24. Jahrgang | Nummer 25 | 6. Dezember 2021

USA und Indien – gemeinsam im Indopazifik?

von Edgar Benkwitz

Indien reckt und streckt sich. Von den zwei furchtbaren Corona-Wellen, die das riesige Land nahezu zum Stillstand brachten, ist nur noch wenig zu spüren. Die Wirtschaft nähert sich wieder größeren Zuwachsraten, die innenpolitische Lage ist weitgehend stabil, ohne dass sich die soziale Lage großer Bevölkerungsschichten verbessert hätte.

Vor Ausbruch der Corona-Epidemie befand sich die hindunationalistische Regierungspolitik in einem Höhenflug. Es wurde mit Wachstumsraten hantiert, die Indien in kurzer Zeit in das Vorderfeld der größten Volkswirtschaften der Welt katapultieren sollten. Diese Euphorie ist jetzt zwar gedämpft worden, hat die Ansprüche an die Rolle Indiens im internationalen Geschehen jedoch nicht reduziert.

Indien versucht, sich vorteilhaft in die sich rasch verändernde internationale Lage einzubringen. Außenminister S. Jaishankar wird nicht müde, immer wieder zu betonen, dass die Welt sich sehr schnell verändere, schneller als wir uns vorstellen können. „Eine wirtschaftliche Neuausrichtung hat begonnen, die sich ihre politischen Formen schafft. Und das bedeutet eine grundlegende Überholung der globalen Architektur“, heißt es weiter. Dieser „gebrochenen Welt mit ihren polarisierenden Debatten“ sei Indien bereit, sich zu stellen und eine größere globale Rolle zu übernehmen.

Ein Blick auf die letzten Jahre bestätigt, dass Indien sein Eigengewicht in das Weltgeschehen stärker denn je eingebracht hat. Es soll nur an das G20-Treffen in Rom und die Weltklimakonferenz in Glasgow erinnert werden, wo Indien deutlich gemacht hat, dass ein gewünschter Konsens zu weltbewegenden Fragen wie dem Klimawandel ohne stärkere Berücksichtigung der berechtigten Interessen seines Landes und anderer Entwicklungsländer nicht möglich ist. Auch in Fragen der gleichberechtigten internationalen Wirtschaftsbeziehungen sowie der Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist die Stimme Indiens – vor allem in den UN-Foren – nicht zu überhören.

In Asien ist Indien ein eifriger Befürworter neuer Allianzen geworden, der „beschädigte Multilateralismus“ könne nach den Worten seines Außenministers durch „Plurilaterals“(bekannter als „Minilaterals“) ergänzt werden. Im Unterschied zu multilateralen Bündnissen gibt es hier nur eine begrenzte Zahl von Teilnehmern, die sich zudem auf wenige gemeinsam interessierende Gebiete konzentrieren. Als hervorragendes Beispiel dafür wird der „Quadrilaterale Sicherheitsdialog“, kurz „Quad“, genannt, der aus Japan, Australien, den USA und Indien besteht und sich mit geopolitischen Fragen im Indopazifik beschäftigt. Ursprünglich wurde er nur als Diskussionsforum dieser vier Staaten, ohne Statut und gegenseitige Verpflichtungen, angelegt. Zwei Gipfeltreffen in diesem Jahr sowie gemeinsame Dokumente haben klar gemacht, dass die Stoßrichtung gegen China geht. Mit Blick auf den indopazifischen Raum sprach US-Präsident Biden bei dem Online-Gipfel mit Präsident Xi im November deutlich aus, dass Amerika sich mit seinen Verbündeten und Partnern darauf konzentriere, die Verkehrsregeln des 21. Jahrhunderts zu schreiben und durchzusetzen und zwar im Sinne „unserer Interessen und unserer Werte“.

Der indische Außenminister nahm nur einige Tage später in Singapur dieses Herangehen auf. „Die USA sind jetzt ein viel flexiblerer Partner, viel offener für Ideen, Vorschläge und Arbeitsvereinbarungen als in der Vergangenheit“, zitiert ihn die Hindustan Times. Und weiter heißt es, dass die Beziehungen zu China im Moment überhaupt nicht gut seien, Indiens Interessen wären mit engen Beziehungen zu den USA und Europa besser aufgehoben.

Deutlich wird, dass Washington für das außenpolitische Handeln der indischen Regierung genügend Ansatzpunkte liefert. Offensichtlich problemlos kann man sich an der Seite wirtschaftlich und militärisch starker Partner lose in ein Bündnis einbringen und seine Interessen betonen. Wie beispielsweise die Zusammenarbeit auf Spitzengebieten der Technologie und Wissenschaft. So legte der Quad-Gipfel im Frühjahr fest, dass mit US-Know-how, japanischem Kapital und der Logistik Australiens in Indien die Covid- Impfstoffproduktion bedeutend erweitert wird, um noch in diesem Jahr eine Milliarde Dosen Impfstoff an Länder im Indopazifik zu liefern. Ähnlich soll bei anderen Hochtechnologiegebieten vorgegangen werden. Die USA machen aus den Zielen ihrer Bemühungen kein Geheimnis: China soll von den sogenannten Lieferketten abgeschnitten und bei technologischer Zusammenarbeit isoliert werden. Indien nimmt derartige Aussagen von US-Politikern gelassen und lässt sich bisher nicht vordergründig in antichinesische Positionen einspannen. So soll es auch in der Vergangenheit direkte antichinesische Aussagen in den Quad-Dokumenten verhindert haben. Indien ist bestrebt, entwickelte Staaten mit ihrem Kapital, ihrer Wissenschaft und Technologie an sich zu binden und so eigene Kapazitäten aufzubauen.

Das Beispiel von Quad scheint unterdessen Schule zu machen. Die Außenminister Israels, der Vereinigten Arabischen Emirate, der USA und Indiens beschlossen am 20. Oktober eine ähnlich gelagerte Gruppierung in Nahost auszurufen. Von den Medien wurde sie bereits „Quad-2“, „Quad-West“ oder „Nahost-Quad“ getauft. Für Indien kam der sogenannte Abraham-Prozess, mit dem unter Schirmherrschaft der USA einige arabische Staaten das Verhältnis zu Israel normalisierten, gerade recht. In einer regionalen Gruppierung wie der entstehenden Nahost-Quad kann Indien seine vielfältigen Interessen wirkungsvoller durchsetzen. Auch hier wird es letztendlich um Kapital und Hochtechnologie aus Israel und den Emiraten gehen, Indien bietet dafür sein Produktionspotenzial und Arbeitskräfte an. Sich abzeichnende Probleme, dass das Bündnis gegen den Iran gerichtet sein könnte, glaubt Indien in den Griff zu bekommen.

Angesehene Sicherheitsexperten, wie Professor Raja Mohan, stellen fest, dass wie in der indopazifischen Quad auch in der Nahost-Quad ein wachsendes Zusammengehen der Interessen Indiens und der USA festzustellen ist. In Foreign Policy vom 29. Oktober analysiert er: „Neu Delhi […] ist jetzt bereit, mit Washington bei der Stabilisierung beider Regionen zusammen zu arbeiten.“ Mehr noch, Indien will gestaltend auftreten. „Die Nahost-Quad kann als Teil der Anstrengungen betrachtet werden, die regionale Ordnung und das Kräfteverhältnis umzugestalten. Dabei kehrt Neu Delhi zu einer bedeutenderen Rolle zurück“, so Raja Mohan.

Deutlich wird, dass die USA Indien immer stärker als einen Partner bei der Gestaltung des Kräfteverhältnisses in verschiedenen Teilen Asiens benötigen. Die nationalistisch ausgerichtete indische Regierungspolitik kommt dem entgegen, ist es doch für sie die Gelegenheit, die Durchsetzung eigener Interessen zu forcieren.

Dieser Prozess wird sicher nicht problemlos ablaufen. Trotz übereinstimmender oder sich ergänzender Interessen wird Indien auf seiner Eigenständigkeit in vielen Fragen beharren und nicht bereit sein, bestimmte Ansprüche der USA – so gegenüber China und vor allem auch Russland – zu erfüllen. Andererseits werden die USA nationalistisch ausgerichteten Wünschen Indiens – wie gegenüber Pakistan – nicht bedienen können. Zu einer Bewährungsprobe dieser Partnerschaft könnte es bereits in den nächsten Wochen kommen. Russland hat mit der Auslieferung des hoch modernen Raketenabwehrsystems S-400 begonnen, das Indien für fünf Milliarden US-Dollar angekauft hat. Wird Washington mit den vom Kongress beschlossenen Sanktionen oder mit der von Indien erhofften Ausnahmeregelung antworten?