24. Jahrgang | Nummer 26 | 20. Dezember 2021

Film ab

von Clemens Fischer

Im US-amerikanischen Bundesstaat Montana, in dem es weiland wohl so ausgesehen hat wie heutzutage noch in Neuseeland, wo der Film „The Power of the Dog“ gedreht wurde, muss der Wilde Westen 1925 noch ganz schön wild gewesen sein. Jedenfalls wenn ein Cowboy nach 25 Jahren als Viehtreiber und Rancher in einem Hotel, das in Sachen Körperhygiene immerhin bereits in der Zivilisation angekommen ist, die Frage verneint, ob er schon jemals ein Wannenbad genommen habe. Und es auch bei dieser Gelegenheit nicht tut. Dass das Kino, respektive Fernsehen mit olfaktorischer Dimension noch nicht erfunden ist, wird in solchen Momenten gewiss nicht als Mangel zu empfinden sein.

Worum es in dem Streifen geht, wird hier ebenso wenig verraten wie in früheren Besprechungen des Rezensenten, denn niemand will Filme schauen, von denen er dank waschweiberartiger Geschwätzigkeit von Rezensenten schon so gut wie alles weiß.

Immerhin so viel: Benedict Cumberbatch, Oscar-Preisträger (2015 für „The Imitation Game“) und Sherlock-Holmes-Darsteller mit weltweiter Fan-Gemeinde, gibt den misanthropischen Kotzbrocken Phil, und der ist von so widerlicher Machart, dass man sich schon nach zehn Filmminuten wünscht, sein Pferd möge angesichts eines Rudels hinreichend hungriger Wölfe ordentlich scheuen, seinen Reiter abwerfen und sich aus dem Staub machen. Der Regisseurin Jane Campion, Oscar-Preisträgerin 1994 (für „Das Piano“), wird nachgesagt, dass sie Western liebe. Sie soll die Figur des Phil bei ihrer Crew am Set mit den Worten eingeführt haben: „Okay Leute, das ist Phil. Ihr werdet am Ende der Dreharbeiten froh sein, ihn los zu sein.“ An anderer Stelle nannte sie ihn „einen gemeinen Mistkerl, ein Hardcore-Arschloch“. Doch zugleicht meint sie: „Für mich ist Phil Burbank eine der ganz großen Figuren der amerikanischen Literatur: Er ist wahnsinnig kompliziert, aber gerade das macht ihn faszinierend. Er berührt einen, hinter seiner Grausamkeit erahnt man eine immense Verletzlichkeit.“

Mit dem Film selbst entfaltet Jane Campion ein meisterliches Psychodrama von dermaßen subtiler Doppelbödig- und Hintergründigkeit über drei maskuline Archetypen, dass sich die Zusammenhänge beim einmaligen Anschauen des Films nicht unbedingt sofort erschließen …; es sei denn, man hält sich die eingangs des Streifens aus dem Off gesprochene Sentenz während der gesamten zwei Stunden und neun Minuten quasi als Hintergrundrauschen gegenwärtig. Oder man kennt die literarische Vorlage.

In einem Interview mit der Berliner Zeitung erläuterte Cumberbatch zur Vorbereitung auf seine Rolle: „In der Buchvorlage von Thomas Savage wird meine Figur […] als sehr zäh und stark beschrieben. Ich habe also mit Gewichten trainiert und war oft schwimmen. Wichtiger aber war es, die Fertigkeiten der Figur zu erlernen, also perfekt zu reiten, zu pfeifen wie ein Cowboy und eine Zigarette lässig mit nur einer Hand zu drehen – das hat richtig lang gedauert!“ Seine Lektionen genommen habe er in „Montana, bei einem alten Cowboy namens Brandy und seiner Frau. Ich wohnte in deren Haus, wachte auf, wenn die Sonne aufging, ging reiten und arbeitete mit Rindern. Ich verwandelte mich körperlich in Phil, habe auch gelernt zu schreinern – einer meiner Stühle ist im Film zu sehen, die anderen habe ich an Freunde verschenkt – und für Jane Campion habe ich ein Hufeisen geschmiedet, als Glücksbringer für den Dreh.“ Diese Geste ist voll aufgegangen.

„The Power of the Dog“, Regie und Drehbuch: Jane Campion. Derzeit in ausgewählten Kinos und bei Netflix.

*

Für die Verbindung von Trash – laut Wikipedia eine „Richtung in Musik, Literatur und Film, für die bewusst banal, trivial oder primitiv wirkende Inhalte und eine billige Machart typisch sind“ – mit einer sehr speziellen Art von schwarzem Humor, die bloß makaber und skurril zu nennen an Understatement grenzte, hat Tarantinos Streifen „Pulp Fiction“ von 1994 international Maßstäbe gesetzt. Da hatte Detlev Buck seinen Beleg dafür, dass er ebenfalls ein Händchen für diese Genre-Kombination hat, allerdings bereits abgeliefert – mit „Wir können auch anders“ (1993), seinerzeit Bucks Durchbruch an den Kinokassen und der Joachim Króls auf der großen Leinwand.

Im Jahre 2020 ist es Buck mit „Wir können nicht anders“ nicht nur vom Titel her gelungen, den Bogen zu seinen in guter Erinnerung gebliebenen Anfängen zu schlagen. „Die gekränkte Männlichkeit der wilden Provinzkerle wird […] zum Motor der unberechenbaren Handlung, die neben absurden Verstrickungen hellsichtige Einblicke in die emotionale Befindlichkeit der abgehängten Provinz bietet“, befand die Augsburger Allgemeine. Trefflich hingeschaut! Und wieder einmal gilt nicht nur: „Die Hölle, das sind die anderen“ (Jean-Paul Sartre), sondern vor allem auch: „Die Hölle, das ist die ostdeutsche Provinz“. Dafür könnte und vielleicht sollte man sogar als Einheimischer beleidigt sein, zumal sich wieder ein Wessi zum Zuchtmeister aufschwingt, doch hat sich Buck mit seinem in Berlin, Hauptstadt der DDR, gebürtigen Drehbuch-Koautor Martin Behnke Expertise in Sachen ostdeutsches Lokalkolorit an Bord geholt.

Des Films Kino-Auswertung, wie das so schön dummdeutsch heißt, fiel im vergangenen Jahr der Pandemie zum Opfer. Schön, dass das ZDF als Mitproduzent jetzt von seinem Fernsehzugriffsrecht Gebrauch gemacht hat.

Buck selbst verwies in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur zu „Wir können nicht anders“ darauf, dass er „ein großer Bewunderer der Coen-Brüder“ („Fargo“, „No Country for Old Men“) sei. Damit hat er die Latte sehr hoch gelegt. Doch gerissen hat er sie nicht.

„Wir können nicht anders“, Regie und Drehbuch (Mitautor): Detlev Buck. Bis 5. März 2022 online verfügbar in der ZDF-Mediathek.

*

„Respect“ war einer der größten internationalen musikalischen Erfolge von Aretha Franklin, und der „liebevollen Hommage an die Queen of Soul“ (Abspann des Films) diesen Titel zu geben ist mehr als angemessen. Denn Respekt wurde ihr als Individuum – als Heranwachsende ebenso wie als Frau – und nicht zuletzt selbst als schon populärer Künstlerin bis lange in ihr Erwachsenenleben hinein auch von männlichen Schwarzen verweigert, die wie ihr Vater einerseits Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung gegen Rassendiskriminierung waren, andererseits jedoch in Sachen patriarchalischer Herrschaft den weißen Machos in nichts nachstanden. Bereits im Elternhaus, wenn auch nicht durch den eigenen Vater, einen wohlhabenden Baptistenprediger und Mitstreiter Martin Luther Kings, war sie als Missbrauchsopfer mit 14 Jahren zweifache Mutter. Respekt musste sie sich hart erkämpfen, und sie hat dafür einen hohen persönlichen Preis gezahlt. Mit Hilfe ihres christlichen Glaubens hat sie sich aus einem Absturz in den Alkohol auf dem ersten Gipfel ihres künstlerischen Erfolgs mit dem Gospel-Album „Amazing Grace“ selbst befreit. Dessen Produktion hatte ihr Musikverleger 1972 zunächst mit dem Argument „unverkäuflich“ abgelehnt. Es wurde dann jedoch zu ihrem meistverkauften.

Dass sie sich als Teenager und später nicht minder mit ihrer gesanglichen Ausdruckskraft aktiv und selbstlos in der von Martin Luther King geführten Bürgerrechtsbewegung engagierte und gegen Ende der 1960er Jahre, als dies immer noch ein gerüttelt Maß an Zivilcourage voraussetzte, öffentlich für Angela Davis Partei ergriff, nimmt ebenfalls für diese charismatische Ausnahmekünstlerin ein. Doch vor allem ihre grandiose Stimme und ihre einzigartige Interpretationsweise verleihen der Queen of Soul bis auf Weiteres Unsterblichkeit. Im Film wird sie durch eine überragende Jennifer Hudson, Oscar-Preisträgerin als Beste Nebendarstellerin für „Dreamgirls“ (2007) kongenial verkörpert. Die 2018 verstorbene Aretha Franklin hatte die Besetzung noch höchstselbst befürwortet. Der Film – immerhin ein Regiedebüt, nämlich das der renommierten Theaterregisseurin Liesl Tommy – dauert knapp zweieinhalb Stunden. Doch keine einzige davon ist langweilig.

„Respect“, Regie: Liesl Tommy. Derzeit in den Kinos.