlich und regelmäßig angelaufen werden. Zeitverzug sollte empfindliche Konventionalstrafen von (im günstigsten Fall) 50 Mark pro Stunde nach sich ziehen. Jährlich waren je Linie 13 Fahrten zu absolvieren. Anzahl, Größe, Ausstattung und Geschwindigkeit der Schiffe waren vorgeschrieben, so sollte die Mindestgeschwindigkeit bei 11,4 (Australienlinie) beziehungsweise 12 Knoten (Ostasienlinie) liegen. Außerdem durften die Schiffe nur auf deutschen Werften gebaut, in Konstruktion und Einrichtung (insbesondere Sicherheit, Bequemlichkeit, Komfort und Verpflegung der Passagiere) der ausländischen Konkurrenz nicht nachstehen und in Europa nur mit deutscher Kohle bebunkert werden. Als Gegenleistung erhielt der „Norddeutsche Lloyd“ pro Jahr 4,4 Millionen Mark Zuschuss; bei 13 vorgeschriebenen Rundreisen ergab sich umgerechnet ein Zuschuss von 5,49 Mark pro Seemeile. Zum Vergleich: England zahlte für seine Schiffe 9,71, Frankreich 9,30 Mark Subventionen je Seemeile.
Die staatliche Subventionierung galt als eine bedeutende Voraussetzung dafür, dass die deutsche Wirtschaft ihre Waren zu weltmarktfähigen Preisen und auch auf neu erschlossenen Märkten anbieten, neu Rohstoffmärkte erschließen, einen zuverlässigen Postverkehr gewährleisten und sich der Konkurrenz vor allem englischer und französischer Reeder erwehren konnte.
Die Reichspostdampferlinien hatte Bismarck 1885 „zu Nutz und Frommen von Deutschlands Industrie, Handel und Schiffahrt“ ins Leben gerufen, wie es in einer Rede zu seinem 80. Geburtstag hieß. Eine entsprechende erste Vorlage war 1881 im Reichstag noch gescheitert, da der Bankrott der „Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft“ (HAPAG) und die Beeinträchtigung der „freien Rhederei“ durch die staatliche Subventionierung befürchtet wurden. Mit dem Erwerb von Kolonien in Afrika 1884/1885 und 1885 im Pazifik änderte sich die Stimmung im neu gewählten Reichstag, der dem von Heinrich von Stephan (damals Staatssekretär des Reichspostamts) eingebrachten Gesetzesvorschlag zur Verbesserung der Handelsbeziehungen nach Ostasien und Australien nach kontroverser Diskussion nun zustimmte.
Am 10. September 1896 konnte die Stralsundische Zeitung über den vorgesehenen Einbau der Kessel und Maschinen sowie die Aufnietung der Beplankung des ersten Schiffes berichten; in der Folge ergab sich jedoch ein Problem: „Friedrich der Große“ erwies sich als erstes deutsches Passagierschiff mit über 10.000 Bruttoregistertonnen (BRT), 166,3 Metern Länge, 18,32 Metern Breite und einem Tiefgang von 10,6 Metern als zu groß, um in den Gewässern um die Vulcan-Werft getestet zu werden. So habe das „jenseitige Oder-Ufer“ ausgebaggert werden müssen, um den Stapellauf überhaupt zu ermöglichen. Bereits Anfang März 1896 hatte die Stralsundische Zeitung über notwendige Baggerarbeiten zur Vertiefung der Fahrrinne zwischen Stettin und Swinemünde berichtet, um Schiffen mit einem Tiefgang bis 24 Fuß Zugang zum Stettiner Hafen zu ermöglichen. Diese Arbeiten unter Einsatz von zahlreichen Dampfbaggern sollten aber erst in etwa drei Jahren beendet sein. Die Werft entschied sich deshalb, die anstehenden Probefahrten zwischen Stubbenkammer und Arkona vor der Halbinsel Jasmund vorzunehmen.
Ein weniger schwerwiegendes Problem ergab sich in der Klassifizierung: Namensgeber einer Klasse, das heißt einer Serie gleichartiger Schiffe, war meist das erste Schiff; das sollte die „Barbarossa“ sein, die jedoch erst am 5. September 1896 bei Blohm & Voss, Hamburg, vom Stapel lief. Eine der Ursachen dürfte ein Streik der Hamburger Werftarbeiter gewesen sein. Somit trat der seltene Fall ein, dass „Friedrich der Große“ zwar zuerst vom Stapel lief, die Klasse jedoch nach der später zu Wasser gelassenen „Barbarossa“ benannt wurde.
Am 9. November traf „Friedrich der Große“ zunächst in Swinemünde ein, um von hier zu den Probefahrten zu starten. Außer der „Friedrich der Große“ kam 1896 auch das Schwesterschiff „Königin Luise“ zum Probeeinsatz. Dessen Stapellauf wurde am 17. Oktober 1896 „unter brausenden Hurrarufen“ durch die Gattin des Inspektors des „Lloyd“, Kapitän Engelhardt, vorgenommen.
Die Stralsundische Zeitung berichtete am 13. November 1896 über den „in jeder Hinsicht vorzüglichen“ verlaufenen Probelauf von „Friedrich der Große“. Die Testfahrten waren zugleich das Erlebnis für Fachleute und Badegäste.
Am 18. November 1896 erfolgte die Abnahme des Dampfers „Friedrich der Große“ in Bremerhaven durch eine sechsköpfige Reichskommission, die das Schiff als den Anforderungen an einen Reichspostdampfer „in jeder Hinsicht entsprechend“ einschätzte. Bereits am 21. November kam das Schiff in Antwerpen an und nahm hier zirka 400 Tonnen Ladung für die am 22. November beginnende Fahrt nach Australien auf. Zuvor sei das Schiff täglich von einer Menge Menschen besichtigt worden, „die oft genug in laute Ausrufe der Verwunderung ausbrechen“, schrieb die Stralsundische Zeitung am 28. November rückblickend.
Bei Kriegseintritt der USA 1917 wurde das Schiff beschlagnahmt, anfangs unter altem Namen, später als „Huron“ betrieben und transportierte etwa 22.000 Soldaten nach Europa und nach Abschluss des Waffenstillstandes ungefähr die gleiche Anzahl Soldaten und Verwundete bis zum 23. August 1919 zurück in die USA. Nach mehreren Besitzerwechseln, Umstellung von Kohle- auf Ölfeuerung und nun als „City of Honolulu“, geriet das Schiff bei einer Reise nach Hawaii am Morgen des 12. Oktober 1922 in Brand, vermutlich in Folge eines elektrischen Defekts. Da der Dampfer Schlagseite bekam, ordnete Kapitän Lester die Evakuierung an. Während die Passagiere von einem Frachter übernommen wurden, war es den zu Hilfe gekommenen Schiffen unmöglich, die brennende „City of Honolulu“ abzuschleppen, sie wurde am 17. Oktober 1922 durch ein Küstenwachschiff versenkt.
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