25. Jahrgang | Nummer 9 | 25. April 2022

Die „Heiden“ von Rügen

von Dieter Naumann

Der 1884 in Biesenbrow, heute ein Ortsteil von Angermünde, geborene Ehm Welk hat mit seinen Büchern „Die Heiden von Kummerow“ (1937), „Die Lebensuhr des Gottlieb Grambauer“ (1938) und „Die Gerechten von Kummerow“ (1943) seinem Geburtsort (in den Romanen der fiktive Ort „Kummerow“) ein bleibendes literarisches Denkmal gesetzt. Den alten Biesenbrowern, die den Unterschied zwischen der Realität und ihrer literarischen Verfremdung nicht verstanden, galt er als „Nestbeschmutzer“, der sie und das Dorf „schlecht gemacht“ habe. Dass Welk aus künstlerischen Gründen Ereignisse erfunden und ihm bekannte Namen mit anderen Charakteren versehen hatte, ging nicht in ihre Köpfe.

1967 wurde in einer der wenigen Gemeinschaftsproduktionen der Bundesrepublik und der DDR der Film „Die Heiden von Kummerow und ihre lustigen Streiche“ unter anderen in den rügenschen Orten Vilmnitz, Krakvitz, Kasnevitz, Putbus und Bergen gedreht.

Die DEFA stellte als Co-Produzent neben einigen Nebendarstellern die Technik, die Schneideräume, das Kopierwerk, die Ausstattung sowie die Stabmitarbeiter und erhielt dafür die Aufführungsrechte für die sozialistischen Länder. Produziert wurde der Film von den bundesdeutschen Unternehmen Neue Deutsche Filmgesellschaft München-Geiselgasteig und Neuer Realfilm Walter Koppel aus Hamburg. Die anteiligen Kosten in Westmark übernahm Walter Koppel, die DEFA steuerte 900.000 Ostmark bei. Regie führte Werner Jacobs, Drehbuchautoren waren Johanna Sibelius und ihr Ehemann Eberhard Keindorff. Bekannteste Darsteller dürften Theo Lingen, der den Superintendenten Sanftleben verkörperte, und Ralf Wolter als Kuhhirt Krischan Klammbüdel gewesen sein.

Reinhard Piechocki stieß bei den Recherchen für sein 2021 erschienenes Buch „Ein Kirchturm und 2 Schwestern“ über das mittelalterliche Kirchdorf Krasnevitz und dessen Umgebung auf zwei Episoden im Zusammenhang mit den Dreharbeiten:

Der Pastor von Kasnevitz, Möller-Titel, vor dessen Haus eine Szene mit Theo Lingen gedreht wurde, lud während der Drehtage Lingen ins Pfarrhaus ein. Der nach Auskunft des Neffen von Möller-Titel heiter begonnene Abend endete im Streit, weil der Pastor Theo Lingen vorwarf, sich in der Rolle des Superintendenten falsch zu bewegen, falsch zu kleiden, falsch zu agieren und die Hände falsch zu halten. Obwohl der Pastor versuchte, seine vorsichtige Kritik zu erläutern, konnte der beleidigte Lingen erst nach Überredung durch das Filmteam zum Weiterspielen bewegt werden.

Die zweite Episode stand im Zusammenhang mit der Tierquälerei durch Müller Düker, der sein Pferd mit Peitschenhieben traktierte und zum rasenden Galopp antrieb. Für die nicht ungefährliche rasante Kutschfahrt mit einem Einspänner, nach der das erschöpfte Pferd verendete, wurde der Müller-Darsteller Fritz Tillmann durch den Krakvitzer Albert Seeck mit Bravour gedoubelt. Jener Albert Seeck weigerte sich später hartnäckig, seine Kühe und Pferde in die LPG Typ III einzubringen. Eines Tages in den 1970er Jahren kamen NVA-Offiziere, Soldaten und Vertreter des Rates des Kreises, um die Tiere zwangsweise in einen mitgeführten Viehtransporter zu verladen. Für den Pferdenarr und Pferdekenner eine Katastrophe. Der gerade noch rechtzeitig informierte Kasnevitzer Pastor, ein Freund von Seeck, schrieb einen um Jahre zurückdatierten Vertrag, wonach ihm die Pferde verkauft wurden und nur zur Pflege bei Seeck stünden. Da Kircheneigentum nicht enteignet werden durfte, mussten die wackeren Funktionäre zumindest ohne die Pferde abziehen.

1982 verfilmte die DEFA unter Regisseur Wolfgang Luderer „Die Gerechten von Kummerow“. Drehorte waren erneut unter anderem Vilmnitz, außerdem Stralsund und Sellin. Einziger in beiden Filmen auftretender Schauspieler war Hans Klering (Gründungsmitglied der DEFA) als Nachtwächter Bärensprung. An den Erfolg der „Heiden“ (mehr als vier Millionen Zuschauer) kam die „Gerechten“ nicht heran. Für die ebenso scharfsinnige wie -züngige Filmkritikerin der Satire-Zeitschrift Eulenspiegel, Renate Holland-Moritz, waren offenbar beide Filme nicht überzeugend. Ihr ernüchtertes Fazit lautete: „[…] die Heiden und die Gerechten von Kummerow sind auch durch ein versuchtes filmisches Attentat nicht totzukriegen.“