25. Jahrgang | Nummer 1 | 3. Januar 2022

LEGO – nicht nur im Kinderzimmer

von Ulrich Busch

Jeder kennt sie, die bunten LEGO-Steine, viele haben als Kinder mit ihnen gespielt, manche tun es heute noch, als Erwachsene. LEGO aber ist mehr als ein Spielzeug. Es ist auch Sammlerstück, Modellbau, Exportprodukt, Kunstwerk, Nostalgie und Tradition – und damit Kult. Der Jahresumsatz von LEGO liegt mittlerweile bei sechs Milliarden Euro. Das Unternehmen behauptet sich auf den Märkten, trotz einigem Auf und Ab, seit vielen Jahrzehnten.

Das Geheimnis des Erfolgs liegt darin begründet, dass kein anderes Spielzeug derart kreativ und variantenreich ist und eine so breite Altersspanne anspricht. Dadurch ist LEGO, obwohl aus Kunststoff und in seiner heutigen Gestalt seit mehr als sechzig Jahren im Einsatz, modern und nachhaltig zugleich. LEGO passt in unsere Zeit, auch wenn schon die Großeltern damit gespielt haben. Dies ist möglich, weil die Grundmaße der Steine immer gleich geblieben sind. So kann ein einmal erworbener Grundstock an Steinen Jahr für Jahr ergänzt, erweitert und sogar von einer Generation zur anderen vererbt werden. Und jeder spielt damit sein eigenes Spiel: Schon sieben Steine bieten eine Variationsmöglichkeit von 85.747.377.755 Kombinationen, die niemand komplett auszuschöpfen vermag.

Bettina Schnerr erzählt in dem vorliegenden Büchlein die Geschichte des LEGO-Unternehmens. Diese begann in den 1930er Jahren in einer Tischlerei im dänischen Billund (Jütland) mit der Produktion von Holzbausteinen, die später durch Produkte aus Kunststoff ersetzt wurden. Die zündende und bis heute tragende Idee war jedoch der Systemgedanke. Wer heute Steine oder Figuren im Geschäft, auf dem Flohmarkt oder bei Ebay kauft, solche erbt oder geschenkt bekommt, kann sich jederzeit darauf verlassen, dass alles mit allem zusammenpasst, egal wie alt es ist und woher es stammt. Es funktioniert! Die finale Lösung für die Massenproduktion wurde 1957 gefunden: Noppensteine mit Dreipunktkontakt und dauerhaft fixierten Ausmaßen. Dank dieser Lösung können beliebig viele Steine in jeder beliebigen Richtung aufeinander gesteckt werden, ohne dass sie wieder auseinanderfallen.

Was folgte war eine Verbesserung des Materials (ab 1963), die Expansion auf die Spielzeugmärkte der Welt, eine große Werbekampagne, die Ausdehnung der Produktion bis in die USA, nach Brasilien, Südkorea, Osteuropa und China. Nicht alle Standorte haben sich bewährt. Gegenwärtig gibt es fünf Produktionsstätten. Aber LEGO wurde zum Weltkonzern. Entscheidend für den bleibenden Erfolg war nicht zuletzt die Qualität, denn LEGO-Spielzeug ist relativ teuer und muss daher hohen Ansprüchen genügen. Die Fertigung muss eine Toleranz von 0,005 Millimetern und einen bestimmten Härtegrad einhalten. LEGO-Steine gehen praktisch nie kaputt. In den 1980er Jahren spielten rund 70 Prozent aller Kinder in West- und Nordeuropa mit LEGO. Inzwischen gibt es zudem eine beachtliche Anzahl erwachsener LEGO-Fans. Immer mehr Eltern und Großeltern interessieren sich dafür und finden in den Bausteinen „ein Echo ihrer eigenen Kindheit, das sich weitergeben lässt“.

Ich darf mich seit langem zur Fan-Gemeinde von LEGO rechnen: Meine ersten LEGO-Steine bekam ich Ende der 1950er Jahre geschenkt. Sie wurden mein liebstes Spielzeug und daher nicht wie so vieles andere mit dem Eintritt ins Jugendalter entsorgt, sondern sorgfältig aufbewahrt. Später spielten meine Kinder damit. Dann die Enkelkinder. Inzwischen ist alles wieder bei mir gelandet – und ich baue damit intensiver denn je. Attraktiv wurde dieses Hobby auch deshalb, weil LEGO inzwischen eine unendliche Variantenvielfalt an Steinen, Minifiguren und Komplementärprodukten entwickelt hat. Heute gibt es mehr als 14.000 Typen in 50 verschiedenen Farben. Dazu mehr als 8.000 unterschiedliche Minifiguren. Darunter sehr seltene und nur kurzzeitig produzierte, die für Sammler von großem Interesse sind und daher recht teuer sind.

Mit den Minifiguren kam in der Karriere der Bausteine ein Aspekt hinzu, der die Spielmöglichkeiten erheblich erweitert und der Kreativität neuen Raum bietet. Jedes Jahr werden 40 Milliarden neue LEGO-Steine in 3.700 Typenformen produziert, so dass der Weltbestand immer weiter anwächst. Schon jetzt besitzt durchschnittlich jeder Mensch auf der Erde 100 LEGO-Steine. Diese Zahl sagt, wie jeder statistische Durchschnitt, selbstredend nichts über die tatsächliche Verteilung des LEGO-Reichtums aus. Allein in meinem Bestand befinden sich mindestens 20.000 Steine, Platten, Bögen, Fenster, Brücken, Fliesen und andere Teile von mehr als 250 Typen in etwa 30 Farbtönen. Und dabei verzichte ich gänzlich auf Teile aus den aktuellen Serien Disney, Dots, Vidiyo, Creator, Star Wars, Technic, Mindstorms und dergleichen, die in meinen Augen eher zweifelhafte Entwicklungen sind. Ich teile hier die Meinung der Autorin, dass es das „Kerngeschäft“ mit den Bauklötzchen war und ist, das LEGO über die Jahrzehnte hinweg den Erfolg gesichert hat, nicht aber die schnell wechselnden Moden der Unterhaltungs- und Spielzeugindustrie wie „Star Wars“ oder „Harry Potter“.

Zutreffend konstatiert Bettina Schnerr, dass „die Bedeutung der erwachsenen Fans“, kurz AFOL (Adult Fan für LEGO) genannt, für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens kaum überschätzt werden kann. Es handelt sich dabei oft um „ebenjene Kinder, die früher schon in Fülle mit Noppensteinen versorgt worden sind“. Dass sich der LEGO-Konzern zeitweilig kaum dafür interessiert hat, wer die Nutzer seiner Produkte eigentlich sind und nur die großen Handelsketten als „Kunden“ akzeptiert hat, ist da kaum zu begreifen und wird im Buch zu Recht kritisiert. Inzwischen aber wurde diese Haltung korrigiert und LEGO kommuniziert auf Online-Plattformen in vielfältiger Weise mit den kleinen wie großen Nutzern. Und profitiert davon, indem die Anregungen und Ideen der Nutzer mit in die Produktentwicklung und -gestaltung einfließen.

Bettina Schnerr: LEGO. 100 Seiten, Philipp Reclam jun. Verlag, Stuttgart 2021, 100 Seiten, 10,00 Euro.