26. Jahrgang | Nummer 3 | 30. Januar 2023

Ausflug nach Ribbeck

von Renate Hoffmann

Man reist nicht durch die Mark Brandenburg, ohne dem Wanderer Th. F. zu begegnen. Ob in Rheinsberg oder Lindow, in Cunnersdorf und Möglin, ob in den Klöstern Chorin und Lehnin, oder am Schwielowsee, in Geltow, Paretz, Trebbin und anderswo in der Mark. Erstaunlicherweise wanderte Theodor Fontane – nach heutigem Wissensstand – nicht zur kleinen Gemeinde Ribbeck. Lag sie nicht an seiner Wanderroute? Mangelte es an der nötigen Zeit?

Was tat der Dichter, Schriftsteller, Journalist und gelernte Apotheker, um die Lücke zu füllen? Er schrieb ein Gedicht zu Ehren eines ortansässigen, warmherzigen Mannes und seines Birnbaums, welches überraschend Ribbeck ins Licht der Öffentlich hob und weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt machte: „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“. Eine Ballade aus erbaulicher Geschichte und realer Beigabe.

Fontane zuerst: „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, / Ein Birnbaum in seinem Garten stand, / Und kam die goldene Herbsteszeit / Und die Birnen leuchteten weit und breit, / Da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl, / Der von Ribbeck sich beide Taschen voll, / Und kam in Pantinen ein Junge daher, / So rief er: ‚Junge, wiste ´ne Beer?‘ / Und kam ein Mädel, so rief er: ‚Lütt Dirn, / Kumm man röwer, ick hebb ´ne Birn …'“

Herr von Ribbeck, kinderfreundlich und leutselig, beschenkte das junge Volk mit den köstlichen Früchten, Jahr um Jahr, bis zu seinem Tode. Er bat sich aus, dass man eine Birne mit ihm begrub. Dem wurde stattgegeben. Und drei Jahre danach wuchs aus der Begräbnisstätte auf dem alten Kirchhof ein junger Birnbaum. Der flüsterte wieder vom Angebot des alten Herrn von Ribbeck. Das konnten aber nur die Kinder hören.

Es folgt der reale Teil: Fontane sprach davon, er habe die Geschichte von einem Ruppiner Gymnasiallehrer erfahren. Erstmals konnte man sie im Jahr 1887 in K. E. Haases Sammlung „Sagen aus der Grafschaft Ruppin“ nachlesen. 1889 auch in einer Brandenburgischen Wochenschrift (Die Birnbaum-Erzählung eine Legende?). Als Vorbild für den spendablen Gutsherrn gilt Hans Georg I. von Ribbeck (1689-1759). Und den Birnbaum, der aus der Familiengruft emportrieb, den gab es wahr und wahrhaftig (nur der Flüstervorgang ist noch nicht endgültig aufgeklärt). – Am 20. Februar 1911 brachte ein Sturm den Baum zu Fall. In den 1970er Jahren erhielt er einen Nachfolger, der aber keine Früchte trug. Deshalb gab es im April 2000 eine weitere Neupflanzung. Sie entwickelt sich zufriedenstellend.

Die Neugier ist geweckt. Welche Art Birnbaum, dessen Früchte weit und breit leuchteten, stand in Hans Georgs Garten? Erkundungen führten zu einer Geschichte, ebenso interessant wie die des Gartenbesitzers. –

Einlage: Pfarrer Andreas Göch in Pegau bei Leipzig, begeisterter Obstbaumzüchter, besaß im Pfarrgarten eine besondere Birnensorte, die zuckersüß, sehr saftig und auffallend gelb und karmesinrote Färbung zeigte. Als der Reformator Philipp Melanchthon auf der Durchreise bei Göch nächtigte und von den edlen Früchten aß, teilte er die Begeisterung des Pfarrers und überbrachte einige Exemplare davon dem Kurfürsten von Sachsen zur geflissentlichen Verkostung. Der lobte den kundigen Pfarrer und gewährte dessen Söhnen den Besuch der Fürstenschule. Aus Dankbarkeit gegen den Vermittler wurde aus der „Römischen Schmalzbirne“, die vermutlich Legionäre aus dem Süden ins Land gebracht hatten, die „Melanchthonbirne“. Eine robuste Sorte, die auch zu Zeiten des Hochbarocks im Havelland zu finden war. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verteilte Herr von Ribbeck diese Birnen an die Dorfkinder.

Fontanes Ballade von 1889 machte Furore. Sie erwies dem kleinen Ort Ribbeck große Ehre, fand Aufnahme in die Schulbücher, zum Verdruss damaliger Schüler, die oftmals das 42-Zeilen-Gedicht auswendig zu lernen hatten. Sie bereicherte deutschsprachige Anthologien und wurde bis in die Gegenwart vertont. Gründe genug, um sich in Ribbeck noch ein wenig umzuschauen.

Die Gemeinde liegt westlich von Berlin und ist ein Ortsteil von Nauen. Die Dorfstraße heißt erwartungsgemäß Theodor-Fontane-Straße und hat das imposante neobarocke Schloss zur Seite. Restaurant und Fontane-Museum warten mit kulinarischen und geistigen Genüssen auf. Allüberall bestimmen der Birnbaum und seine Früchte den Ton. In der Kirche wird der Stumpf des Urbaumes aufbewahrt. Im Alten Waschhaus, dem gastfreundlichen Hofladen, werden Torten in feinster Birnenmanier serviert. Und das Café in der Alten Schule hält Erzeugnisse bereit, denen die noble Frucht den Wohlgeschmack verleiht. Das historische Klassenzimmer nebenan lohnt einen Blick.

Wo erhielten ein Gedicht und sein Poet jemals eine so sinnvolle Würdigung wie in Ribbeck? Die gepflegte Parkfläche am Haupteingang des Schlosses umrunden sechzehn Birnbäume, gestiftet von den sechzehn deutschen Bundesländern in der Zeit zwischen September 2002 und November 2009. – Ich gehe von Bundesland zu Bundesland und von Birnbaum zu Birnbaum. Fröstelnd und blattlos stehen sie in der kühlen Winterluft und warten auf den Frühling: Die „Frühe von Trevoux“ aus Rheinland-Pfalz ist gut gewachsen und reich verzweigt; aus dem Saarland stammt die etwas kümmernde „Gräfin von Paris“; Baden- Württemberg brachte das „Stuttgarter Geißhirtle“, von schlankem Wuchs und buschartig verzweigt; Sachsens „Gellerts Butterbirne“ steht schlank und rank; und Brandenburg wartet mit „Clapps Liebling“ auf, ein Baum von sehr kräftigem Wuchs; Thüringens „Nordhäuser Winterforelle“ zeigt eine stämmige normale Wuchsform …

Lieber Fontane,

kämen Sie hier vorbei, so hätten Sie Ihre Freude am Ribbecker Birnengarten. Gewiss, im Frühjahr wäre er schöner, wenn sie in Blüte stehen, die „Gute Luise“, die „Pastorenbirne“, die „Köstliche von Charneux“ und alle anderen. Weshalb eigentlich mieden Sie diesen kleinen Ort? Wie dem auch sei, als Andenken an meinen Besuch in Ribbeck nehme ich nicht Ihre Ballade mit, sondern ein Glas „Birnenmus“, verfeinert durch Honig, Gewürze, Zucker und Zitronensaft. Aber beim Verzehr werde ich an Sie denken.

In Verehrung

Ihre R. H.