Schöne Urlaubserinnerungen halten wir gern in Bildern fest. Heute zücken wir dafür unser Smartphone und fotografieren jede Sehenswürdigkeit, um sie im nächsten Moment Freunden und Bekannten per WhatsApp mitzuteilen. Der Wunsch, Reiseeindrücke bildhaft festzuhalten, ist jedoch viel älter.
Als in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Tourismus zum Zwecke von Bildung und Erholung entstand – was sich nur privilegierte gesellschaftliche Schichten leisten konnten – waren die Reisenden, sofern sie nicht selber mit Pinsel oder Zeichenstift umgehen konnten, zunächst auf Gemälde, Aquarelle und Grafiken angewiesen. Mit dem aufkommenden Pauschaltourismus entstand das Genre der Reisefotografie. Fotografieren war damals jedoch nur mit enormem Aufwand möglich, so dass eine eigene Ausrüstung mit Kamera, Stativ, Glasplatten und Fotolabor – vor allem für die Reise – völlig untauglich war. Der Gang zum Fotografen war da ungleich einfacher, zumal der jene Motive im Angebot hatte, die bei Touristen beliebt waren.
Die Neuerscheinung „Bilder für Reisende“ aus dem halleschen Hasenverlag zeigt anhand von Julius und Robert Rive die Entwicklung dieser neuen Form der Fotografie. Die Brüder besaßen seit den 1860er Jahren ein florierendes Fotostudio in Neapel, das vor allem Touristen mit pittoresken Ansichten versorgte. Die Rives zählten zu den Pionieren der neuen Kunst in Italien und wirkten weit über Neapel hinaus. Bei ihnen konnten Touristen Fotos von zahlreichen touristischen Highlights Italiens erwerben – von Genua über Rom, die Amalfi-Küste, Capri bis zum sizilianischen Palermo.
Die eigentliche Attraktion der Gegend um Neapel und ein besonders gefragtes Fotomotiv war natürlich der Vesuv, der im 19. Jahrhundert mehrere Ausbrüche hatte – unter anderem am 26. April 1872. Rive hatte es jedoch versäumt – aus welchen Gründen auch immer –, seine Kamera in Stellung zu bringen. So musste eine Fotomontage Abhilfe schaffen. Absolut unentbehrlich für das Portfolio eines jeden kommerziellen Fotografen waren außerdem Fotoserien aus Pompeji und Herculaneum. So hatten die Rives ein Album mit 50 Aufnahmen im Kabinettformat im Angebot. Mit diesen Fotos wurde zugleich die Grabungstechnik der damaligen Zeit dokumentiert. Beliebt waren auch Aufnahmen des neapolitanischen Volkslebens, Alltagsszenen von Gemüsehändlern, Fischern, Mönchen oder spielenden Kindern.
Die reich illustrierte Neuerscheinung des Literaturwissenschaftlers Bernd Stiegler erlaubt eine Zeitreise, gewissermaßen eine „Grand Tour“ durch Italien des 19. Jahrhunderts. Die Geschichte des Studios der Brüder Rive ist eine Kulturgeschichte der frühen Fotografie in Italien und zeigt, welch enorme Bedeutung das seinerzeit noch neue Medium hatte.
Bleibt nur die Frage: Warum ist der Titel in der Reihe „Mitteldeutsche kulturhistorische Hefte“ erschienen, in der meist Themen der Regionalgeschichte publiziert werden? Die Antwort lautet: Julius und Robert Rive waren die Onkels des späteren halleschen Oberbürgermeisters Richard Robert Rive (1864-1947), der in Neapel geboren wurde. Nach dem frühen Tod des Vaters zog die Mutter mit ihren Kindern nach Breslau. Nach Studium und Stadtratsamt in Breslau kam Rive 1905 nach Halle, wo er nach zweimaliger Wiederwahl die Geschicke der Saalestadt bis zum 31. März 1933 leitete. Aufgrund seiner Verdienste sollte ihm zum Amtsabtritt das Ehrenbürgerecht verliehen werden. Da Rive jedoch eine distanzierte Haltung zu den Nationalsozialisten einnahm, konnte ihm der Ehrenbürgerbrief erst nach Kriegsende überreicht werden. Heute erinnert das Riveufer, die Spaziermeile der Hallenser entlang der Saale, an den verdienstvollen Ehrenbürger.
Bernd Stiegler: Bilder für Reisende – Robert Rive – Ein Fotoatelier in Neapel. Hasenverlag Halle/Saale 2023, Heft 47 der Mitteldeutschen kulturhistorischen Hefte, 108 Seiten, 18,00 Euro.
Schlagwörter: 19. Jahrhundert, Bernd Stiegler, Fotografie, Italien, Manfred Orlick, Robert Rive