Er war der standesbewusste Nachfahre einer venezianischen Familie, die ein Wappen tragen durfte. Bereits in frühester Jugend bildete er sich in Venedig im Atelier seines Onkels, des berühmten Vedutenmalers Antonio Canal, genannt Canaletto, von dem er auch den Beinamen übernahm. Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, bediente sich in seinen in Italien entstandenen Werken Canals Malweise mit ihrem reichen Repertoire der Pinselstriche und den rasch aufgesetzten Lichtern, wobei jede Fläche und jeder Punkt im Kolorit des Ganzen chromatisch mitspricht Aber stets spielte bei ihm – im Unterschied zu seinem Onkel – die Zeichnung eine dem Bilde untergeordnete Rolle. Bellottos zeichnerisches Werk war nie mehr als Hilfsmittel zur Bildausführung. Einen selbständigen Wert beansprucht es nicht.
Sein Interesse am Leben einer fremden Stadt, ob das nun Dresden, Wien, München oder Warschau war, verbindet sich mit der für ihn charakteristischen Neigung, sich nicht mit der reinen Darstellung zu begnügen, sondern zu erzählen. Auf die Entwicklung dieses narrativen Sinnes sind viele Veränderungen zurückzuführen, die in Bellottos Kunst in Dresden, wo er sich zwischen 1747 und 1767 aufhielt, zu beobachten sind. Eine ganze Anzahl seiner Bilder hat er für den sächsischen Kurfürsten Friedrich August III. gemalt, der zugleich König von Polen war und während des Siebenjährigen Krieges in Warschau residierte. Da der mächtige Graf Brühl die gleichen Bilder wie der Kurfürst für sich persönlich haben wollte, musste Bellotto sie noch einmal malen. Erst nach dem Tode Brühls bekam er sie aus der Staatskasse bezahlt.
Einzigartig spiegelt sich in den Veduten des venezianischen Künstlers das alte Dresden in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Er hat aber auch die Ansichten von Pirna und der Festungen Sonnenstein und Königstein festgehalten. Nach Aufenthalten in Wien und München blieb er ab 1766 bis zu seinem Tod 1780 in Warschau, das er ebenso in Veduten malte.
Anlässlich seines 300. Geburtstages präsentiert die Gemäldegalerie Alte Meister im Dresdner Zwinger, die mit 36 Gemälden die weltweit größte Bellotto-Sammlung besitzt – eine Fülle von Leihgaben aus aller Welt sind dazugekommen – eine großartige Bilderschau der sächsischen Residenzstadt und ihrer Umgebung aus der Barockzeit. Es macht Freude, die unterschiedlichen Fassungen – aber auch Techniken, denn das Dresdner Kupferstichkabinett hat Radierungen beigesteuert – in ihrer panoramaartigen Ausführung wie im Detail zu vergleichen und dabei eigene Entdeckungen zu machen.
Seine Kompositionen plante Bellotto wohl mit Hilfe eines Apparates, der im 18. Jahrhundert unserem Fotoapparat am nächsten kam: der Camera obscura. Er malte nicht genau nach, was er sah. Er hat Gebäude mit ins Bild genommen, die er von seinem Standpunkt aus nie hätte sehen können, und er hat sie leicht gedreht. Wohl alle Stadtveduten sind mit Hilfe der Camera obscura entstanden. So fing er das alte Dresden vom rechten und vom linken Elbufer ein, sowohl oberhalb als auch unterhalb der Augustusbrücke, er malte den Neumarkt und den Altmarkt aus verschiedenen Sichten, die Frauen- und die Kreuzkirche, die Altstadt und die Ruinen der im Siebenjährigen Krieg zerstörten Pirnaischen Vorstadt.
Die Jahre 1759-60 hatte Bellotto in Wien und 1761 in München verbracht. 1762, gegen Ende des Siebenjährigen Krieges, kehrte er nach Dresden zurück. Sachsen war nach dem Kriege verarmt und musste sparen. Anstelle der guten Bezahlung als Hofmaler musste er sich mit dem bescheidenen Gehalt eines Mitgliedes der Kunstakademie begnügen. Er malte jetzt nur noch gelegentlich Veduten: einige Ansichten der zerstörten Stadtteile Dresdens und der Festung Königstein. Auf einem der Bilder schildert Bellotto den Aufbau der im Siebenjährigen Krieg von Kanonenkugeln der Preußen zerstörten Kreuzkirche. Gespensterhaft wie ein Skelett ragt der zerfetzte Stumpf des Kirchturms empor. Die expressive Kraft des Bildes steht im Kontrast zur sonst kühlen Objektivität der Darstellung.
Charakteristisch für die zweite Dresdener Periode waren jetzt die akademischen Architektur-Capricci. Der Künstler hat etwa 20 Bilder dieser Art ausgeführt. Die Phantasiearchitekturen, die jedoch auf reale Motive zurückgehen, umfassen Palasthöfe, Arkadenflügel und Treppen in komplizierten Raumfluchten, alle mit Staffagefiguren belebt. Nur wenige Capricci geben ein ganzes Stadtbild zusammengesetzt aus Dresdener Motiven wieder. Diese reich gegliederte Barockarchitektur, die auch antikisierende Elemente enthält, entspricht zwar nicht mehr dem Charakter einer Vedute, sie ist aber dennoch in die Ausstellung mit einbezogen worden. Zu den etwa 140 Exponaten zählen auch Bücher, Porzellane, Skulpturen, Instrumente aus dem Mathematisch-Physikalischen Salon, sie sollen einen Eindruck von der Bellotto-Periode in Dresden vermitteln. Anschließend wird die Ausstellung in veränderter Form im Königlichen Schloss in Warschau gezeigt.
In Bellottos besten Dresden-Veduten ist die Ansicht zugleich auch eine Vision. Und zwar nicht so sehr eine Vision des Ortes wie eine der Menschen. Die Gebäude hat er mit der Sicherheit langer Erfahrung hingesetzt. Es sind die Menschen, die unseren Blick gefangen halten. Figuren, Kleider, Gesichter, Gesten deutete Bellotto mit winzigen fetten Klecksen und Farbspritzern an. Er arbeitete mit einer gleichsam erheiternden Sicherheit. So bemächtigte er sich der Welt des Adels in ihren Kutschen, der Dragoner zu Pferde, der bürgerlichen Flaneure, der Krämer und Handwerker – die erregte Sorgfalt, die er auf die Bauwerke wendet, verschwendete er hier an einer menschlichen Haltung, dort an einem Wams. Der kaleidoskopische, vielfarbige Glanz dieses winzigen Durcheinanders von Menschen, die Summe all dieser mit unbeirrbarer Genauigkeit aufgebrachten Farbdetails ist höchst beeindruckend.
Bellotto hat sein eigentliches, geradezu besessenes malerisches Interesse auf die Menschen konzentriert, auf bewegte Dinge, die nicht ewig sind wie die Gebäude. So wogt auf der Ansicht des Altmarktes ein kaum übersehbares Menschengewimmel beim Markttreiben, während auf der Ansicht des Neustädter Marktes in Dresden nur wenige Figuren und Fahrzeuge sehr weiträumig über den Platz verteilt sind. Um den ruinösen Turm der zerstörten Kreuzkirche werken die Steinmetze und andere Handwerker, während neugierige Passanten zusehen. Am Neustädter Elbufer wird Wäsche aufgehängt, jemand versucht sich im Fischfang, Kinder spielen, ein Liebespaar ist mit sich selbst beschäftigt. Andere Ansichten wiederum sind menschenleer und die sich dahinziehenden Häuserzeilen am Elbufer haben in ihrer öden Verlassenheit etwas Melancholisches.
Erst Bellotto hat den Stil der venezianischen Vedute in Mitteleuropa eingeführt. Die barocken Bauwerke Dresdens, Wiens, Münchens und Warschaus präsentierte er in einer so suggestiven Weise, die zu erreichen den einheimischen Künstlern damals unmöglich war. Die Treue der Wiedergabe lässt die Vedute darüber hinaus zu unschätzbaren Dokumenten des gesellschaftlichen Lebens jener Zeit werden.
Zauber des Realen. Bernardo Bellotto am sächsischen Hof. Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger Dresden, tägl. 10–18 Uhr, Mo geschlossen, bis 28. August. Katalog (Sandstein Verlag Dresden) 48,00 Euro.
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