25. Jahrgang | Nummer 15 | 18. Juli 2022

Theaterberlin

von Reinhard Wengierek

Diesmal: „Diener zweier Herren“ – Hexenkessel Monbijou-Park / Porträtfilm „Bettina“, die Sängerin und Schauspielerin Bettina Wegner / „Das Paket“ – Berliner Kriminaltheater.

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Monbijou: Mit Spielwut im Herzen

Hurra! Monbijou ist wieder da. Zwei Jahrzehnte lang war das Hexenkessel Hoftheater mit seiner intimen Freilicht-Arena im Monbijou-Park ein Inbegriff sommerlicher Lebensfreude in der Mitte Berlins am Spreeufer gegenüber der prunkenden Fassade des Bode-Museums. Mit angeschlossener Pizza-Bäckerei, Ausschank sowie Salsa-, Tango-, Standard-Tanzpodium für alle neben den Liegestühlen der Strandbar. Dann kamen Beschwerden aus den neuen Luxuswohnungen in der Nähe – und das Aus. Und ein jahrelanger Kampf um Wiederbelebung der sommernächtlichen Vergnügungen; gestützt durch Online-Petitionen mit 17.000 Unterschriften, vorangetrieben vom neu gegründeten Verein ZweiDrittel.

Jetzt endlich kamen die neue Genehmigung und der neue Nutzungsvertrag für den Spielbetrieb. In Windeseile wurde die hölzerne Arena installiert samt dem ganzen schönen Drumrum mit Trinken, Futtern, Tanzen und Musike draußen am Spreewasser. Freilich nun nur noch bis 22 Uhr. Dann soll Nachtruhe sein …

Doch zuvor tobt Truffaldino, das Muster eines ausgebeuteten, zugleich aufmüpfigen, durchtriebenen Service-Personals, über die Bretter; genauer: übers nicht ungefährliche Pflaster Venedigs von 1746. Und verdingt sich aus purer Daseinsnot frech als Diener bei gleich zwei Herren in Carlo Goldonis Commedia dell’arte-Klassiker „Il servitore di due padroni“.

„Nix in der Tasche und noch weniger im Magen“, seufzt Carsta Zimmermann als Truffaldino und beschreibt sowohl dessen als auch die Situation der nicht subventionierten, also total freien Theatertruppe. Erstaunlicherweise befeuert der Missstand die Spielwut des gesamten Personals in der ausgeklügelten Regie von Jan Zimmermann. Und so nimmt denn das Verwechseln, Verstecken, Belügen, Betrügen, Kloppen und Küssen seinen rasenden Verlauf in Richtung Absurdistan.

Goldonis an Abgründen entlang taumelndes Jahrmarktsspektakel ist ja seit jeher ein Festspiel für sportive und wortgewandte Komödiantinnen (und Komödianten) mit jeder Menge Lust auf Zucker für deren Affen. Und so ist es auch jetzt: Da knallen die Pointen, krachen die Slapstickiaden, sitzen Auf- und Abgänge, klappen die fliegenden Rollen- und Kostümwechsel und spritzt das Wasser hoch, wenn jemand mit Karacho in den Canale Grande stürzt.

Das Publikum auf den voll besetzten Rängen amüsiert sich königlich und feiert zu guter Letzt lauthals die Schar der glücklichen Akteure Tobias Schulze, Roger Jahnke, Jefferson Prèto, Ina Gercke – und natürlich seinen Liebling, die hinreißende Carsta Truffaldino, stilbruchsicher, aber witzig, eingekleidet in zünftige Seppelhosen. – Was wir entzückt erleben ist der Beweis: Auch im kleinen Rahmen ohne großes Geld gelingt bei beherztem Zugriff und mit Lust prima Theater.

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Kino: Hoffnung haben

„Aufzustehn, wenn andre sitzen / Wind zu sein, wenn andre schwitzen / Lauter schrein, wenn andre schweigen / Beim Versteckspiel sich zu zeigen / Nie als andrer zu erscheinen / Bei Verletzung nicht mehr weinen / Hoffnung haben beim Ertrinken / Nicht im Wohlstand zu versinken / Einen Feind zum Feinde machen /Solidarität mit Schwachen …“

Liest sich sehr gut, diese klare Anleitung fürs eher unklare Leben aus dem schönen Album der Poesie. Doch erst, wenn dieser Text – Titel „Gebote“ – gesungen wird, eigentlich erst dann geht er wirklich unter die Haut, rüttelt am Herz, womöglich gar am Gewissen. Da möchte man der Sängerin Bettina Wegner zurufen: Ja, hast recht, das ist auch mein Lied, ist mein Kompass fürs richtig leben. Obwohl wir nur zu gut wissen: Des Lebens Alltag ist grau, schwer, schwierig. Dennoch, das Lied hat recht. Es ist ein Trotzdem. Und eine Utopie zugleich.

Der Regisseur Lutz Pehnert hat „Bettina“, ein feinfühliges Filmporträt gedreht über die Sängerin und Dichterin Bettina Wegner. In hundert Minuten wird ihr Leben aufgeblättert, gegliedert in einzelne Kapitel, deren Überschrift jeweils einen Vers des frühen Wegner-Songs „Gebote“ zitiert. Ein Lebenslied als Stichwortgeber fürs Erzählen eines Lebenslaufs. Großartige Grundidee für ein Lebensbild, das sich zusammensetzt aus lässig im Plauderton hingestreuten Kommentaren der (dabei unaufhörlich rauchenden) Wegner, aus Urteilen von Gefährten (verheiratet unter anderem mit Klaus Schlesinger) sowie Kollegen, aus historischen Filmaufnahmen und vor allem: aus reichlich Konzert-Mitschnitten von einst bis jetzt.

Wie ein roter Faden durchzieht das „Aufzustehen, wenn andre sitzen“ den heftig bewegten Lebenslauf der unverdrossen um ihren aufrechten Gang ringenden Wegner, einer zartfühlenden Idealistin mit robust sarkastischem Berlinertum, einer klugen Künstlerin, die sich unentwegt rieb am DDR-Unrecht. Und das umso heftiger, je schwieriger es nach Prag ’68 (sie verteilte Flugblätter, kam ins Gefängnis und zur Bewährung in die Produktion) oder nach „Biermann“ wurde, den Sozialismus für besser zu halten als den Kapitalismus.

Wegner wurde 1947 geboren, wuchs in Ostberlin auf in einem stramm roten Elternhaus, war, bevor sie die Wirklichkeiten realisierte und kritischer Verstand sie prägte, eine begeisterte Stalin-Verehrerin, tummelte sich später in der aufmüpfigen Ostberliner Jugendszene; zunächst unter den Augen der FDJ, dann ohne sie. Studierte kurz Schauspiel, dann schließlich Gesang (als Talent war sie bei Freund und Feind anerkannt), tourte durchs Land, avancierte zur Ikone der widerständischen DDR-Liederszene. – Ruhm!

Und fortan zunehmender Druck von oben. Dann Auftritte nur noch in Kirchen; Verweigerung der Ausweisung in den Westen, dafür Dauer-Visum BRD und eine zermürbende Zeit mit Kind, Familie sowie dem Hin und Her zwischen Ost (Wohnung Leipziger Straße) und West mit zahlreichen Engagements. Schließlich 1983 widerwillig die erzwungene endgültige Ausreise nach West-Berlin. Ausbürgerung. Die Obrigkeit war wieder eins ihrer aufsässigen, als feindlich denunzierten großartigen Kinder los.

Es war ein nicht unübliches Dissidentendasein. Doch auch nach dem Mauerfall war das Leben ja nicht Knall und Fall rosarot und himmelblau, galt weiterhin Bettinas altes Lied, waren ihre „Gebote“ nicht außer Kraft gesetzt. Also macht die Wegner tapfer weiter. Erzählt in ihren Liedern kleine, berückende Menschengeschichten, die mit feinem Hintersinn (oder auch mal ganz direkt) meist auf eins hinauslaufen: Doch bitte aufzustehn, mutig entgegenzuhalten, wenn andre ängstlich wegschauen oder stur sitzen bleiben.

Womöglich ist heutzutage die Wirkung ihrer Kunst nicht mehr so spektakulär und aufrührerisch, weht ihr Wind etwas weniger heftig, klingt alles ein bisschen leiser. Doch das Mut machen, das Hoffnung geben, auch das sanfte Streicheln der Seele ihres alten treuen, wie auch, ja auch neuen, jungen Publikums, das ist stark. Ist herzbewegend wie immer.

 

Der Film läuft am 9. August, 19.30 Uhr, bei freiem Eintritt im Open-Air-Campus-Kino im Innenhof der Stasi-Zentrale Ruschestraße 103, Berlin-Lichtenberg (U5 Magdalenenstraße). Um 18 Uhr gibt es als Vorprogramm eine Archivführung mit Bezug zum Film (nur hierfür Anmeldung T. 030-18665 6699 oder einblick-ins-geheime@bundesarchiv.de). Die Reihe Campus-Kino zeigt jeweils am Dienstag, Donnerstag und Samstag um 19.30 Uhr bis zum 3. September Spiel- oder Dokumentarfilme, die einen Bezug zum Stasi-Betrieb haben. 

www.stasi-unterlagen-archiv/campuskino

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Krimitheater: Im Irrgarten des Grauens

Plakate so groß wie Haustüren in Zentren deutscher Großstädte – nein, keine Werbung für Neu-Digitales, sondern, ziemlich ungewöhnlich, für Bücher. Genauer: für ein Buch; für den Kriminalroman „Schreib oder stirb“ von Sebastian Fitzek.

Kenner der Szene wissen Bescheid: Fitzek, Berliner, Jahrgang 1971, gelernter Jurist (Promotion im Urheberrecht), ist der Superstar unter den Autoren fürs Grusel-Genre. Seit seinem Debüt 2006 mit „Die Therapie“ steht er fest wie eine Eiche mit seinen Büchern an der Spitze der Bestsellerlisten. Und der Mann, Sohn eines Oberstudiendirektors, verheiratet, vier Kinder, produziert wie am Fließband. Verkaufte Auflagen bislang: 15 Millionen Exemplare. Millionen!

Lexika führen ihn als „erfolgreichsten deutschen Schriftsteller des 21. Jahrhunderts“; das Magazin Der Spiegel feierte ihn als „professionellsten und handwerklich zuverlässigsten Thriller-Autor Deutschlands“. Freilich, es gibt auch Gegenstimmen aus hochmögenden Kritiker-Gefilden („Nulllinie der Gegenwartsliteratur“). – Doch was soll‘s: Als erster deutscher Autor wurde Sebastian Fitzek mit dem Europäischen Preis für Kriminalliteratur ausgezeichnet, seine Werke sind weltweit zu haben, übersetzt in 36 Sprachen. Auch dienen sie als Vorlage für internationale Filmproduktionen sowie Theateradaptionen.

Erstaunlicherweise gelang es dem kleinen privaten Kriminaltheater bereits vor einem Jahrzehnt, den Fitzek-Bestseller „Der Seelenbrecher“ auf seine Friedrichshainer Spezialitätenbühne zu bringen. Die blutunterlaufene Geschichte um einen Psychopathen ist bis heute ein Dauerbrenner. Wie auch die Fitzek-Bühnenbearbeitungen „Die Therapie“ und „Passagier 23“.

Und nun wieder und zum vierten Mal ein Fitzek: Den Psychothriller mit zunächst harmlos klingendem Titel – „Das Paket“. Doch was da verpackt ist im Stück, ist das Entsetzen pur. In verrückten Zeitsprüngen werden jede Menge falsche Fährten ausgelegt, unglaubliche Was-wäre-wenn-Konstrukte gebaut, seelische Erregungen zur Explosion gebracht und sämtliche Mutmaßungen des Publikums auf den Kopf gestellt. Nur so viel sei verraten: Das Paket ist bloß der Auslöser einer unheimlich fortschreitenden Psychose der jungdamenhaften Psychologin Dr. Emma Stein (Alexandra Maria Johannknecht), die in ihrem feinen Grunewalder Hotelzimmer erst betäubt, dann vergewaltigt wird, wobei ihr auch noch die Haare abrasiert werden – so wie es ein polizeilich mit Hochdruck gesuchter Serienmörder („der Frisör“) zu tun pflegt, der nach der Rasur zusticht. Doch Frau Dr. Stein wurde eben nicht ermordet. Gibt es da etwa einen Zweit-„Frisör“? Verdächtigt wird das gesamte (akademische) Umfeld des Opfers, in dem – typisch ausgebufft Fitzeksches Verwirrspiel – im Laufe der Ermittlungen weitere Gräueltaten anfallen … Da hat man – wie auch die Regie – zu tun, sich zurecht zu finden im Irrgarten des Grauens. Weshalb Regisseur Wolfgang Rumpf das Ausspielen der seelischen Befindlichkeiten des Personals eher vernachlässigt und sich konzentriert aufs Ausbreiten des horrorhaften Intrigengespinsts.