Ich bin einer des achtzehnten Jahrhunderts. Ich denke in aller Bescheidenheit, dass meine Kunst nicht nur von einem Maler wie Watteau, von einem Fragonard, einem Hubert Robert abstammt, sondern dass ich einer der ihren bin.“ Dieser Ausspruch Auguste Renoirs kann wie ein Motto über der Ausstellung stehen, die derzeit unter dem (leider englisch orthographierten) Titel Renoir Rococo Revival im Frankfurter Städel zu sehen ist. Ihr geht es am Beispiel Renoirs um genau das: nämlich das Verhältnis des Impressionismus zur französischen Kunst des 18. Jahrhunderts zu erkunden – und das gelingt vorzüglich. Zu den verschiedenen Themen von Renoirs Malerei werden seinen Bildern Beispiele aus der Hochzeit des französischen Rokokos gegenübergestellt und sie ergänzen, erläutern, bereichern einander so hervorragend, dass sich die Selbsteinschätzung des Malers unmittelbar erschließt. Es beginnt mit den „Fêtes galantes“, wo etwa Watteaus „Einschiffung nach Kythera“ (in der Fassung von 1710) und Jean-Baptiste Paters „Fête champêtre“ neben Renoirs „Ruderern bei Chatou“ oder seiner „Promenade“ von 1870 stehen. Dieser Eingangssaal bietet überhaupt den voluptuösen Höhepunkt der Ausstellung, werden hier doch mit der „Grenouillère“, dem „Fin du déjeuner“ oder der „Balançoire“ von 1876 Ikonen des Impressionismus gezeigt, an denen man sich nicht sattsehen kann. Außerdem bietet der Raum mit Henri Barons „Sommerabend in Italien“ von 1846, Narcisse Virgile Diaz de la Peñas „Eleganter Gesellschaft in einem Park“ (1844) und Adolphe Monticellis „Rückkehr von der Jagd“ (1860/61) Beispiele vorimpressionistischer Malerei jenes Zweiten Rokoko, das mit seinen Krinolinen auch die Kostümmode zwischen 1835 und 1870 beherrscht hat – das bekannteste Beispiel bietet wohl Franz-Xaver Winterhalters Portrait der „Kaiserin Eugenie mit ihren Hofdamen“ von 1855.
Die folgenden Abteilungen beschäftigen sich mit Dekorationen, mit dem Boudoir als einem in seiner Intimität typischen Sujet des Rokokos – hier stehen Bouchers „Morgentoilette“ und seine „Louise O’Murphy“ neben Renoirs „Gabrielle“ von 1903 – und mit den Badeszenen, wo sich Bouchers „Diana“ und Fragonards „Badende“ mit Renoirs „Badenden mit Krabbe“ ergänzen. Stillleben und Landschaftsdarstellungen fand ich weniger interessant als die Akte und vor allem die Genredarstellungen und Rollenportraits, wo die Bezüge etwa zwischen Françoise Duparcs „Junger Frau bei der Handarbeit“ und Renoirs knapp ein Jahrhundert später entstandener „Lise beim Nähen“ oder zwischen Bouchers zur Ikone ihres Zeitalters gewordener Darstellung der „Madame de Pompadour“ und Renoirs Portrait „Madame Monet lesend“ von 1874 sofort ins Auge fallen.
Schaut man auf all diese Bezüge, taucht man ein in die Atmosphäre, die Renoirs Bilder ausmacht: riecht man die Blüten seiner Gärten, hört man das Lachen seiner Badenden, möchte man tanzen mit seinen Tanzenden. Spürt man all das, so scheint kein Zufall, dass Renoir als Porzellanmaler begonnen hat – die Porzellankunst ist geradezu das Kunsthandwerk schlechthin des Rokokos: klein, zerbrechlich, intim und zugleich von höchster Raffinesse. Renoir geht jedes Pathos ab, er liebt das Leben und die Liebe: das ist seine Humanität. Mehr braucht es nicht.
Die Ausstellung veranschaulicht nicht allein die mit ihrem Titel ausgedrückte und schon von Julius Meyer-Gräfe 1911 formulierte These („Renoir ist eine Verbindung der Gegenwart mit dem Dixhuitième, und zwar die deutlichste …“), sie vermittelt darüber hinaus jene wundervolle Leichtigkeit des Seins, die der Kunst sowohl der letzten Jahrzehnte des Ancien régime in Europa wie der des Fin de siècle zumindest in Frankreich eigen ist – eine Leichtigkeit, wie wir sie vielleicht gerade heute, vor den Untergängen eines neuen Jahrhunderts, noch einmal spüren wollen.
Renoir Rococo Revival. Der Impressionismus und die französische Kunst des 18. Jahrhunderts. Städel Museum Frankfurt am Main, noch bis zum 19. Juni. Der vom Inhalt wie von der Druckqualität her hervorragende Katalog kostet 39,90 Euro.
Schlagwörter: Auguste Renoir, Frankfurt am Main, Hermann-Peter Eberlein, Impressionismus, Malerei, Städel