25. Jahrgang | Nummer 11 | 23. Mai 2022

Si vis pacem

von Klaus-Peter Möller

Wer den Krieg als Mittel der Politik akzeptiert, nimmt in Kauf, dass massenhaft Menschen getötet werden. Es gibt im christlichen Abendland eine lange, unselige Tradition, Begründungen dafür zu liefern, dem fünften Gebot und aller christlichen Nächstenliebe zum Trotz: „Du sollst nicht töten!“ Tucholskys berühmtester Satz ist eine etwas ungenaue, aber ziemlich medienwirksame Übersetzung. Nähme man diesen kategorischen Imperativ ernst, es wäre das Ende aller Kriege. Aber immer wird der „Heilige Krieg“, der gerade geführt wird, egal ob vom dschihadistischen Salafismus oder Sonstwem, zu einer Bedrohung, der sich die gesamte friedliebende Welt stellen muss, kurz: Wir als die Guten. Wer in so einer Situation den Ruf Bertha von Suttners aus dem Jahr 1889 wiederholt: „Die Waffen nieder!“ wird belächelt oder diskriminiert. Krieg hat immer die Tendenz zur Eskalation und zum Verbrechen. Dass auch Putins „Spezialoperation“ dies bestätigt, darf niemanden überraschen.

Si vis pacem para bellum. Wenn du den Frieden willst, rüste dich für den Krieg. In dem Punkt waren sich die Philosophen der vorchristlichen Welt einig, Plato, Cicero, Augustinus. Cicero stellte sich in seiner 7. Philippika dem römischen Senat als Anwalt des Friedens vor, begründete dann aber, warum ein Frieden mit Marcus Antonius schimpflich, gefährlich und unmöglich sei. Kriegsrhetorik und Propaganda. Die militärhistorische Literatur ist voll davon. Schuld hat immer der Gegner. Der Sieg macht viele Helden. Der Krieg lässt sich nicht vermeiden. Wir müssen unsere nationalen Interessen verteidigen. Und natürlich: Es ist eine Ehre, fürs Vaterland zu sterben.

Zehn Jahre lang führte Caesar einen barbarischen Krieg gegen die Bevölkerung von Gallien und Britannien, mit Mitteln, die man heute als Kriegsverbrechen und Völkermord einstufen muss, derer Caesar sich aber rühmte: das Blutbad am Zusammenfluss von Maas und Rhein, bei dem zehntausende Germanen vom Römischen Heer hingemetzelt wurden (De bello gallico IV,15), die Schande von Alesia, wo Frauen, Kinder und Greise zwischen den Fronten des Belagerungsringes um die Stadt verschmachten, in der sich Vercingetorix verschanzt hatte (De bello gallico VII,78).

Eine Blutspur des Grauens zieht sich durch die Literatur bis in die Gegenwart. Die Ilias berichtet von der Zerstörung Trojas und der grausamen Ermordung der Einwohner der Stadt. Das um 1200 entstandene Nibelungenlied erinnert an den Untergang des Burgunder-Reichs von Gundahar im Raum Worms in der Spätantike. Knietief wateten die Helden im Rittersaal von Worms im Blut. Das Rolandslied erzählt vom Massaker in der Schlucht von Roncesvalles, bei dem am 15. August 778 die Nachhut des fränkischen Heeres Carls des Großen auf dem Rückzug über die Pyrenäen niedergemacht wurde. In dem Roman Die Rose von Asturien von Iny Lorentz wurde der Stoff 2009 noch einmal aufgegriffen, natürlich trivialisiert und als Mittelalter-Romantik verklärt. Grimmelshausen schildert in seinem 1669 erschienenen Simplicissimus die Verbrechen des 30jährigen Krieges. Daniel Kehlmann greift diesen Stoff erneut auf und schreibt über das Leben des Menschen Tyll in der Zeit der Kriege, für die er schreckliche, ergreifende Bilder findet.

Aber immer und überall findet sich gleichzeitig auch das Gegenmittel, Hoffnung auf Frieden, eine Utopie, die Ächtung des Krieges, der Antiheld neben dem Helden, Papageno mit der Zauberflöte. Schon Homer warnte in seiner Ilias: „[…] schaudern sollst du vor Krieg, wenn du fern nur nennen ihn hörst.“ Aber den Hauptteil seiner Gesänge nehmen doch die Heldentaten der Griechen ein, der Zorn des Achill, der unstillbar entbrannte, die erbitterten Zweikämpfe auf Leben und Tod.

Aeneas, Sohn der Aphrodite, entzieht sich der Rolle des Helden vom Dienst, die ihm als dem tapfersten Trojaner nach Hektor eigentlich zukommt. Er flieht aus der untergehenden Stadt, rettet seinen Sohn und seinen alten und schwachen Vater, den er auf dem Rücken davonträgt. Auch das Palladion, das die Stadt beschirmende heilige Schutzbild der Athene, rettet er aus der brennenden Stadt.

In Aristophanes Komödie Lysistrata, 411 v. Chr. im 20. Jahr des pelepponesischen Krieges geschrieben, gelingt es den aufmüpfigen und mutigen Frauen der kriegführenden Parteien, durch einen Sexstreik den Frieden zu erzwingen. Die Milde und Versöhnungspolitik Kudruns wird als ein Gegenentwurf zum Kriemhilds Rache in der mittelhochdeutschen Literatur angesehen.

Christa Wolf nutzte die antiken Helden-Epen in ihrer Erzählung Kassandra (1983), um während der Zeit des Kalten Krieges die Vision einer friedlichen Welt durch einseitige Abrüstung zu befürworten. Die in der ersten Ausgabe von 1983 mitabgedruckten Frankfurter Poetik-Vorlesungen konnten in der DDR nur gekürzt erscheinen. Aber die findigen Ossis tippten die von der Zensur gestrichenen Passagen mit der Schreibmaschine ab und gaben sie so herum. Wegzensierte Stellen haben schon immer besonders interessiert.

Gilt das Si vis pacem para bellum auch heute noch? Wie dünn und verletzlich die Schutzwand ist, die uns von der atomaren Katastrophe trennt, haben wir in den vergangenen Jahren ein paarmal vorgeführt bekommen. Muss es heute nicht vielmehr heißen: Wenn du den Krieg nicht willst, bereite den Frieden vor, nicht nur bei dir zu Hause, sondern überall auf der Welt, bemühe dich um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ökonomischen Ausgleich. Es gibt keinen anderen Ausweg als eine globale Abrüstung. Sind uns die Bedrohungen gleichgültig, die von den schrecklichen Massenvernichtungswaffen ausgehen, den Atombomben, die eine vielfache Vernichtung allen Lebens auf der Erde garantieren?