Die „Klebaktionen“ der „Letzten Generation“ und die Klimakonferenz in Sharm El Sheikh rücken – wieder einmal – die Klimapolitik ins Blickfeld. Um beides soll es hier nicht gehen, obwohl einiges dazu zu sagen wäre. Es soll sich vielmehr um Besonderheiten der Umwelt- respektive Klimapolitik drehen.
Was Politik sei, wird unterschiedlich definiert. Grundsätzlich sind damit Strukturen, Prozesse und Inhalte gemeint, deren Aufgabe es ist, Angelegenheiten von Gemeinwesen wie Staaten oder deren Verwaltungseinheiten durch verbindliche, auf demokratisch legitimierter Macht beruhende Entscheidungen zu regeln. Politik ist immer auch Kommunikation, Politiker und Parteien müssen Menschen von ihren Ideen und Vorschlägen überzeugen und Mehrheiten organisieren. Zielgruppen dieser politischen Kommunikation sind bestimmte Empfänger; das können Entscheidungsträger und Multiplikatoren oder auch direkt die Wähler sein. „Politiker“, „Entscheidungsträger“, „Wähler“ – in der Politik „reden“ immer Menschen miteinander; manchmal auch aneinander vorbei. Sie debattieren, streiten, sie brüllen sich an, schlagen Türen zu – alle menschlichen Reaktionen sind ihnen, da Menschen, nicht fremd. Konkret geht es um Politikbereiche, die den Sozialstaat gestalten, darunter die Renten- und Gesundheitspolitik, den Wohnungsbau, weiter geht es um den Rechtsstaat, die Bildung, öffentliche Sicherheit und so weiter; man kann die Beispiele häufen. Die „Redenden“ schließen, da häufig unterschiedliche (politische) Konzepte und Vorstellungen zu den Themen existieren, Kompromisse, verteilen Geld. Grenzen setzen der „politische Gegner“ und häufig genug das Geld, aber selbst dessen Menge und Verteilung unterliegt letztlich politischem Zugriff.
Besonderen Stellenwert im Politikkonzert hat verständlicherweise die Sozialpolitik; sie verantwortet den größten Posten im Staatshaushalt. Noch 1995, als die prekäre Lage der natürlichen Umwelt und die Bedrohung der Menschheit durch den Klimawandel auch schon hätte eines der drängendsten politischen Probleme sein müssen, schrieben Eingeweihte, dass „Sozialpolitiker und Umweltpolitiker (sich) wie fremde Völker (gegenüberstehen), zwischen denen allenfalls diplomatische Beziehungen bestehen“. Diese Beschreibung triff heute nicht mehr zu; allenthalben wird der „Versöhnung“ zwischen Sozial- und Umweltpolitik das Wort geredet. Trotz dieses richtigen Ansatzes bleibt die breit verstandene Umwelt- und Klimapolitik ein Sonderfall: Im Diskursraum dieser Politik befinden sich neben den „Redenden“ noch Dritte – die Natur in Gestalt ihrer Medien Boden, Wasser, Luft, das Klima. Diese Natur hat keine Stimme, sie „redet“ nicht. Eine mittelbare Stimme verleihen ihr nur Menschen, seien es Politiker, Wissenschaftler oder Engagierte. Diese Vermittlung hängt in unserer rational-wissensbasierten Gesellschaft wiederum unmittelbar vom dem Sich-zu-eigen-Machen einschlägiger wissenschaftlicher Erkenntnisse ab. Wobei diese nicht statisch sind, sondern der Forschungsdynamik unterliegen.
Das ist das eine. Das andere: Was sind ökologische Gefährdungen? Wie weit sind sie von Menschen konkret wahrnehmbar? Bei einem verschmutzten Fluss sind sie noch sicht- oder riechbar, nicht so jedoch bei den gravierenden Gefährdungen in heutiger Zeit, ausgelöst durch die Zunahme der globalen Temperatur. Die Erwärmung der Erde, zentraler Gegenstand nationaler und internationaler Klimapolitik, nimmt der Mensch, zumindest in der Mehrzahl der Erdregionen, kaum als unmittelbare Gefährdung seiner selbst wahr, weil sie sich nur langsam vollzieht und oft nur entlang abstrakter Theorien und Statistiken kommuniziert wird. Hinzu kommt, dass diese Gefährdungen noch großenteils in der Zukunft liegen. Daher neigen Menschen dazu, heute schon sichtbare Auswirkungen (Stürme, Hochwasser, Waldbrände) eher als unabwendbare „Naturkatastrophen, die es schon immer gab“, zu betrachten und nicht als unmittelbare Folgen ebendieser Erwärmung und der zerstörerischen Nutzung der natürlichen Medien. Psychologisch ist das insofern bedeutsam, als dass so die individuelle Motivation bei noch (zu) vielen gering ist oder gar fehlt, obige Gefährdungen ernst zu nehmen und sich als Betroffene zu sehen, sich zu informieren und persönliche Handlungsoptionen abzuleiten.
Im Blättchen vom 7. November 2022 beschreibt Erhard Crome in einem ideologie- und politikkritischen Text das Verhältnis von Politik und Wissenschaft: Es gebe „kein gesellschaftliches oder politisches Allgemeininteresse, das aus einer bestimmten wissenschaftlichen Einsicht oder Position bzw. Weltanschauung folgt. […] Verständigung über Interessenwahrnehmung in einem politischen Prozess erfolgt über Mehrheiten, deren Relevanz nicht dem Kriterium wissenschaftlicher Erkenntnis oder Einsicht folgt. Daran ist auch deshalb zu erinnern, weil heute wieder selbsternannte Avantgardisten unterwegs sind, die meinen, Vollstrecker von aus der Wissenschaft resultierenden Unausweichlichkeiten zu sein.“ Die Worte haben den Charakter einer Verlautbarung mit einem ausgesprochen verallgemeinernden apodiktischen Zug. Zwar hat Crome mit „selbsternannten Avantgardisten“ nicht Umweltbewegte im Sinn, aber in deren Namen will ich ihm widersprechen: Die praktische Umwelt- und Klimapolitik hat zumindest sehr „nahe“ an „von aus der Wissenschaft resultierenden Unausweichlichkeiten zu sein“; jedenfalls wesentliche näher als jede andere Politik!
Auch andere Politikfelder sind durch wissenschaftliche Expertise unterlegt, die sich die jeweiligen Interessengruppen, Parteien zu eigen machen, um damit in den politischen Aushandlungsprozess zu gehen. Die jeweiligen Standpunkte werden unmittelbar, direkt, von ihren Protagonisten vertreten.
Weil ökologische Gefährdungen nicht „direkt“ wahrnehmbar sind, können sich die „Ansprüche“ der natürlichen Umwelt und des Klimas – Ansprüche, die in der gegenwärtigen schon eingetretenen Lage unser aller ureigenstes Anliegen sein sollten – nur indirekt über naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse „artikulieren“. Wir Menschen können, und tun es auch permanent, in Naturräume eindringen, Lebensräume von Tieren und Pflanzen zerstören (woraus, nur zur Erinnerung, letztlich auch die Covid-Epidemie ihren Ausgang nahm), Land, Wasser, Luft übernutzen, verschmutzen; wir haben Prozesse angestoßen, über die wir die Kontrolle verloren haben und wir zahlen dafür einen immer höheren Preis. Nur durch die wissenschaftlich erlangten „Unausweichlichkeiten“ wissen wir überhaupt, wie hoch dieser Preis steigt und wann er „unbezahlbar“ wird, vulgo die Erde für Menschen ein zunehmend feindlicher Ort wird; letztlich nur noch in Nischen bewohnbar.
Menschen, Politiker müssen sich der Wissenschaftsergebnisse annehmen, um sie zu der hier in Rede stehenden Umwelt- und Klimapolitik zu „machen“; Natur und Klima werden nur indirekt, über einen Umweg, zu Politik. Kann es so zu einer „Politik der Natur“ kommen? Fraglich; sie könnte in der Suche nach entscheidenden Akteuren liegen. Die bisherigen jedenfalls ließen anderes, „Direktes“ häufig schneller politische Realität werden als Umweltfragen … was sich an Angela Merkels Kanzlerschaft dokumentieren lässt. Es sei – sagte Merkel – während ihrer Amtszeit in der Klimapolitik „nicht ausreichend viel passiert“, fügte dann aber hinzu: „Ich bin der Meinung, dass ich sehr viel Kraft für den Klimaschutz aufgewandt habe.“ Eine eklatante Fehlwahrnehmung: Ihr fiel die deutsche Solarindustrie ebenso zum Opfer wie Offensiven für eine umweltfreundliche Mobilität. Sie hat nicht nur die deutsche Autoindustrie in Brüssel mit Zähnen und Klauen in ihrem Festhalten am Diesel verteidigt, sondern auch den Ausbau der Windkraft – wenn überhaupt – nur noch in homöopathischen Dosen vorangetrieben. Vor diesem Hintergrund ist die offensichtliche Verzweiflung der „Letzten Generation“ verständlich; ihre bisherigen Aktionen sind jedoch nicht hinnehmbar. Sie deshalb als „Klima-RAF“ zu diffamieren, ist nach dem Politologen Wolfgang Kraushaar jedoch nur absurder „Überbietungswettbewerb“.
Schlagwörter: Angela Merkel, Klima, Letzte Generation, Stephan Wohanka, Umweltpolitik