24. Jahrgang | Nummer 25 | 6. Dezember 2021

Film ab

von Clemens Fischer

Einen Kostümschinken von höchst mäßiger Unterhaltsamkeit hat der französische Regisseur Martin Bourboulon da auf die Leinwand gebracht. Der Besprecher hätte das Vergessen seiner FFP2-Maske als Wink des Schicksals nehmen und statt für hastigen Ersatz zu sorgen das Geschenk gewonnener Zeit akzeptieren sollen! So ergoss sich ein weitgehend erfundener und wenig aufregend in Szene gesetzter Herz- und Schmerzreigen im Filmleben des genialen französischen Ingenieurs, Konstrukteurs und Baumeisters Gustave Eiffel über ihn.

Außer einigen wenigen Computeranimation zu verdankenden spektakulären Szenen in luftiger Höhe beim Bau des Eiffelturms ist der Rest des Streifens belanglos. Und die historischen Fakten – etwa zur breiten Ablehnung des Bauprojektes durch Künstler, Intellektuelle und Anwohner, nach der mit dessen Fertigstellung kein Hahn mehr krähte, weil die Pariser sich stehenden Fußes mit dem Bauwerk identifizierten, oder zu dem Sachverhalt, dass Eiffel als Bauunternehmer entgegen den Gepflogenheiten seiner Epoche sehr sozial verantwortlich agierte und auf Arbeitssicherheit höchsten Wert legte (tatsächlich gab es während der gesamten Bauzeit des Turms nur einen einzigen tödlichen Unfall) – kann man nachlesen …

Schlimmes befürchten lässt der Film im Übrigen für Bourbolons nächstes Vorhaben: Ihm ist die (nach der Zählung von Wikipedia) 32. Verfilmung des Dumas-Stoffes um die drei Musketiere fürs Kino anvertraut worden. Das Ergebnis soll 2023 als Zweiteiler über die Leinwände flimmern.

„Eiffel in Love“, Regie: Martin Bourboulon. Derzeit in den Kinos.

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Dass Kostümfilm auch völlig anders gehen kann, nämlich mit opulenter Bildsprache und zahlreichen, im Wortsinne, köstlichen Motiven – mit anderen Worten: wie ein Augenschmaus – sowie mit einer Handlung, deren Spannungsbogen dann tatsächlich bis zum Abspann trägt, zeigt der französisch-belgische Streifen „À la carte. Freiheit geht durch den Magen“ von Éric Besnard. Erzählt wird – wenn nicht historisch verbürgt, so doch zumindest genial erdacht – die Geschichte von der Erfindung des ersten bürgerlichen Restaurants in Frankreich. Unmittelbar vor dem Ausbruch der französischen Revolution von 1789. Zuvor war in Poststationen und Herbergen für Reisende im Wesentlichen nur weitgehend Ungenießbares offeriert worden.

Der Protagonist, ein, wie man heute sagen würde, Sterne-Koch, wagt es, seinem dienstgebenden Herzog und dessen ebenso dekadenten wie gelangweilten und notorisch dümmlichen adeligen sowie klerikalen Gästen eine eigene Kreation aus Kartoffeln und Trüffeln vorzusetzen. Die mundet nahezu sämtlichen Essern zunächst vorzüglich, doch führt sie gleichwohl, nachdem ein Kirchenmann am Tisch beschieden hat, dass alles von unter der Erde Schweinefutter sei, zur unehrenhaften Entlassung des Kreateurs. Der muss folglich … doch halt: Mehr sei gar nicht verraten.

Nebenbei gesagt – die im Film artikulierte dünkelhafte Ablehnung des Trüffels durch die herrschenden Reichen zur damaligen Zeit hätte eigentlich gut und gerne so bleiben dürfen. Dann wäre selbst der besonders edle Perigord-Trüffel vielleicht auch heute noch bezahlbar.

Das Ganze ins Bild gesetzt hat Besnard mit einer Equipe vorzüglich agierender Schauspieler, von denen, wie der Rezensent gestehen muss, er noch keinen je zuvor bewusst zur Kenntnis genommen hatte. Diese „unbekannten“ Gesichter sind ein weiterer Gewinn für den Film! Erwähnt seien hier nur die beiden Hauptdarsteller – Grégory Gadebois und Isabelle Carrée.

Nicht zuletzt ist der Streifen durch seine stereofone räumliche Tonführung ein Erlebnis ganz eigener Art – etwa wenn der Koch, die Leinwand en face ausfüllend, seinen für den Zuschauer dabei unsichtbaren Adlatus rüffelt und dieser von einem räumlichen Standort aus antwortet, der sich im Rücken des Kinobesuchers zu befinden scheint.

War Besnards Film „Birnenkuchen mit Lavendel“ dem Rezensenten vor Jahren lediglich eine lobende Erwähnung im Rahmen der Besprechung eines gänzlich anderen Leinwandwerkes wert, so ist es nunmehr an der Zeit für etwas wirklich euphorisch Laudatierendes: ausgesprochen stilvoll erzählendes Kino vom Feinsten!

Auch andere Kritiker haben sich nicht zurückgehalten: „[…] eine Geschichte der Emanzipation.“ (Mannheimer Morgen) „[…] ein Film wie ein Menu: Sinnlich, spannend und überraschend.“ (NDR) „Ein Film, der an trüben Herbsttagen die Seele wärmt.“ (WDR)

Wie man allerdings auf die Idee kommen kann, Besnards heiteres Meisterwerk als „Tragikomödie“ (Hervorhebung – C.F.) zu bezeichnen, das bleibt das Geheimnis der Süddeutschen Zeitung. Allenfalls aus Sicht der Kartoffel-Trüffel-Pastetchen haftet dem Verlauf der Geschichte etwas Tragisches an: Sie werden allesamt verzehrt – darunter auch einige vergiftete und die mit letaler Konsequenz.

„À la carte. Freiheit geht durch den Magen“, Regie und Drehbuch: Éric Besnard. Derzeit in den Kinos.