26. Jahrgang | Nummer 1 | 2. Januar 2023

Die neue Militärmacht – auf dem Wege zur Hightech-Armee

von Wilfried Schreiber

Jürgen Heiducoffs Buch „Die neue Militärmacht – Welche Pläne verfolgt Peking?“ gehört zu den wenigen aktuellen Publikationen in Deutschland, die geeignet sind, ein realistisches Bild über das China von heute zu vermitteln. Deutsche Massenmedien haben vielfach nur eine verzerrte Wahrnehmung dieses Landes, das mit seinen 1,4 Milliarden Menschen weitaus bevölkerungsreicher ist als der gesamte transatlantischen Westen zusammengenommen.

Heiducoff schaut mit den Augen eines gestandenen Militärs auf dieses Land und seine Streitkräfte. Er hat sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik als Berufssoldat gedient und war von 2006 bis 2008 militärpolitischer Berater an der deutschen Botschaft in Kabul. Dort wurde auch seine Neugier auf China geweckt, der er in den nachfolgenden Jahren bei zahlreichen Reisen durch dieses Land nachgegangen ist.

Heiducoff beschreibt in seinem Buch den Weg der chinesischen Streitkräfte, die sich von einer Massen- und Landarmee zu einer modernen Hightech-Armee entwickeln und ihr Land auch in militärischer Hinsicht unangreifbar machen sollen. Er beginnt mit einem historischen Rückblick auf die kulturellen und philosophischen Wurzeln des chinesischen Volkes sowie auf die Erfahrungen, die China mit den Kriegen der Vergangenheit gemacht hat.

Dieser Rückblick ist wichtig, um die grundsätzliche Andersartigkeit dieses großen Landes gegenüber der transatlantischen Sichtweise auf die Welt von heute zu verstehen. Die geistigen Grundlagen des neuen Chinas gehen zurück auf Konfuzius und Laozi, die vor etwa 2500 Jahren lebten und bis heute im Massebewusstsein nachwirken. Ihr Ordnungsverständnis vereint die Harmonie des Einzelnen mit der Welt als Ganzes.

Das Denken und Handeln in diesem Land wird bis heute von tief verwurzelten Traditionen bestimmt. Das gilt auch für die militärische Theorie und Praxis. Hier verweist Heiducoff besonders auf den Militärtheoretiker Sunzi, der als Zeitgenosse dieser Philosophen das Credo hatte, Kriege möglichst zu verhindern, da sie Staat und Volk ruinierten. Es ist daher von einer treffenden Symbolik, wenn Heiducoff jedes seiner 13 Kapitel mit einem Ausspruch von Sunzi beginnt.

Tatsächlich ist Chinas lange Geschichte keineswegs von Eroberungs- und missionarischen Absichten geprägt, wie es für die europäische Geschichte typisch war. China hatte sich über Jahrhunderte in eine Selbstisolation begeben, die das Land quasi schutzlos den europäischen Kolonialmächten auslieferte. Dennoch haben Streitkräfte für die Gründung und Entwicklung der Volksrepublik konstitutive Bedeutung. Die chinesische Armee hat ihre Wurzeln zunächst im Bürgerkrieg gegen die Truppen der Kuomintang unter General Tschiang Kai-schek. Legendär ist dabei der „Lange Marsch“ unter Führung von Mao Tse Tung über tausende Kilometer in den Jahren 1935 und 1936. Dieser ersten Etappe folgte der landesweite Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression und als dritte Etappe schließlich der Befreiungskrieg zur endgültigen Niederschlagung der Kuomintang im Frühjahr 1949. Die Konsequenz daraus war die Gründung der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949.

Nach dieser Vorgeschichte beschreibt Heiducoff in mehreren Kapiteln den schwierigen Weg der jungen Volksrepublik, ihre inneren Probleme zu bewältigen und gleichzeitig Frieden mit seinen Nachbarn zu schließen. Inzwischen hat China mit zwölf seiner 14 Nachbarn auf dem Festland alle Grenzfragen final gelöst und mit acht Nachbarn Verträge über Freundschaft und Kooperation abgeschlossen. Kern der chinesischen Außenpolitik ist Ringen um Friedliche Koexistenz im Sinne einer multipolaren Weltordnung bei voller Unterstützung der Vereinten Nationen. Insofern ist China heute „einer der Hauptbeitragszahler von UN-Einsätzen und stellt auch das meiste Personal“.

Heiducoff verweist auf die strikt defensive Ausrichtung der chinesischen Streitkräfte. Mit Obamas strategischer Neuausrichtung auf Asien (pivot to Asia) habe China seine Verteidigung voll auf eine Bedrohung durch die USA ausgerichtet. Das bedeute Konzentration der Wirtschaftsentwicklung auf Zentren im Innern des Landes, Stärkung der Seestreitkräfte und vorrangiger Ausbau des Frühwarnsystems unter Einbeziehung der vorgelagerten Inseln.

In seinem letzten Kapitel, das den neuen Herausforderungen gewidmet ist, hebt Heiducoff hervor, dass China nur in der Einheit von ökonomischer Potenz und Verteidigungsfähigkeit eine eigenständige Außen- und Sicherheitspolitik realisieren könne. Insofern ist es durchaus glaubhaft, wenn der Autor abschließend feststellt, dass die Chinesen weder ihre Lebensweise „zum Modell für die Welt erklären noch möchten, dass andere Staaten ihre gesellschaftlichen Vorstellungen exportieren“.

 

Jürgen Heiducoff: Die neue Militärmacht – Welche Pläne verfolgt Peking?, Das Neue Berlin, Berlin 2022, 192 Seiten, 18,00 Euro (Paperback), 12,99 Euro (Kindle).