25. Jahrgang | Nummer 12 | 6. Juni 2022

Sanktionen: Vor den „letzten“ erst noch die dümmsten Tage der Menschheit?

von Jürgen Oskar Brauerhoch

Früher gab es eine Dummheit, die sich untätig verhielt […].
Heute dagegen stößt man zusehends auf eine Dummheit,
die mit nie nachlassender Energie, rastlos schuftend,
alles angreift und zugrunde richtet.

Leonardo Sciascia

Wenn ich mich so umschaue in der dünnen Luft, die einen Neunzigjährigen umgibt, kommt es mir mitunter vor, als hätte ich diese Welt bereits verlassen, so weit entfernt, ja immer öfter geradezu absurd erscheint mir das Gehabe und Getue meiner Zeitgenossen der nachfolgenden Generationen: Zum Beispiel „Putins Krieg“. Da werden russische Dirigenten, Sänger und andere Künstler verjagt, Kaviar und Wodka aus den Regalen im Supermarkt genommen und Tschaikowsky-Konzerte abgesagt … alles, um der Ukraine „zu helfen“.

Ja, sind da totale Narren am Werk?

Was kann denn dieses weite Land, was können die Russen dafür, dass sich ein Wladimir Putin nach alter Tradition wie einst Iwan der Schreckliche aufführt. Schließlich hat ihn der sogenannte freie Westen unter Führung der in ihrer Geschichte ach so friedlichen USA mit der Ausweitung der NATO so in die Enge getrieben, dass er etwas machen musste!

Vor dieser ungeschickten, ja dummen Invasion in die Ukraine hat Putin ja einiges für sein Land getan – vor allem Russland vor der Auflösung Ende der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts bewahrt. Deshalb trauen ihm noch immer die meisten Russen über den Weg wie seinerzeit die überwältigende Mehrheit der Deutschen ihrem Führer Adolf Hitler. Nur die jungen Journalisten ohne Geschichtserfahrung wundern sich darüber und meinen, allmählich würden auch die Russen mitkriegen, was das für einer ist. Der Putin.

Dümmer aber noch der Westen: In einer grandiosen Propagandaschlacht mit dünnen Nachrichten und üppigen Bildern ist er dabei, wegen Putin ein ganzes, ein großes Volk zu verteufeln als Inbegriff des Bösen und die Menschen damit in eine Stimmungslage zu versetzen, die ein notwendiges künftiges Miteinander aussichtslos erscheinen lässt!

Alle vernunftbegabten Menschen, speziell in Deutschland, wissen aus der Geschichte, dass Frieden in Europa nicht gegen, sondern nur mit Russland möglich ist und es Deutschland gut ging, wenn es in gegenseitiger Akzeptanz mit Russland leben konnte. Von den „wirklich weisen Männer“ konnte man das signifikant in den Kommentaren zur Ukraine hören und lesen – aber das war die Generation, die den wahnsinnigen Krieg von 1939 bis 1945 noch selbst erlebt hat.

Die Jüngeren und vor allem die Medien folgen dem Mainstream in der Meinungsmache und sind augenscheinlich nicht fähig, sich unabhängig vom Trommelfeuer der sogenannten Sozialen Medien ein eigenes Bild zu machen. Es ist doch lächerlich, wenn die Fridays for future-Schulkinder mit STOP THE WAR-Plakaten durch die Straßen ziehen, ohne zu wissen, wer ihnen dabei helfen könnte, den Krieg zu beenden. Etwa die Eltern, die je nach Alter über die furchtbaren Verbrechen, die jeder Krieg mit sich bringt, fabulieren oder schweigen oder stolze Geschichten aus den Schützengräben erzählen? Oder etwa jene Lehrkräfte, die viel zu wenig und selten anschaulich über neuere Geschichte informieren und sich dem herrschenden Zeitgeist angepasst haben. Im Bundestag sitzen sie zuhauf, die Pädagogen der Republik!

Aber warum sollten die Teenies auch schlauer sein als ihre Eltern, die aus heroischer Solidarität mit der Ukraine nun gern das Doppelte für Gas, Strom und Öl, Benzin und wohl bald auch für Butter, Brot und Gemüse bezahlen, um Russland in die Knie zu zwingen. Dabei schneiden sie sich mit allen diesen „Sanktionen“ selbst ins eigene Fleisch! Das russische Volk ist genügsamer als der gehätschelte Westen, der nun im kommenden Winter auch noch frierend in ungeheizten Wohnungen zubringen wird. Welch eine masochistische Politik!

1922, vor genau hundert Jahren, hat Karl Kraus in „Die letzten Tage der Menschheit“ beschrieben, wie ungeeignet die Gattung Homo sapiens offenbar ist, mit dem Schicksal (und sich selbst) zurechtzukommen. Wenn ich in meinem Alter mich umschaue, werde ich den Verdacht nicht los, dass wir trotz aller bisherigen Dummheiten gerade dabei sind, jetzt – heute – „die dümmsten Tage der Menschheit“ zu erleben.

Kein gutes Gefühl beim Abschied aus dem 21. Jahrhundert!