Komischerweise spielen sie in den bunten Broschüren und in den meisten Reiseberichten kaum eine Rolle, obwohl es kaum ein Urlaubsgebiet gibt, das nicht seinen typischen, erfreulichen oder auch quälenden Lokalwind hätte, von den regionalen ganz abgesehen.
Dazu gehört zweifellos der Föhn, der in den Alpentälern und im Voralpenland, in Österreich, Bayern oder der Schweiz, bis zu 100 Tage im Jahr das Wettergeschehen mitbestimmt. Zwar ist nicht wissenschaftlich gesichert, dass Wilhelm Tell bei starkem Föhn zur Armbrust griff. Friedrich Schiller jedenfalls vermutete es und dichtete: „Der Föhn ist los, ihr seht, wie hoch die Wellen gehen.“ (Wilhelm Tell, 1. Akt)
Max Frisch ist sich dessen in seinem satirischen „Wilhelm Tell für die Schule“ sogar sicher. Und sicher ist auch, dass Thomas Mann in München wie später in seiner Zürcher Zeit recht arg unterm Föhn litt; seine Tagebücher jedenfalls sind voll von heftigen Beschwerden.
Andererseits: Kein Blau kann so heftig strahlen wie das eines Himmels, den der Föhn von jeglicher Bewölkung befreit hat: psychodelischer Glanz, der alles, auch Körper und Seele, durchdringt. Die Berge rücken plastisch nah heran. Menschen werden auf natürlich-biologische Weise high, die anderen klagen über Ungemach und Kopfweh. Euphorien und Karambolagen liegen in der lauen Luft!
Diesen Glanz strahlen auch andere berühmte Fallwinde aus und machen den Ferienhimmel blitzblank und damit wieder so, wie er laut Prospekt zu sein hat. Aber der Wind kann natürlich viel mehr … Wie oft kann man erleben, partout an der Porte de Soleil in Südfrankreich beginnt das provenzalische Gefühl und aus dem Grau des Himmels wird ein strahlendes Blau dank eines Windes, der an vielen Tagen durchs Rhonetal stürzt: der Mistral! Er löst die Wolken auf, drückt die Windschutzhecken rund um die Olivenbäume alle in eine Richtung und bringt im Golfe de Lion auch heute noch immer wieder selbst große Boote zum Kentern. Dieser böige Fallwind, auch Maestro oder Magistral genannt, hat von Avignon und Marseille bis hinüber zu den Pyrenäen fast alles im Griff, reißt die Autotüren aus der Hand, wenn man arglos aussteigen will, und bläht die Windsäcke, die hier an den meisten Autobahnbrücken stehen, zu riesigen Segeln auf. Er ist ein rauer, trockenkalter Bruder aus Nord bis Nordwest, der das zahme Mittelmeer an der französischen Küste so aufpeitschen kann, dass einem Baden und Schwimmen vergeht. Dass die Urlaubsstimmung einerseits durch wolkenlosen Himmel begünstigt, andrerseits durch tagelanges Heulen und Rütteln beeinträchtigt wird, steht außer Frage.
Schon Hippokrates, der Vater der Heilkunst, hat allen Ärzten geraten, Meteorologie zu studieren, da der Mensch wie alle Wesen, die am Boden des Luftmeeres leben, in seinem Wohlbefinden und der Gesundheit von der Luft und den Änderungen ihres Zustandes abhängig ist. Man will sogar wissen, dass die sogenannte Wetterfühligkeit von Alter, Geschlecht und sozialem Status abhängig ist. Die Oberschicht scheint danach stärker unter markanten Winden zu leiden als das einfache Volk!
Die Tramontana allerdings, die mit dem Mistral in Energie und Ausdauer konkurriert und über die Pyrenäen nach Spanien und speziell Katalonien hineinfegt, berührt das nicht; sie hat an der Costa Brava längst ihr eigenes Zweiklassensystem geschaffen: Die armen Urlauber können in den nach Nord oder Ost offenen Buchten – wenn überhaupt – nur mit Gänsehaut baden, während sich die Luxusgäste in windgeschützten Buchten sonnen, in denen nur ein leichtes Kräuseln die Herrschaft der Tramontana anzeigt. Sie stürzt wie eine Furie über die Berge ins Meer, ungezügelter als der Föhn im Hochgebirge.
Ein anderer Wind versteht sich noch besser aufs Überfallartige, kommt er doch in rasendem Tempo über die zweitausend Meter hohen Klippen des Karstgebirges herunter und übt seine Macht an der gesamten dalmatischen Küste aus: die Bora. Nicht selten deckt sie im Küstenstrich der Adria ganze Dächer ab und legt mitunter den Fährverkehr zu den vorgelagerten Inseln lahm.
Mistral, Tramontana und Bora haben im mediterranen Bereich noch einen Kollegen, der eigentlich grundsätzlich nur Unheil anrichtet, mehr unter den Einheimischen als unter Touristen. Es ist der Scirocco, der heiße Südwind aus den Wüstengebieten Nordafrikas, der sich auf seinem Weg übers Mittelmeer mit Wasser vollsaugt und als regenbringender Bruder zum echten Kopfwehwind wird. Schläft er ein, verbreitet er eine kaum erträgliche Schwüle, wovon allerdings in den wenigsten Reiseführern die Rede ist, ebenso wenig wie vom Eurakylon oder Euryklydon, einer Windspezialität, die einem die Ferien an der scheinbar begünstigten Südküste Kretas gründlich verleiden kann. Dieser schon im Neuen Testament genannte Nordostwind fällt derartig brutal von den kretischen Gebirgen herab, dass er Stühle von den Terrassen ins Meer wirft und das Baden unmöglich macht. Genau zur Haupturlaubszeit hat er Saison, was in der Reiseplanung zu wissen nicht schaden würde.
Aber mit den Winden haben es die „Reisebeschreiber“ selten. Luft- und Wassertemperaturen und die Sonnenscheindauer lassen sich ja auch leichter erfassen und katalogisieren. Palmström hat deshalb einen von Winden unabhängigen Ferienplatz erfunden und als „Weltkurort“ bedichtet:
Palmström gründet einen Weltkurort.
Mitten auf der schönsten Bergeskrone
schafft er eine windgefeite Zone
für die Kur sowohl wie für den Sport.
Nämlich eine Riesenzentrifuge,
innerhalb von welcher das Hotel,
schlägt den stärksten Sturmwind ab im Fluge
und zurück zu seinem Ursprungsquell.
Unerreicht vom bitterbösen Nord,
unerreicht vom bitterbösen Föhne,
blüht der neue Platz in stiller Schöne,
und zumal im Winter ist man dort.
Mal sehen, wann die Großen der Branche diese tolle Idee von Christian Morgenstern endlich in die Tat umsetzen … oder doch wenigstens die „Urlaubswinde“ in ihre Beratung einbeziehen!
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