Egon Erwin (kosend „Egonek“) K. – Meister der Reportage. Knapp im Stil, detailliert, pointiert, mit spritzigem, spöttelndem, hintergründigem Humor unterlegt. Untrügliches Gespür für politische Fehltritte, beständig den Finger in der Wunde sozialer Ungerechtigkeit. – Reisender über die Kontinente, pausenlos, und Berichterstattung eines Mannes, der Augen und Ohren überall hat. Mehrfach in Gewahrsam genommen. Mehrfach zur Persona non grata erklärt und des Landes verwiesen. „Egonek“, der zu einem Berufskollegen gesagt haben soll: „Weißt du, mir kann eigentlich nichts passieren. Ich bin ein Deutscher. Ich bin ein Tscheche. Ich bin ein Jud. Ich bin aus einem guten Haus. Ich bin ein Kommunist. Etwas davon hilft mir immer.“
Kisch, der Mann mit uneingeschränkter Risikobereitschaft. In Melbourne springt er von der Reling eines Passagierschiffes aus fast sechs Metern Höhe auf den Kai und bricht sich ein Bein. Australien hatte ihm den Aufenthalt im Lande verweigert, als man von seiner linksgerichteten Gesinnung Kenntnis erhielt. – Sich selbst stufte er als „Weltbürger“ ein. Und von einem „guten“ Reporter erwartete E. E. K.: „Erlebnisfähigkeit zu seinem Gewerbe, das er liebt. Er würde auch erleben, wenn er nicht darüber berichten müßte. Aber er würde nicht schreiben, ohne zu erleben.“
Man möchte ihn von Angesicht zu Angesicht sehen, den „rasenden Reporter“, wie man Kisch nach dem Titel einer seiner Sammlungen fortan nannte. Fotos aus den verschiedenen Lebenslagen des Publizisten sind bekannt. Doch ein Gemälde? Noch dazu in einer ungewöhnlichen Position? Halb nackt! Als sitzender Halb-Akt! Und auffallend tätowiert. So malte ihn Cristian Schad im Jahr 1928. Umgeben von drei Stahlgerüstträgern des Berliner Funkhauses, im Hintergrund die Häuser der Großstadt. Hinweis auf Kischs journalistische Tätigkeit in Berlin?
Ein Mann von 43 Jahren mit durchdringendem, aufmerksamem Blick und blasser Haut, von der sich die Tätowierungen unterschiedlicher Art deutlich abheben. Rechter Oberarm: ein dunkelhäutiger, kostümierter Artist in vollem Lauf. Linker Oberarm, in Nähe des Ellbogengelenks: der Kopf eines Mandarins, von einem Krummschwert durchbohrt, mitsamt Blutstropfen und Schmetterling. Von der rechten Schulter schlängelt sich ein Schlängelchen und züngelt nach einem Namen (Paola?) Ein Dolch durchsticht Egon Erwins linke Brust. Und am Oberbauch entblößt eine junge Frau offenherzig ihr Bein. (Christian Schad: Egon Erwin Kisch, Öl auf Leinwand, 1928, Hamburger Kunsthalle)
Der „rasende Reporter“ hielt den Akt seiner Tätowierungen für wichtig und widmete ihm einen Essay. – „Meine erste Tätowierung ist schon alt, ihr Sujet hat viel Beachtung erregt, obwohl ich an diesem unschuldig bin. Ich saß im Arrest neben einem Lithographen, der sich erbötig machte, mir ein Stilleben auf den Rücken zu tätowieren. In Wirklichkeit aber stach er mir das porträtähnliche Bild unseres Obersten ein, […] wie mir dieser kopfabwärts den Buckel hinunterrutscht. […] Als das Werk fertig war, bedauerte ich, es nicht besehen zu können, leider stand kein Spiegel in unserer Zelle …“ (Ich bedauerte es ebenfalls, denn weder konnte ich das Gemälde abhängen noch es herumdrehen.)
In Konstantinopel ließ sich Kisch 1906 einen „Excentric“ auf den rechten Oberarm tätowieren. „[…] hauptsächlich, weil mich das Plakat überzeugte.“ Dieses liegt im Original vor und stellt jede moderne Werbung hinsichtlich ihrer Überzeugungskraft in den Schatten. – „Wer untätowiert ist, ist nackt! Schämst du dich nicht, nackt herumzulaufen? Alles, was der männliche Körper ausdrücken soll, steche ich ein: Politik, Erotik, Athletik, Aesthetik! An allen Stellen! Garantiert schmerzlos! Hier werden Tätowierungen nach Entwürfen der berühmtesten Maler ausgeführt! Wundervollste Muster! Für Damen Spezialbehandlung! Meine Tätowierungen dauern über den Tod hinaus! …“ Und in diesem Ton fortfahrend, unterzeichnet „Fred A. Lionsfield“, alias Alfred Löwenfeld aus Proßnitz. – Kisch bat den Obertätowierer, ihm die „wundervollsten Muster“ zu zeigen. Aber „zu seinem allergrößten Leidwesen hatte Herr Alfred Löwenfeld aus Proßnitz das Album vor einer halben Stunde einem Schiffskapitän zur Ansicht geschickt. Er hatte heute nur eine einzige Vorlage hier, den berühmten Negerartisten Bimbo …“ Der nun belebt Egon Erwins Oberarm und schmerzt! „Nach acht Tagen werde das vergehen, beruhigte mich Mister Lionsfield, ich müsse nur den Arm den ganzen Tag nach oben halten und viel Vaseline daraufschmieren …“
Mit dem Kopf des toten Mandarins hat es eine andere Bewandtnis. – „Ich habe mir im Chinesenhaus der Triestiner Cività vecchia diese Zeichnung aus den vielen hundert Bildchen des Musterbuches ausgesucht, das mir der berühmte Tätowierer der Adria vorlegte.“ Auf die Frage, weshalb gerade dieses Bild, antwortete E. E. K., weil es ihm gefalle. Und auf die Bedeutung hingewiesen, vermutete er, es handle sich um das Abzeichen eines geheimen chinesischen Ordens oder Ähnliches. – Erst Jahre später geschah die Aufklärung.
„Jeder Mann, der in den Dienst der kaiserlich chinesischen Frauenpaläste aufgenommen wurde, […] wurde bei seiner Kastrierung auch tätowiert – mit dem abgeschnittenen Schädel, zur Mahnung an die Strafe, die bei einer Pflichtverletzung seiner harre. […] Schon im kaiserlichen China waren die Männer mit dem ‚Win‘, dem Eunuchenzeichen, Gegenstand geheimen Hohns, und niemand verkehrte mit einem ‚Win-ho‘. – Die Mädchen zeigten mich ihren Landsleuten. ‚Der ist es, das ist der Win-ho‘“ So, so. Fremde Zeichen. Fremde Aussagen.
Bislang spielte ich mit dem Gedanken, mich ebenfalls tätowieren zu lassen. Sujet: meine altbewährten Wanderschuhe (der Schuster hatte sich nach ihrem mehrmaligen Besohlen geweigert, sie weiterhin instand zu halten), aber nach E. E. Kischs unliebsamen Erfahrungen verzichte ich darauf.
Egon Erwin Kisch: Meine Tätowierungen. Aus der Sammlung „Der rasende Reporter“, gesammelte Werke Band V, Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1978.
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