25. Jahrgang | Nummer 5 | 28. Februar 2022

Der Fall Belle Gunness

von Frank-Rainer Schurich

Eine der schwierigsten Aufgaben für den Criminalisten in psychologischer Beziehung bleibt die Beurtheilung der Frau, weil sie nicht nur somatisch und psychisch etwas ganz Anderes ist als der Mann, sondern weil sich dieser niemals voll und ganz in das Wesen einer Frau hineindenken kann.“ Der dies 1898 in seiner „Kriminal-Psychologie“ schrieb, war kein geringerer als der Begründer der modernen Kriminalistik Hans Gross. Sein Thema: die Kriminalität der Frau.

Über Mörderinnen auf der Bühne der Geschichte und in den Szenarien von Literatur und Kunst ist schon viel geschrieben worden, denn das Böse ist immer und überall. Herausragend das Buch von Christian Bolte und Klaus Dimmler „Schwarze Witwen und Eiserne Jungfrauen“ über die Geschichte der Mörderinnen.

Die Spektralfarben, Erscheinungsweisen und Maskierungen von Weiblichkeit und Frausein sind sehr viel schillernder, abwechslungsreicher und leuchtender, als uns herrschende Rollenklischees glauben machen wollen. Aktive Aggressionen und perverse Brutalität, todbringende Skrupellosigkeiten und absolute, visionäre Grausamkeit sind ebenso weiblich. Denn wie Frauen eindrucksvoll beweisen, stehen sie nicht jenseits der Gewalt. Und es ist eine Illusion anzunehmen, Aggressions- und Konfrontationswillen seien bloße Errungenschaften einer patriarchalischen Sozialordnung und als „männliche“ Wahnvorstellungen auslöschbar.

Nach einem Nietzsche-Zitat sind die Frauen im Zustande des Hasses gefährlicher als Männer, und bekannte Kriminalautoren wie Ingrid Noll, Colin Dexter und Henning Mankell wollen uns durch ihre Romane auf die ganz alltäglichen Mordgelüste aufmerksam machen, die jeden von uns beschleichen. Dazwischen Frauen mit ihren tödlichen Schattenseiten. Immer wieder tauchen in der Kriminalgeschichte Femmes fatales auf – Frauen, die tödlich sind für den Mann. Verführerische Frauen mit Charme und Intellekt, die ihren Partnern zum Verhängnis werden. Aber nicht nur ihren Partnern.

Ein besonders spektakulärer Fall sind die Mordtaten von Belle Gunness, geboren 1859 Trondheim (Norwegen) als Brynhilde Paulstadder. Im Alter von 24 Jahren kam sie in die USA und heiratete den Chicagoer Privatdetektiv Merrel Sorenson, der aber nicht mehr lange zu leben hatte. Beide kauften sich sehr günstig eine Farm in La Porte, Indiana. 90 Tage nach dem Umzug starb er. Die Umstände seines Todes bezeichneten die Ermittler als „mysteriös“, aber bei der Obduktion konnte kein Mord nachgewiesen werden. Man fand, warum auch immer, das Arsen nicht. Belle kassierte eine Versicherungssumme in Höhe von 8500 Dollar, denn sie hatte ihren Ehemann dazu überredet, eine Lebensversicherung abzuschließen.

Als nächstes heiratete sie Peter Gunness und hieß fortan Belle Gunness. Sie wohnten auf der einsamen Farm bei La Porte, und Belle wurde eine aufrechte Mitbürgerin in der Gemeinde und ein Pfeiler der Kirche. Sie besuchte das Bezirkswaisenhaus von La Porte und adoptierte drei Säuglinge, zwei Mädchen und einen Jungen.

Aber auch diese Ehe stand unter keinem guten Stern. Belle überredete ihren Ehemann, eine hohe Lebensversicherung abzuschließen. Kurze Zeit später war er tot. Die Mörderin erzählte der eilig herbeigerufenen Polizei, dass ihm das Metzgerbeil, unter dem er gerade saß, vom Küchenbord direkt auf den erkahlenden Schädel gefallen sei. Dass wollte die Polizei zunächst nicht glauben, denn ein heruntergefallenes Beil hätte aus einer Höhe von 30 Zentimetern niemals den Schädel gespalten. Man inhaftierte Belle, aber da sie so angesehen in der Gemeinde war, so hilf- und segensreich für die Menschheit, beugten sich die Behörden.

Nachdem die Sache noch einmal gut ausgegangen war, lockte sie nun reiche Verehrer zu sich nach Hause und tötete sie dann mit einem Hackebeil. Die Leichen vergrub sie auf ihrem großen Grundstück. Die Polizei rufen, das kam überhaupt nicht mehr in Frage.

Da sie sich nun auf die Schweinemast verlegte, ließ sie eine Räucherkammer mit dem nötigen Zubehör zum Schweineschlachten bauen: Fleischerhaken, ein großes Fass, ein Fleischwolf, eine Schneidemaschine sowie ein Anzahl scharfer Messer und Hackbeile. Es ist zu vermuten, dass Teile von den ermordeten Verehrern auch im Fleischwolf landeten.

Belles Mordserie endete 1908, die genauen Umstände ihres Untergangs sind aber nicht bekannt. Am 27. April 1908 stand die Gunness-Farm in Flammen, man fand vier verkohlte Leichen, eine war die einer Frau, die aber mit Sicherheit nicht Belle Gunness war. Diese Frau war viel kleiner, wog 40 Kilo weniger und hatte ein schlecht sitzendes Gebiss, während Belle gesunde und kräftige Zähne besaß. Überreste von 14 noch erkennbaren Skeletten wurden auf dem Grundstück ausgegraben beziehungsweise waren im Schweinestall versteckt, zusätzlich fand man vier Kartons mit diversen Knochen. Die Ermittlungen ergaben, dass die Kinder nicht durch den Brand umgekommen waren, sondern man ihnen vorher den Schädel eingeschlagen hatte. Woher die Frauenleiche stammte, die sie als ihre eigene auszugeben erhofft hatte, blieb ungeklärt. Klar war aber nun, dass Belle Gunness durch Mord und Brandstiftung ihre Spuren verwischen wollte. Insgesamt soll sie 42 Menschen auf ihrer Farm innerhalb von vier Jahren ermordet haben.

D. L. Champion, Autor von zahlreichen True Crime-Stories, hatte diesen Fall 1954 unter dem Titel „Die Killer-Lady“ literarisch verarbeitet. Er schreibt am Ende der Erzählung: „Der Staat Indiana setzte eine hohe Belohnung auf ihre Ergreifung aus. Jede Polizeidienststelle in den Vereinigten Staaten war informiert. Aber Belle machte sich und ihre 115 Kilo rar. Mit den Jahren dehnte sich die Suche auf Australien, Kanada, England, Europa, Mittel- und Südamerika und Afrika aus, doch niemand hat je wieder wissentlich einen Blick auf Belle Gunness geworfen. […] Die meisten Beamten neigen zu der Annahme, dass sie ruhig und respektabel in einem Federbett starb – und nicht durch den Fleischwolf gedreht wurde.“

In vielen Abhandlungen wird immer gefragt nach dem Warum, nach den Motiven für solche Missetaten. Manche Bücher über Mörderfrauen bieten gar ein wundervolles Ambiente für den „schönen“ Mord durch das schöne Geschlecht, wie die „Berliner Verbrecherinnen“ von Michael Kirchschlager oder das schon erwähnte Buch von Bolte und Dimmler, denen deshalb das Schlusswort gehört:

„Dass zarte Frauenhände, die in Parfümerien so geschickt und kunstvoll teure Duftflakons in hübsches Geschenkpapier einpacken oder am heimischen Schreibtisch Klassenarbeiten korrigieren, zu extremen Gewalttaten imstande sein können, die denen des Mannes in nichts nachstehen, sorgt auch in unseren Tagen immer wieder für besonderes Aufsehen.“