Friedrich Ludwig Christoph Jahn (1778–1852) gehört – ähnlich wie sein Freund Ernst Moritz Arndt – zu den umstrittenen Persönlichkeiten: Im Kaiserreich wurde er einerseits extrem abgelehnt, galt aber andererseits als patriotischer Übervater, für Arbeiterturnvereine war er bewunderter Revolutionär. Den Nazis kamen seine Volkstum-Phrasen gerade recht, Hitler würdigte ihn als „Vater einer umwälzenden Bewegung“. Das tat der Jahn-Verehrung weder in der DDR noch in der Bundesrepublik Abbruch. Jahn wird aber auch als radikaler Nationalist und Antisemit charakterisiert.
„Turnvater Jahn“ hatte Rügen schon als Greifswalder Student kennengelernt, laut Brockhaus von 1884 lebte er bereits damals „in freundlichem Verkehr“ mit Ernst Moritz Arndt.
1794 besuchte Jahn das Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin, musste es jedoch wegen Undiszipliniertheiten ohne Abschluss verlassen. Ähnlich erging es ihm in den folgenden sieben Jahren an verschiedenen Universitäten, die er wegen schlechter Führung, Streitsucht, wiederholter Gewalttätigkeiten und des nie bestandenen Abiturs verlassen musste. In Leipzig wurde ihm 1800 der Prozess wegen illegaler Immatrikulationen gemacht, der Zugang zu allen deutschen Universitäten wurde ihm verwehrt.
Als Hilfslehrer angestellt, war Jahn ab 1810 am Gymnasium zum Grauen Kloster und an der Plamannschen Erziehungsanstalt in Berlin tätig. Letztere, ein Knabeninstitut, arbeitete nach den Grundsätzen Johann Heinrich Pestalozzis und hielt die Schüler zu körperlicher Abhärtung und Ausübung der „Turnkunst“ an. 1811 eröffnete Jahn in der Berliner Hasenheide seine öffentliche Turnanstalt. Von zwanglosen Spielen und Spaziergängen ging er bald zu straff organisierten Übungen über, an denen auch Mädchen teilnehmen konnten. Vorbild waren die von Johann Christoph Friedrich GutsMuths (1759–1839) in zahlreichen Schriften veröffentlichten Grundsätze und Methoden. Jahn hatte GutsMuths bereits 1807 kennengelernt. Unter „Turnkunst“ als einem wesentlichen Teil der neuen Pädagogik und der Volksgesundheitspflege verstand man seinerzeit „die Gesamtheit der zu zweckbewusster, geregelter, harmonischer Ausbildung des Körpers dienenden Leibesübungen“. Was zunächst als „Gymnastik“ bezeichnet wurde, nannte Jahn „Turnen“, verstand darunter aber auch Spiele, Leichtathletik, Schwimmen, Kraftsport, Fechten, Klettern und Wandern. 1816 erschien die „Deutsche Turnkunst“, die der zusammen mit seinem ehemaligen Schüler, dem Turnlehrer Ernst Wilhelm Bernhard Eiselen (1793–1846), verfasst hatte.
Das „vaterländische Turnen“ war für ihn ein Beitrag zur Verwirklichung seiner Volkstumsideen, mit denen er das deutsche Nationalgefühl stärken wollte. Er glaubte, seine Pläne zur Rettung vor französischer Fremdherrschaft durch Verbesserung der körperlichen Verfassung der Bürger mit Hilfe von Körper- und vormilitärischen Übungen verwirklichen zu können. Sein „Deutsches Volkstum“ (Lübeck 1810) enthält teils fortschrittliche Gedanken über Volk und Staat, Sprache und Brauchtum, Erziehung und Bildung, verbindet sie aber mit „abenteuerlichsten Ideen“ (E. T. A. Hoffmann), mit nationalistischen, chauvinistischen, rassistischen und antisemitischen Auffassungen. So lehnte Jahn die „Völkermischung“ ab, verachtete das „Plapperdeutsch der Betteljuden“, griff Landsleute an, die Französisch lernten, wendete sich gegen die Akzeptanz von Ausländern in Deutschland („Polen, Franzosen, Pfaffen, Junker und Juden sind Deutschlands Unglück.”) und forderte die völlige Abschaffung fremdartiger Ausdrücke.
Nach Freiwilligendienst im Lützowschen Korps, unter anderem als Kurier im Regierungsauftrag, kehrte Jahn 1817 nach Berlin zurück und wurde als staatlicher Turnlehrer eingestellt. Ende Juli, Anfang August 1817 hielt er sich mit 18 Schülern und Studenten 18 Tage lang auf der Insel Rügen auf. Die in Bergen ansässigen rügenschen Heimatforscher Barb und Karl Zerning beschreiben in ihrem „Inselleben“ unter anderem die Stationen Putbus, Arkona, Stubbenkammer und Herthasee. Über Sassnitz nach Putbus zurückgekehrt und trat die Gruppe „unter Leitung des Professors Jahn“, wie die Stralsundische Zeitung schrieb, am 3. August während des festlich begangenen Geburtstags von König Friedrich Wilhelm III. mit einem Schauturnen auf.
Im gleichen Jahr noch begann Jahn eine Vortragsreihe, in der er die Missstände im preußischen Heer, die Beschränkung der bürgerlichen Rechte im Staat und nicht erfüllte Reformversprechen kritisierte, teilweise in durchaus den Anstand verletzender Weise. Am 18. und 19. Oktober fand auf seine Initiative das Wartburgfest als Höhepunkt der Turnbewegung statt, bei dem er – ohne selbst anwesend zu sein – reaktionäre Bücher verbrennen ließ. Als Folge kam es zur Berliner und Breslauer Turnfehde, 1819 zur Turnsperre auf dem Platz in der Hasenheide. Das Turnen wurde fortan der Schulbehörde untergeordnet und durfte außerschulisch nicht mehr stattfinden. Die Ermordung des Schriftstellers August von Kotzebue durch den Studenten, Burschenschafter und Turner Karl Ludwig Sand hatte schließlich die Bestimmung zur Folge, dass „alles Turnen schlechterdings unterbleibe“. Jahn, der zu den Gründern der Burschenschaften gehört hatte, wurde am 14. Juli 1819 verhaftet, die angeblich verschwörerischen Burschenschaften wurden verboten und viele studentische Turner unter polizeiliche Aufsicht gestellt.
Die Zernings erwähnen ohne weitere Erläuterung als weiteren Grund für die Verhaftung Jahns dessen Streit mit einem russischen Professor in Sassnitz. Worum ging es dabei? E. T. A. Hoffmann, ab 1816 Berliner Kammergerichtsrat, verwies auf einen auf „Veranlassung des Polizeiministeriums von dem Regierungspräsidenten von Pachelbel erforderten Bericht vom 12. August 1819“. Demnach sei Jahn bei seiner Wanderung durch Pommern und Rügen durch sein „schmutziges Äußeres“, „originell gemeine Kleidung“ und das „Singen unangemessener Lieder, zum Beispiel: ,Ich hab mein Sach auf Nichts gestellt (Juchhee!)‘ “ aufgefallen. In Sassnitz habe der „russische Professor Hasper – so wie die übrigen Dorfbewohner – den Jahn wegen seines langen Bartes und seiner schmutzigen Kleidung für einen Russen gehalten und russisch angeredet“. Darüber sei man in Streit geraten, wobei „Jahn sich die Äußerung erlaubt“ habe: „Ihr Kaiser ist ein Spitzbube!“ Da diese Worte von Zeugen bestätigt wurden, war alles Leugnen vergeblich: Jahn hatte „gegen den Kaiser von Rußland die unglimpflichsten Scheltworte ausgestoßen“. Heinrich Christian Friedrich von Pachelbel-Gehag (1763–1838), ab 1818 Präsident des Regierungsbezirks Stralsund, sah darin wohl ein Majestätsverbrechen, was E. T. A. Hoffmann auf simple, aber juristisch stichhaltige Weise widerlegte.
Nach Haft (1824/25) und Aufenthaltsbeschränkungen wurde Jahn 1840 durch König Friedrich Wilhelm IV. amnestiert und rehabilitiert. 1842 wurde die Turnsperre aufgehoben, 1848 wurde Jahn in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt.
Die Turnerbewegung auf der Insel Rügen nahm 1862 einen großen Aufschwung, als Turnvereine in Sagard und Bergen, später auch in Putbus, Garz, Gingst, Göhren, Wiek, Rambin, Altefähr und Sassnitz gegründet wurden. Der Rügen-Reiseführer von Geuter verwies in seiner Ausgabe von 1923/24 auf ein Projekt des Turn- und Sportvereins von Sassnitz, das allerdings nie verwirklicht wurde: Der Verein wollte einen großen Sportplatz mit Aussichtsturm („Jahnturm“), Turnerheim und Turnhalle errichten; die Gesamtanlage sollte zum Geburtstag des „Turnvaters“ am 11. März 1928 eingeweiht werden. An den gleichen runden Geburtstag erinnert ein in der Nähe des Göhrener Sturmsignals aufgestellter Gedenkstein: „Ihrem Turnvater Friedrich Ludwig Jahn zum 150. Geburtstage – Die rügensche Turnerschaft; 28.08.1928“.
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