25. Jahrgang | Nummer 7 | 28. März 2022

Wie zu Kants Zeiten: Aufklärung tut not

von Hans-Peter Götz

Erste Sätze von Büchern müssen nicht, können aber die generelle Marschrichtung all dessen umreißen, was zwischen den Buchdeckeln zu entdecken sein wird. Patrik Baab hat sich für ein solches Vorgehen entschieden: „Dieses Buch ist den Gedanken der Aufklärung verpflichtet.“ Und zwar im Sinne von deren „Erfinder“, des Königsberger Philosophen Immanuel Kant also, den Baab mit dessen Definition zu Wort kommen lässt: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist die Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“

Anschließend umreißt Baab sein eigenes Credo: „Aufklären – das heißt in der Praxis: Recherchieren. Durch Recherche lassen sich Falschinformationen und Rechtfertigungslügen der Machteliten widerlegen. Recherchieren im engeren Sinne ist ein Verfahren zur Beschaffung von Informationen, die ohne diese Arbeit nicht preisgegeben und damit nicht bekannt würden. Investigatives Recherchieren bedeutet, Informationen gegen die Interessen und den Widerstand mächtiger gesellschaftlicher Kräfte zu beschaffen. Recherchieren wird so zu einem oppositionellen Konzept. Dazu gehört auch die Realitätsprobe. Das bedeutet zu überprüfen, ob eine Aussage der Wirklichkeit entspricht.“

Heute werden massenhaft „Aussagen, die von der Realität nicht gedeckt sind, […] verbreitet“. Dahinter stehen in der Regel Interessen. Es gilt also, über die Realitätsprobe hinauszugelangen und die Verbreiter […] zu identifizieren, sie zu benennen und ihre Interessen transparent zu machen.“ Das sei „ein Handwerk. Man kann es erlernen.“ Bereits zuvor hatte Baab konstituierend festgestellt, dass „Distanz zum herrschenden Meinungsklima […] zur Voraussetzung von Erkenntnis“ geworden sei.

Der anschließende umfangreichste Teil des Buches trägt den Charakter eines Lehrbuches, das den Werkzeugkasten des von Baab so bezeichneten Handwerks und die Handhabung von dessen wichtigsten Instrumenten im Detail durchexerziert – bestens geeignet für angehende Journalisten, werdende Blogger und für auch solche Zeitgenossen, die sich im Hinblick auf Informationsbeschaffung und -bewertung weiter professionalisieren wollen.

In seinem Essay „Recherchieren in Zeiten der Gegenaufklärung“, das den Abschluss des Buches bildet, analysiert der Autor die heute allenthalben anzutreffende „weltanschaulich synchronisierte Berichterstattung“ der Mainstreammedien, die in erheblichem Maße deren privatkapitalistischer Eigentums- und Interessenstruktur entspringt. Und auch dem vorherrschenden Berufsstand der Branche, den Journalisten, „die sich in einem Anfall von Hybris gerne als ‚Vierte Gewalt‘ bezeichnen“, stellt Baab ein höchst ernüchterndes Zeugnis aus: „Entgegen dieser Selbstidealisierung üben sie meist keine wirksame Kontrolle der politischen und wirtschaftlichen Machtzentren aus. Vielmehr wirken sie durch ihre Nachrichtenselektion und -interpretation als Torwächter bei der Formierung des öffentlichen Diskussionsraumes. Diese Blickverengung ist zu einem Gutteil ihrer sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verflechtung mit den herrschenden Eliten geschuldet.“ Die Folge sei „neoliberale[r] Gesinnungsjournalismus“, welcher seine Betreiber „nicht nur zu Mitläufern, sondern zu Propagandisten der Entdemokratisierung werden lässt“.

Scharf geht Baab in diesem Zusammenhang mit der Forderung nach journalistischer Neutralität ins Gericht, die ein stets verkürzt und letztlich sinnentstellend zitiertes Diktum von Hans Joachim Friedrichs, das heute sogar einem nach ihm benannten Journalistenpreis als Leitspruch dient, auf folgenden Punkt bringt: „Ein Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten.“ Dagegen setzt Baab sein apodiktisches Veto: „[…] journalistische Neutralität […] ist selbst Ausdruck einer Interessenposition, nämlich der, die gegenwärtigen Zustände als gegeben hinzunehmen“. Als Rechercheur „ethisch zu handeln“, bedeute vielmehr, „zu fragen: Trägt meine Veröffentlichung zu mehr Gleichheit und Gerechtigkeit bei? Trägt sie dazu bei, Herrschaftsverhältnisse abzubauen […]?“

Patrik Baab: Recherchieren. Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung, Westend Verlag, Frankfurt/M. 2022, 272 Seiten, 20,00 Euro.