25. Jahrgang | Nummer 26 | 19. Dezember 2022

Die beste Idee der Vereinigten Staaten von Amerika

von Jürgen Hauschke

Am 1. März 1872 unterzeichnete Ulysses S. Grant, der Nachfolger von Abraham Lincoln als Präsident der USA, ein bis dahin einmaliges Gesetz: den Yellowstone Park Act. Dieses Gesetz begründete den ersten Nationalpark der Welt. Der Park liegt überwiegend im Nordwesten Wyomings, kleinere Teile in Montana und in Idaho. Mit fast 9000 Quadratkilometern, in denen Shoshonen und kaum „Weiße“ lebten, umfasst er ein Gebiet, das etwa halb so groß wie Sachsen ist. Gelegen in einer riesigen Caldera des Yellowstone-Vulkans und auf durchschnittlich 2440 Metern Höhe über dem Meeresspiegel, war primäres Ziel der Gründung nicht der Naturschutz, sondern ein „öffentlicher Park oder Vergnügungsstätte zum Nutzen und zur Freude der Bevölkerung“. Es sollte noch über zehn Jahre dauern bis Naturschutz und Bildung als Ziel der Nationalparks definiert wurden. Der Park ist vor allem für seine zahlreichen Geysire und Schlammtöpfe sowie seine Bisons, Grizzlybären und Wölfe bekannt. Er gehört heute zum Unesco-Weltnaturerbe.

Bereits 1864, mitten im Sezessionskrieg zwischen den Süd- und Nordstaaten der USA, hatte Lincoln den Yosemite Act unterzeichnet, der das Yosemite-Tal in Kalifornien unter Naturschutz stellte. Genau dorthin wanderte der gebürtige Schotte John Muir – nach fast drei Monaten Fussmarsch aus San Francisco kommend. Muir blieb über zehn Jahre im Tal und erkundete fast jeden Bereich, überwältigt von der Schönheit der Natur, der Berge und Seen. Er entwickelte sich vom Naturforscher mehr und mehr zum Naturschützer, nahm viele der heutigen ökologischen Ideen vorweg. Er wurde zu einem der Pioniere der Naturphilosophie und der philosophischen Begründung des Naturschutzes und wird später zurecht als „Vater“ der Nationalparks bewertet. 1892 war er Mitbegründer des „Sierra Clubs“, eine der ersten und bis heute in Nordamerika eine der größten und einflussreichsten Naturschutzorganisationen. 1903 lud Muir den Präsidenten Theodore Roosevelt, der seine Bücher gelesen hatte, zum Besuch bedrohter Regionen ein. In Yosemite gingen beide auf eine mehrtägige Campingtour. Durch den Einfluss Muirs wurde das Yosemite-Valley vom zwischenzeitlich kalifornischen Staatspark wieder auf die Bundesregierung übertragen und 1906 zum Nationalpark umgewidmet.

Einer der ältesten und größten Mammutbäume, fast 2000 Jahre alt und über 80 Meter hoch, wurde nach General Grant, dem späteren Präsidenten benannt. Er steht in Kalifornien im Sequoia & Kings Canyon Nationalpark, 1890 gegründet. 1899, 1906 und 1910 entstanden drei weitere Nationalparks: der Mont Rainier Nationalpark (Washington), Mesa Verde (Colorado) und der Glacier Nationalpark (Montana). Alle bisher genannten Parks liegen im Westen der USA.

Im Jahr 1916 schließlich wurde der „National Park Service“ geschaffen. Eine Bundesbehörde, die zum Bereich des Innenministeriums gehört. Der erste Direktor war Stephen T. Mather. Die Direktoren werden direkt vom Präsidenten bestimmt. Nachdem der von Barack Obama eingesetzte Direktor Jon Jarvis im Januar 2017 beim Amtsantritt von Donald Trump aus dem Amt schied, ließ Trump die Stelle dauerhaft unbesetzt. Während seiner Präsidentschaft wurden die Gelder stark gekürzt und der „National Park Service“ durfte nicht mehr über aktuelle Umweltgefährdungen berichten. Erst im Dezember 2021 berief Joe Biden als neuen Direktor Charles F. Sams.

Aktuell gibt es 63 Nationalparks und über 350 weitere „Units“: Historische Plätze, Denkmäler und Schlachtfelder, Erholungsgebiete, Wanderwege und Schutzgebiete. Nach 1916 wurden auch Parks östlich des Mississippi begründet. Sie wurden mitunter durch Spenden reicher Amerikaner finanziert, wie zum Beispiel Great Smoky Mountains (Tennessee/North Carolina) durch John D. Rockefeller. Das ist der Park mit dem meisten Besuchern: 11,5 Millionen jährlich. Andere Parks, obgleich viel größer, aber abgelegen, haben nur wenige Tausend Besucher: So Gates of the Arctic in Alaska. 1916 wurden 31 „Units“ verwaltet. Fast jährlich bis in die Gegenwart kamen weitere hinzu. Einen besonders großen Zuwachs gab es 1933. Im Zusammenhang mit der großen Depression und dem „New Deal“ – der Antwort Franklin Delano Roosevelts auf die Weltwirtschaftskrise – übernahm der „National Park Service“ 50 weitere „Units“, vor allem historische Schlachtfelder und Gedenkstätten. In vielen noch kaum erschlossenen Parks wurden Straßen, Wanderwege, Campingplätze und erste Besucherzentren errichtet. Das war eine willkommene Arbeitsbeschaffungsmaßnahme über das Civilian Conservations Corps. Gleichzeitig rückten ökologische Ziele in den Vordergrund. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts gewann neben dem Schutzgedanken für die Pflanzen- und Tierwelt auch die Bildung der Besucher nach dem Konzept der Natur- und Kulturinterpretation immer mehr an Bedeutung. Nahezu jeder Nationalpark hat ein Besucherzentrum mit Museum und hauptamtlichen Rangern. Größere Parks unterhalten einen eigenen wissenschaftlichen Dienst. Für die Besucher gibt es vielfältiges Informationsmaterial, oft auch auf Deutsch. Auf Wunsch bekommen die Besucher viele persönliche Hinweise durch die Ranger.

Reist man in mehrere der Parks, lohnt sich auf jeden Fall der Kauf eines Jahrespasses. Mit diesem können die Insassen eines Autos alle Nationalparks für eine einmalige und seit vielen Jahren unveränderte Gebühr von 80 Dollar besuchen. Der Jahrespass lautet auf den Namen „America the Beautiful“, was in diesem Fall nicht übertrieben ist. Er spielt damit auf das in den USA beliebte patriotische Lied an. Es fungiert auch als inoffizielle Nationalhymne neben der offiziellen Hymne: „The Star-Spangled Banner“. Viele der Parks konnte ich in den vergangenen Jahren besuchen. Neben den üblichen Verdächtigen war es der Black Canyon of the Gunnison in Colorado, der für mich ein überwältigendes Erlebnis bot und dabei nicht so überlaufen war wie der – weitaus bekanntere – Grand Canyon in Arizona.

Der Charakter der einzelnen Parks unterscheidet sich stark. Während die abgelegenen Parks in Alaska oder auch der Congaree Nationalpark in den Sümpfen South Carolinas weitgehend Wildnischarakter haben, leiden Parks in der Nähe von Ballungsgebieten zumindest teilweise unter dem Massentourismus, wie heute das Haupttal des Yosemite-Nationalparks in Kalifornien.

Zu Nationalparks werden meist ausgedehnte Gebiete gemacht, in denen die Flora und Fauna vor menschlichen Eingriffen und Umweltverschmutzung geschützt werden sollen. Die Gebiete sind in der Regel ökologisch besonders wertvoll und von herausragendem landschaftlichen Reiz.

Nachdem in den USA der erste Nationalpark entstanden war, folgten bald Gründungen von Nationalparks in Kanada, Australien und Neuseeland. Nicht selten wurden zunächst die traditionell dort lebenden einheimischen Bewohner im Zusammenhang mit dem „Nutzungsverbot“ aus den nunmehr „geschützten“ Gebieten vertrieben. In Europa entwickelte sich die Nationalpark-Idee erst verstärkt nach dem Zweiten Weltkrieg, in Westdeutschland seit den 1970er Jahren, in Ostdeutschland seit den „Wende“-Jahren um 1989 und 1990. Auf der Welt existieren heute mehr als 2200 Nationalparks in über 120 Ländern. Eine erfreuliche Folge der besten Idee der Vereinigten Staaten von Amerika.