Wer aus Platzgründen nur ein Buch mit in den längeren Urlaub nehmen, aber sichergehen will, dass Umfang, Gegenstand und Darstellung anspruchsvoll genug sind, dass es sich nicht einfach nur so ratzfatz „wegliest“ und man an späteren Regentagen dann doch ohne Lektüre dasitzt, dem sei des Sinologen Thomas Höllmanns Seidenstraßen-Monographie ans Herz gelegt, erschienen in der Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung.
Da in dieser Reihe bereits ein umfangreiches Werk zur maritimen Seidenstraße von Roderich Ptak vorlag, konzentriert sich Höllmann auf die Landrouten, behandelt überdies manche Themenbereiche nur kursorisch und lässt andere „völlig ausgeblendet“ – trotzdem sind 450 Seiten zusammengekommen. Seine Leser teasert der Autor dabei mit der Ankündigung an, dass sie „auf eine Spurensuche mitgenommen werden, in deren Verlauf sich eine große Bandbreite von Phänomenen erschließt, die in der Rück- und Gesamtschau als Elemente der Globalisierung betrachtet werden können. Das bezieht die Frage nach den ökonomischen Grundlagen, politischen Motiven und kulturellen Verschiebungen ebenso ein wie die Deutung der damit verbundenen Kontinuitäten und Brüche. So mancher Mythos zeigt dabei kräftige Risse.“
Das beginnt schon beim Begriff Seidenstraße, der es bei Google auf über 1,8 Millionen Treffer bringt und seit etwa zehn Jahren in vieler Munde ist, seit nämlich die Volksrepublik China mit der Neuen Seidenstraße ein gigantisches, Kontinente übergreifendes Infrastrukturprogramm (Straßen, Brücken, Eisenbahnlinien, Häfen, Flughäfen …) aufgelegt hat, in das bereits über 60 Länder in Asien, Afrika und Europa einbezogen sind und das manchen westlichen Kommentatoren als wirtschaftlicher und in dessen Gefolge auch politischer Eroberungsfeldzug Pekings erscheint, der noch dazu von den Eroberten in aller Regel freudig begrüßt wird. Der Begriff Seidenstraße hingegen bezieht sich zwar, seit er im Sprachgebrauch aufgetaucht ist, auf das Reich der Mitte und dessen Verbindungswege bis nach Afrika und in den Mittelmeerraum, ist aber keineswegs eine chinesische Wortschöpfung. Zurück geht der Begriff vielmehr auf die deutschen Geographen Carl Ritter (1838) sowie Ferdinand Freiherr von Richthofen (1887) und widerspiegelt somit keine chinesische, sondern eine eurozentristische Perspektive. Darüber hinaus hat der Begriff mit Straßen zwar auch zu tun, ist aber eine weit umfassendere Metapher „für die Kommunikationsstränge zwischen fernen Ländern, Völkern und Kulturen“ und steht als „Sammelbegriff“ für „ein Konstrukt […], für das unterschiedliche Phänomene und Zeithorizonte zusammengeführt wurden“. Dass „Politiker [und Journalisten – H.-P.G.] davon gerne den Gründungsmythos der Globalisierung ableiten“, steht auf einem anderen Blatt.
In den Fokus seiner streckenweise enzyklopädischen Betrachtungen gerückt hat Höllmann das chinesische Kaiserreich, das immerhin von 221 vor Christus bis 1911 währte und auf dessen Sendungsbewusstsein die Entwicklung von Austauschbeziehungen mit Regionen außerhalb der (wechselnden) Reichsgrenzen wesentlich fußte. Denn: „Dem chinesischen Kaiser oblag es, die Harmonie zwischen der Menschheit und dem Kosmos aufrechtzuerhalten. Sein Autoritätsanspruch war demnach nicht auf ein fest umrissenes Territorium beschränkt, sondern erstreckte sich auf die ganze Welt […].“ Handel war dabei einerseits ein zentraler Aspekt, doch der Austausch als solcher gestaltete sich vieldimensional: „Die antike Seidenstraße war zweifellos ein Netzwerk von mehr oder weniger gut ausgebauten Routen, die nicht zuletzt dem zügigen Gütertransport dienten. Genauso wichtig wie die Wege waren aber die Haltepunkte: häufig politische, ökonomische, soziale und kulturelle Konglomerate, an denen Menschen einander begegneten, die nicht nur Güter mitbrachten, sondern auch ihre eigenen Traditionen und Wertvorstellungen.“
Und über dieses gesamte Spektrum entfaltet Höllmman einen detailreichen, höchst farbenprächtigen – auch ganz im Wortsinne: durch zahlreiche Abbildungen – Bilderbogen, der den Leser in seinen Bann zieht.
Thomas O. Höllmann: China und die Seidenstraße. Kultur und Geschichte von der frühen Kaiserzeit bis zur Gegenwart, C.H.Beck, München 2022, 454 Seiten, 34,00 Euro (gebunden); 26,99 Euro (Kindle).
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