Das Tier im Menschen“ heißt ein Roman von Emile Zola, der Anfang März 1890 beim Verleger Georges Charpentier in Paris erschien. Der Roman ist, wie Zola es selbst einmal schrieb, „ganz kurz gesagt, die Geschichte mehrerer Verbrechen […]. Das Tier im Menschen im Zeitalter der Zivilisation.“
Heißt das, tierische Mordlust steckt jedem Menschen im Blut seit grauer Vorzeit und verlangt immer wieder nach Blut? Das ist, ebenso ganz kurz gesagt, eine relativ einfache und naturalistische Erklärung, die auch den Tieren nicht gerecht wird und heute wohl keinen Titel mehr für ein Buch hergeben würde. Denn sie leben einfach ihr Leben und begehen keine Verbrechen. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das sich selbst zum Problem wird und fortwährend Erklärungen für sein Verhalten sucht – und fast nur bei anderen findet …
Sich im Animalischen zu erkennen, ist viel sinnvoller, denn wir können einiges von den andersartigen Geschöpfen lernen. Sie können beschützen und helfen, Kriminalfälle zu lösen, Verdächtige zu verhaften und Leben zu retten.
Mit diesem Sammelsurium von Fällen aus den letzten 30 Jahren kann man seinen Weltblick erweitern und vielleicht sogar etwas gute Laune und Rührung verschenken, wenn in gemütlicher Runde diese oder jene Geschichte zum Besten gegeben wird.
Fangen wir einmal mit dem Beschützerinstinkt an. Vor dem sicheren Tod retteten im November 1996 zwei Straßenhunde in der rumänischen Hauptstadt Bukarest ein kurz vorher geborenes Baby, das offenbar von seiner Mutter auf der Straße ausgesetzt worden war. Die Hunde hätten schwanzwedelnd bei Streifenpolizisten in der Nacht Aufmerksamkeit gesucht und diese zu dem Baby geführt. Im Dezember 2021 rettete in Indien eine streunende Hündin eine Neugeborene, die ausgesetzt worden war. Die Kleine lag nackt und noch mit der Nabelschnur versehen auf einem Feld im Bundesstaat Chhattisgarh. Anwohner hatten die Kleine nach einer kalten Nacht zwischen den Welpen der Hündin gefunden.
Eine „aufgebrachte Henne“ löste vor einem Friseur 2016 einen Polizeieinsatz im unterfränkischen Kitzingen aus. Wie eine Türsteherin habe sich das Tier vor dem Salon in Stellung gebracht, teilten die Beamten mit. Kein Kunde habe sich heraus oder herein getraut. Mit Brotkrumen hätten die Polizisten das Huhn schließlich angelockt und „in Gewahrsam genommen“. Es ist nicht bekannt, ob es dann im Suppentopf gelandet ist, weil ihr Beschützerinstinkt ja nur eine Show war und es nichts zu beschützen gab. Waren es verdrängte traumatische Erlebnisse aus ihrer Kükenzeit, an die sich die Henne erinnerte und wie neu durchlebte – mit allen negativen Gefühlen? Wir wissen es nicht.
Cheryl Smith, 22 Jahre alt, war im Mai 2003 im englischen York im Rollstuhl mit ihrem Golden Retriever „Orca“ spazieren gefahren. Doch dann geschah das Unglück. Sie kam mit ihrem motorisierten Gefährt vom Weg ab und stürzte eine Böschung hinab. Die Studentin landete bei Regen in einem Bach, der stetig anschwoll. Da sie eingeklemmt unter dem Rollstuhl lag, konnte sie sich nicht helfen. „Orca“, auf den Einsatz für Behinderte speziell ausgebildet, machte nach zwei Stunden endlich einen Jogger auf seine Herrin aufmerksam. Peter Harris, der Läufer, verstand zunächst den Hund gar nicht, aber „Orca“ ließ nicht locker. Er sprang ihn immer wieder an, um dann in eine bestimmte Richtung wegzurennen. Schließlich folgte Harrison dem Hund und fand die Verunglückte. Er rief die Feuerwehr, die die junge Frau schließlich befreien konnte. Wegen Unterkühlung musste sie im Krankenhaus behandelt werden. „Ohne ‚Orca‘ wäre ich möglicherweise im Bach gestorben“, sagte sie. „Es regnete in Strömen, und die Chance, dass irgendjemand zufällig vorbeikommen würde, war gleich null.“
In Kroatien bewahrte im Januar dieses Jahres ein Schlittenhund einen Wanderer vor dem Erfrieren, der im Velebit-Gebirge in einem schwierigen Gelände einen Abhang hinuntergestürzt war. Schnee, Glatteis, Gestrüpp und Erdrutsche – die Retter brauchten Stunden, um den am Bein schwer verletzten Mann zu bergen. Der Hund des Verunglückten, ein Alaskan Malamute mit Namen North, hatte sich kreisförmig auf den jungen Mann gelegt und ihn über 13 Stunden lang warm gehalten. Ein Held!
Aber Tiere sind auch treue Helfer der Polizei, wie die folgenden Fälle beweisen.
Ein Diebesduo stahl Ende 1994 im Prinzregenten-Theater in München dem Ersten Geiger sein 220.000 DM teures Instrument und rief ihn vom Heizungskeller des Theaters aus anonym an. Für eine bestimmte Summe könne er seine Violine wiederbekommen, so die Botschaft. Doch im Hintergrund waren die theaterbekannten Kanarienvögel zu hören, die die Anrufer damit im wahrsten Sinne des Wortes verpfiffen. Die beiden Diebe konnten umgehend festgenommen werden.
Ein Schäferhundmischling bewies im Februar des Jahres 2003, dass er auch durch Unterlassen ein Helfer der Polizei sein kann. In Konstanz am Bodensee stand er regelmäßig „Schmiere“, während sich sein 61-jähriger Besitzer über mehrere Opferstöcke in Kirchen hermachte und mindestens 100 Euro erbeuten konnte. Der Hund sollte immer bellen, sobald jemand die Kirche betrat – was er auch artig tat. Allerdings gab er keinen Ton von sich, als sich ein Geistlicher näherte, den der Hund gut kannte. Pech für den Besitzer, der schließlich ertappt wurde. Das Fazit der Polizei lautete: Auch auf den „besten Freund“ ist nicht immer Verlass.
Mit Hilfe eines gehorsamen Hundes stellte die Polizei in Zwickau im März 2003 zwei 23-jährige Diebe, die in ein Geschäft eingebrochen waren. Zur Diebesbande gehörte ein Schäferhundmischling. Aber als die Polizisten die beiden Ganoven stellen wollten, hörte nur der brave Vierbeiner auf die Aufforderung „Stehen bleiben, Polizei!“ Damit nicht genug: Eine Beamtin ergriff die Leine und verfolgte mit dem Hund das Herrchen, das sich wie sein Kumpan widerstandslos festnehmen ließ.
Ein russischer Schuldner hatte sich im Dezember 2012 im sibirischen Dorf Schagalowo bei einem Pfändungstermin in der Hundehütte versteckt. Sein Hund aber meinte offenbar, Herrchen wolle spielen, stöberte ihn auf und fing an zu bellen. Die Beamten holten den säumigen Zahler aus dem Holzverschlag. Der Mann zeigte sich enttäuscht: „Er hat mich ausgeliefert, und das nennt sich auch noch Freund.“ Abschließend zahlte er die Schulden von umgerechnet 350 Euro.
Ein Hund bewies im August 2015 auf der griechischen Insel Korfu ein ganz besonderes Gespür, als er zwei Häftlinge ertappte, die dabei waren, einen Fluchttunnel aus ihrem Gefängnis zu graben. Beim Morgenspaziergang mit seinem Besitzer habe der Hund plötzlich auf der Straße angehalten. Offenbar war er auf ein Geräusch unter der Erde aufmerksam geworden. Als der Hund sich weigerte, vom Platz zu weichen, rief der Besitzer die Polizei. Die entdeckte daraufhin die Häftlinge. Der Tunnel war bereits mehrere Meter lang.
Eine Herde von Kühen half 2018 der Polizei im US-Staat Florida bei der Festnahme einer Autodiebin. Die Polizei hatte zwei Verdächtige verfolgt. Eine Frau flüchtete sich auf eine Weide, so die Polizei im Bezirk Seminole County. Auf einem Video mit Infrarotaufnahmen war zu sehen, wie die Kühe die Frau verfolgten und dann einkreisten. So konnten die Beamten sie festnehmen.
Zunächst war der Polizeihund bei der Verfolgung eines Verdächtigen in Mülheim an der Ruhr im Januar 2020 wohl verwirrt gewesen; irrtümlich biss er einen Polizisten, der leicht verletzt worden sei. Polizeisprecherin Bettina Wehram sprach von einem „doofen Versehen“, das „zum Glück selten“ vorkomme. Der Hund machte seinen Fehler wieder gut: Er nahm die Spur des Flüchtenden auf und fasste ihn. Die Polizisten fanden bei dem Mann einen gefälschten Führerschein und Hunderte Euro Bargeld.
Und das Fazit? Der Begriff „tierische Grausamkeit“ ist für Tiere beleidigend, wird aber von ihnen zumeist geflissentlich überhört.
Schlagwörter: "tierische Grausamkeit", Beschützerinstinkt, Frank-Rainer Schurich, Hunde, Kriminalfälle