Von den Lebensdaten (1733–1813) her ließe sich 2022 nicht von einem Wieland-Jahr sprechen. Dennoch wird der Dichter gefeiert wie lange nicht. Literarische Spaziergänge gibt es, drei Ausstellungen waren und sind zu sehen, die Printmedien stellen Wieland vor allem als Wortschöpfer heraus.
Grund für diese Aktivitäten war der Entschluss des Erfurter Philosophieprofessors, vor 250 Jahren als Hofrat in die Nachbarstadt Weimar zu wechseln. Damit war das Fundament für die später Weimarer Klassik genannte Epoche gelegt, da Goethe, Herder und später Schiller ebenso in der Ilmstadt lebten und wirkten.
Die am 3. September eröffnete Oßmannstedter Dauerausstellung zeigt, dass sich Wieland den Schritt, als Prinzenerzieher zu arbeiten, lange und gründlich überlegt hatte. Anna Amalia warb um ihn, um dem jungen Carl August eine Staats- und Herzensbildung zu ermöglichen. Die Herzogin wollte zunächst Wielands pädagogisches „Konzept“ kennenlernen, das dieser im gleichen Jahr in seinem Roman „Der goldne Spiegel“ dargelegt hatte. Gespräche und Briefdialoge gab es, in denen ebenso über das Gehalt und die Lebensrente für den 39-Jährigen verhandelt wurde. Nicht zuletzt die Söhne Anna Amalias, Carl August und Constantin, entschieden, dass der ihnen längst vertraute Wieland ihr Lehrer werden möge. Als Carl August 1775 ins Amt kam, hob er – für den Fall, dass Wieland in Weimar bliebe – die Lebensrente an.
In Oßmannstedt, wo Wieland von 1797 bis 1803 als „poetischer Landjunker“ mit seiner großen Familie lebte, ist nunmehr eine Ausstellung zu erleben, die nicht ein Zeitalter besichtigt, sondern den Dichter Christoph Martin Wieland ins Zentrum des Interesses rückt. Wenig Authentisches ist zu sehen: Ein Schreibtisch aus der Wieland-Familie, Wielands kunstvoll verzierter Spazierstock und seine Kalotte, jene Kappe, mit der er 1808 – im Umfeld des Erfurter Fürstenkongresses – vor Napoleon stand. (In der Exposition wird an einer Stelle der Kongress mit der Jahreszahl 1708 versehen.) Die Ausstellung wird nicht mit Möbeln zugestellt, sondern sie lässt Platz und Luft – vor allem für lesehungrige Besucher.
Schwerpunkte der Schau sind unter anderem Wielands schriftstellerisches Werk (mit über vierzig Bänden), seine zahlreichen Übertragungen antiker Dichter und der Dramen Shakespeares, der Wortschöpfer Wieland, die Beziehungen des Dichters zu seiner Cousine Sophie La Roche, seine Arbeit an der ersten deutschen Oper, Wielands Interesse an der Französischen Revolution und vor allem die jahrzehntelange Herausgeberschaft des Teutschen Merkur.
Was er allein auf einem dieser Arbeitsfelder geleistet hat, würde genügen, um ihm einen dauerhaften Platz im europäischen Geistesleben einzuräumen. Nicht umsonst galt der Stilist als „Erster Dichter Deutschlands“. So lautet auch der Titel der Ausstellung.
In einer Ecke wird das Weimarer Quartett gezeigt: Wieland, Herder und Schiller in rechteckigen Rahmen, darüber Goethe, in ovaler Rahmung, herausgehoben. Vorsichtig wird so angedeutet, dass nunmehr ein Dichter der nachfolgenden Generation den Spitzenplatz in der deutschen Literatur und am Weimarer Hof einnimmt.
Die Oßmanstädter Leseausstellung kommt mit wenig „Flachware“ (Handschriften und Buchcover) aus. Auch verzichtet sie bewusst auf digitale Formate. Der Besucher kann stattdessen zu Hause weiter Wieland lesen: Zehn gediegen gesetzte Heftchen liegen aus, die man gratis mitnehmen kann. Im Gartensaal sind Wieland-Texte, namentlich einige seiner sinnlichen Versepen, zu hören – dargeboten von Corinna Harfouch und Matthias Brandt.
Mancher Besucher hätte sich vielleicht einige Informationen zur Wieland-Rezeption gewünscht. Der Flyer ist vor allem dem festlichen Auftakt der Ausstellung und weniger dem musealen Alltag gewidmet. Das gediegene Buch „Wielandgut Oßmannstedt“ von Fanny Esterházy bildet leider nur partiell die neue Wieland-Ausstellung ab.
Es besteht nicht der geringste Grund, nach einem Haar in der Suppe zu suchen. Die Ausstellung am authentischen Wohnort, zu dem eines der schönsten Dichter-Gräber Deutschlands gehört, ist großartig. Carl Philipp Reemstma ist neben den Schauspielern nicht nur als Sprecher zu erleben. Vor allem ist er der Kurator und Mäzen dieses Projekts. Seinem Autor (und sich selbst) hat der Wieland-Forscher so ein Denkmal gesetzt. Möge die Ausstellung, die man in diesen Zeiten (!) kostenfrei besuchen kann, dazu beitragen, dass mancher Besucher Texte dieses vielseitigen Dichters – der vormals ein Bestseller-Autor war – wieder einmal zur Hand nimmt.
Schlagwörter: Christoph Martin Wieland, Klassik, Oßmannstedt, Ulrich Kaufmann, Weimar