Bertolt Brecht setzte es in Worte: „Am Grunde der Moldau wandern die Steine / Es liegen drei Kaiser begraben in Prag. / Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine. / Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag…“ Hanns Eisler setzte es in Töne. Und Bedřich Smetana wandelte den königlichen Fluss in eine sinfonische Dichtung; der Romantik verpflichtet, dem Brauchtum und der Naturschönheit Tschechiens.
Zwei Quellflüsse, Warme und Kalte Moldau – die eine im Böhmerwald, die andere im Bayrischen Wald entspringend – vereinen sich, werden zum majestätischen Strom, der in der Landessprache Vltava heißt und 430 Kilometer durch Tschechien fließt, bevor ihn bei Mělník die Elbe aufnimmt. Die Moldau durchquert Waldgebiete und Auenlandschaften, zwängt sich durch enge Täler, wird viele Male angestaut, mäandert und streckt sich, wie es ihr gefällt. Sie begleitet an ihren Ufern die bekannten Städte České Budĕjovice (Budweis) und Český Krumlov (Krumlau). Und sie verschönt die ohnehin schönste Stadt des Landes: Prag.
Auf Bedřich Smetana wirkte die Moldau mit ihrem wechselvollen Lauf wie eine epische Dichtung, der man Klangbilder verleihen kann. Für einzelne musikalische Passagen gaben persönliche Naturerlebnisse des Komponisten die Vorlage. So wanderte er zur Warmen Moldau im Böhmerwald und zu den St. Johann-Stromschnellen, die zwar inzwischen in einem Stausee verschwunden sind, jedoch akustisch in der Tondichtung lebendig bleiben.
Aus Smetanas Tagebuch vom 14. August 1870: „Heute habe ich einen Ausflug zu den Sankt-Johann Stromschnellen unternommen. Da haben wir zu Mittag gegessen und sind durch die Wälder bis zum Sankt Johann Tor und danach sind wir mit einem Boot den Strom herab. Der Anblick der Landschaft herrlich und großartig.“ Herrlich und großartig entfaltet sich auch klanglich die Natur in der Komposition.
Smetana versah die aufeinanderfolgenden Tongemälde mit Überschriften, die er später in einer Inhaltsbeschreibung zusammenfasste: „Moldau. Die Komposition schildert den Lauf der Moldau, beginnend von den beiden ersten Quellen, der kalten und der warmen Moldau, die Vereinigung der beiden Bächlein in einer einzigen Flut; dann den Lauf der Moldau in Wäldern und Fluren, durch Landschaften, wo eben fröhliche Feste gefeiert werden; beim nächtlichen Mondschein der Nymphenreigen; auf nahen Felsen ragen stolz Burgen, Schlösser und Ruinen empor; die Moldau wirbelt in den St. Johann-Stromschnellen; sie strömt im breiten Fluss weiter nach Prag, Vyšehrad erscheint,“ (Burgberg südlich von Prag) „schließlich verschwindet sie in der Ferne in ihrem majestätischen Lauf in der Elbe.“ – Jede der Episoden wurde musikalisch untermalt mit einer charakteristischen Eigenschaft des Gewässers: leise trällernd oder lustig springend, auch ruhig fließend oder eilend, tosend und breit strömend.
Am 4. April 1875 erlebte „die Moldau“ im Beisein des Komponisten ihre Erstaufführung in Prag. Ein Triumph! „Man braucht sich nicht zu wundern, dass die Komposition mit ihrem duftigen, blumigen Kolorit und ihrem hinreißenden Strom das Publikum in höchstem Maße entzückt hat. Die Hervorrufe des Komponisten wollten fast kein Ende nehmen.“ – Bedřich Smetana befand sich zu dieser Zeit bereits im Zustand völliger Taubheit. – Das Werk gehört zu seinem sechsteiligen sinfonischen Zyklus „Mein Vaterland“ (Má Vlast).
Auf nach Prag! Dort begrüße ich sie, die Königliche. Mit einer eleganten Schleife zieht die Moldau durch die „Stadt der hundert Türme“, nimmt große und kleine Wasserläufe auf und Inseln und gewährt mit fünfzehn Brücken den Wechsel ihrer Ufer.
Ich möchte ihr ganz nahe sein und gehe zum Schiffsanlegeplatz am „Dvořak-Ufer“. Das Schiff am Steig 16 heißt „Maria“, ist freundlich rot-weiß und bietet eine Nachmittagsfahrt flussaufwärts an. „Sie sehen Prag vom Wasser aus und erleben die Stadt neu,“ verkündet eine Stimme in drei Sprachen aus dem Lautsprecher. Voller Erwartung und ein wenig feierlich gestimmt, nehme ich Platz am Panoramafenster. Die Schiffsglocke läutet. „Maria“ löst sich langsam von der Kaimauer. Leise tuckert der Motor als halte er Zwiesprache mit dem Fluss. Im Vorbeifahren erscheint an der gegenüberliegenden Mauer in großen Buchstaben eine Liebesbotschaft: „Cecile I love you!“
Lebhafter Schiffsverkehr, verschieden beflaggt; Spaziergänger, Hunde, Benzin- und Pferdekutschen auf den Uferstraßen. Und die stattlichen, prächtigen, geschichtsträchtigen Bauten, die den Fluss auf seiner Durchreise willkommen heißen: Der Gebäudekomplex der Juristischen Fakultät, die zur Karls-Universität gehört, der ältesten Lehrstätte im deutschsprachigen Raum. Am Rudolfinum vorbei, dem Sitz der Tschechischen Philharmonie, ausgestattet mit Konzert- und Galeriesälen. Rechtsufrig über den Dächern zeigt sich die grüne Kuppel der St. Franz-von-Assisi Kirche; und linksufrig grüßt der Hradschin (nördlicher Burgberg von Prag) mit den Türmen des Veitsdoms.
Unser Schiff nähert sich der Karlsbrücke. Unstreitig eines der Wahrzeichen der Stadt. Viel besucht, viel begangen. Aus der Untersicht heraus gleichen die Fußgänger dort oben wie Figürchen, die auf einer Bühne agieren. Karl IV. beauftragte den jungen Architekten Peter Parler im Jahr 1357 mit der Errichtung der Brücke aus Sandsteinquadern. Die Einmaligkeit und der Reiz dieses Bauwerks liegen wohl im Zusammenklang von gotischer Brückenarchitektur und dreißig barocken Statuen und Statuengruppen, die den Schmuck der Karlsbrücke ausmachen. Der Altstädter- und der Kleinseitner Brückenturm bilden jeweils den krönenden Abschluss.
Die „Maria“ wirft Schaumkronen während der Brückendurchfahrt und wendet. Dicht am „Smetana-Ufer“ hat der Komponist sein gleichnamiges Museum. Und ganz in der Nähe liegt das Clementinum. Ein ehemaliges Jesuitenkolleg, welches nunmehr die Tschechische Nationalbibliothek beherbergt.
Musik begleitet die Rückfahrt. „Die Moldau“ erklingt und nimmt den Rhythmus der Wellen auf, als Abschiedsgruß an den Fluss, die Stadt und das Land.
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