In Kiew steht das Denkmal zur Erinnerung an Bohdan Chmelnyzkyj, den Anführer eines Kosakenaufstands in den Jahren 1648/57. Das Monument gilt als ein positives Sinnbild für die in der Gegenwart um eigene nationale Identität ringende Ukraine. Es ist ein schwieriges Unterfangen. Denn das Standbild ist zugleich ein Mahnmal, das an die Jahrhunderte währende politische Zerrissenheit der Lande links und rechts des Flusses Dnjepr erinnert. An den ewigen Zankapfel zwischen den monarchischen und imperialen Großmächten.
Bohdan Chmelnyzkyj, späterer Hetman des ukrainischen Kosakenstaates, wurde um 1595 nahe Lemberg als Sohn eines polnischen Kleinadeligen geboren. Jesuiten erzogen ihn im katholischen Glauben. 1620 nahm er, im Herzen selbst ein Kosak, an dem Feldzug polnisch-litauischer Krieger gegen die Osmanen teil. Damals besaßen die Moskauer Russen noch keinen beherrschenden Einfluss auf ukrainische Gebiete. Die Dynastie der Romanows steckte noch in den Kinderschuhen und krankte an den Folgen der erst 1613 beendeten Besetzung durch Polen.
Chmelnyzkyj wurde gefangengenommen und zwei Jahre später freigekauft. Er lebte fortan ruhig auf seinem Besitz und tolerierte sogar die harschen Restriktionen der polnisch-litauischen Krone gegen die Kosaken – bis zu dem Tag, an dem polnische Magnaten seinen Besitz niederbrennen ließen, Frau und Sohn ermordeten und ihn vertrieben.
Was folgte, illustriert die Kompliziertheit der geopolitischen und ethnischen Komplexität, in der sich die Ukraine entwickelt hat und die nicht auf einen europäischen Ost-West-Gegensatz reduzierbar ist, wie er für das Verhältnis zwischen Russland und Westeuropa charakteristisch ist.
Bohdan Chmelnyzkyj sann auf Rache und Vergeltung. Er ging in die „Saporoger Sitsch“, in das Siedlungszentrum der Kosaken am Dnjepr. Die griechisch-orthodox orientierten Kosaken, stets bereit, den katholischen polnischen Pans, die ihnen ihre Privilegien und Freiheitsrechte nehmen wollten, den Kopf vom Rumpf zu säbeln, rüsteten ihr Heer auf. Eine Beratung (Rada) von 8000 Kosaken wählte Bohdan zu ihrem Hetman. Sie schlossen ein Bündnis mit dem muslimischen Khan der Krimtataren Islam-Girej und folgten Bohdan 1648 in die Schlacht gegen das Heer der polnisch-litauischen Krone.
Der Hetman vertrat die Auffassung, dass er für einen dauerhaften Sieg die Unterstützung durch den russischen Zaren in Moskau benötigte. Doch Moskau zögerte und wollte keinen neuen Krieg mit Polen-Litauen riskieren, lieferte aber kriegswichtige Materialien und Waffen. Den Kosaken blieb vorerst nur der Beistand durch den Krimkhan, der allerdings teuer erkauft werden musste. Die Tataren rissen beim Vormarsch nach Westen den Löwenanteil der Kriegsbeute an sich.
Weit schwerwiegender wog, dass sich Kosaken und Tataren des grausamen Völkermords schuldig machten. Polnisch-katholische Geistliche, Jesuiten, Adelige, einfache ukrainische Bauern und vor allem Juden wurden in Pogromen hingemetzelt. Schätzungen sprechen von bis zu 42.000 zivilen Opfern, etwa 10.000 davon waren Juden.
Das die Region beherrschende Polen-Litauen war zeitweilig durch den Thronwechsel von Wladislaw IV. auf Johann II. Kasimir geschwächt und nahm die wilden Kosaken zunächst nicht besonders ernst. Kasimir versuchte die Aufständischen im Oktober 1648 bei Verhandlungen in Perejaslaw mit kleinen Zugeständnissen abzuspeisen. Vergeblich. Chmelnyzkyj wurde zum Staatsfeind erklärt und im Sommer 1649 kam es bei Sboriw an der Landstraße zwischen Lemberg und Ternopil zur Feldschlacht.
Khan Islam-Girej entschied das Treffen durch seinen Verrat an den Kosaken. Er wollte kein geschwächtes oder gar von Kosaken beherrschtes Polen. Bei erneuten Verhandlungen in Perejaslaw wurde ein Kompromiss erzielt. Amnestie für alle, Religionsfreiheit, keine Stationierung polnischer Truppen auf kosakischem Gebiet, das alles stellte die Kosaken jedoch nicht zufrieden. Der Frieden blieb brüchig. Beide Seiten rüsteten weiter auf. Und der Krieg begann wieder Im Februar 1651 marschieren die polnischen Truppen gegen Kiew und stellen die vereinigten Kosaken-Tataren bei Luzk. Wieder verriet der Khan die Kosaken, die wurden geschlagen und mussten nach dem Fall Kiews in die Weite der wilden, unbegrenzten Steppen fliehen.
Für ein halbes Jahr verließ Bohdan die historische Bühne, unbekannt warum und wohin. Im September verhandelte man wieder. Es gab neue Verträge, neue Scharmützel, der Kampf wogte hin und her und das Feuer der Kosaken erlosch langsam aber sicher. Beide Parteien erschöpften sich gegenseitig. Chmelnyzkyj sah nur einen Ausweg aus der Krise: Moskau soll vermitteln. Er wandte sich 1653 ein zweites Mal an Zar Alexej. Der Ruf war nicht vergebens. Moskau erklärte Polen-Litauen den Krieg, einen Krieg, der bis zum Jahre 1667 dauern sollte. Anfang 1654 tagte die Rada wieder in Perejaslaw. Der Zar gewährte für 60.000 Mann die gleichen Rechte wie für die anderen Kosaken des russischen Reichs am Don und im Ural sowie Religionsfreiheit. Die ukrainischen Kosaken leisteten daraufhin in ihrer Mehrheit dem russischen Zaren den Treueid. Das Hetmanat unter Chmelnyzkyj auf dem linken Ufer des Dnepr, einschließlich Kiews, war damit de jure Bestandteil Russlands. Die Westukraine blieb unter polnischer Herrschaft.
Hetman Chmelnyzkyj legte 1657 sein Amt nieder und starb kurz darauf. Nüchtern betrachtet, begründet sich der Ruhm des ukrainischen Nationalhelden Bohdan Chmelnyzkyj auf den Kampf der freien Kosaken gegen das Königreich Polen-Litauen –auf dem Rücken der ukrainischen Bauern und im Bündnis mit dem russischen Reich, dessen Herrscher in den folgenden Jahrhunderten alles unternahmen, die Kosaken regelrecht zu domestizieren und all ihrer stolzen Freiheitsrechte zu berauben. Darin unterschieden sich weder der Reformer Peter I. noch die aufgeklärte Katharina II.
Polen hat den alten Feind nicht vergessen: Henryk Sienkiewiczs Roman „Mit Feuer und Schwert“, erschienen 1884, ist 1999 von Jerzy Hoffmann als Historienepos mit großem Erfolg und harscher Kritik verfilmt worden. Roman und Spielfilm rührten an die unbewältigten langwierigen historischen Probleme polnisch-ukrainischer Feindschaft, Missverständnisse und Animositäten, die heute angesichts der von Moskau ausgehenden Kriegsführung überlagert werden. Und in Kiew zeigt das Reiterstandbild den Kosaken Bohdan Chmelnyzkyj in trotziger Heldenpose …
Die Ukraine hat es wahrlich schwer, zu einer eigenen nationalen Identität zu finden.
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