Als Harald Gerlach 1992 den Schiller-Ehrenpreis erhielt, sagte er. „Immerhin: zu Schillers Zeit wird in Rudolstadt ein Theater errichtet. Wer es in unseren Tagen noch einmal in spielfähigem Zustand besehen möchte, der sollte sich beeilen!“
Der vorliegende Band zeigt zweierlei. Die Anfänge des Rudolstädter Theaters lagen bereits in vorklassischer Zeit und das Theater in der Saalestadt ist „spielfähig“, lebt, man spricht von ihm – nicht zuletzt von der produktiven Ära des Steffen Mensching. Inszenierungen wie etwa die von Alexander Stillmark und des jüngst verstorbenen Bühnenbildners Volker Pfüller wurden auch außerhalb Thüringens wahrgenommen.
„Theater in Rudolstadt“: Den Titel des Buches kann man doppelt lesen. Zum einen legt die Verfasserin eine seriöse, faktengestützte Theaterchronik vor. Zum anderen ist von einer jahrhundertelangen Zeit mit Unruhe, Hektik, Chaos, Intrigen und leeren Kassen die Rede – von so einem Theater eben.
Heidemarie Förster-Stahl schrieb bereits 1994 eine kleine Theatergeschichte über die Liebhaberbühne in Kochberg, wo sie noch immer wohnt. Ihr neues Buch erschien als zweiter Band der liebevoll gestalteten und reich bebilderten „Rudolstädter Schriften“. Matthias Biskupek, Verfasser des ersten Bandes in dieser Reihe, hat mit letzter Kraft auch den vorliegenden Band noch begleitet und unterstützt. Während er als Satiriker und glänzender Unterhalter sein „Literarisches Rudolstadt“ vorgestellt hatte, bevorzugt Förster-Stahl als Dramaturgin, Theater- und Musikwissenschaftlerin einen eher sachlichen Stil. Hintersinnige Nebenbemerkungen schließt dies keinesfalls aus.
Dem eingangs zitierten Schriftsteller Gerlach, der vor 1989 ein Intermezzo als Dramaturg in der Saale-Stadt hatte, ist insofern zuzustimmen, als die entscheidende Phase des Rudolstädter Theaters in die Zeit Schillers und Goethes fällt. Im gewichtigen dritten Kapitel erfährt der Leser, dass dies für Schiller als Dramatiker und Goethe als Theaterleiter im benachbarten Weimar zutrifft. Im Vorfeld waren Schwarzburger Adlige durch Europa gereist, um das dortige Theaterleben zu genießen, es vor allem aber zu studieren. 1792/1793 entstand das erste Rudolstädter Theaterhaus, das im Buch abgebildet ist. Neben etlichen Unterhaltungsstücken von Kotzebue und Iffland waren dort auch Schillers „Räuber“, „Die Jungfrau von Orleans“ und die „Wallenstein“-Trilogie zu erleben. Noch heute gilt Rudolstadt als Schiller-Ort. Die große Schauspielerin und privilegierte Sängerin Caroline Jagemann, Carl Augusts Zweitfrau, machte sich – wie bei Förster-Stahl zu erfahren ist – in Rudolstadt rar. Nur an insgesamt zwei Abenden stand die Weitgereiste auf der dortigen Bühne.
In einem dreiseitigem „Exkurs“ (wie die Verfasserin ihre grau unterlegten Einschübe nennt), wird anschaulich Carl von Lyncker, der „Bote aus Weimar“, vorgestellt. Er war zunächst Militär, dann Staatsbeamter, auch Landrat. Seine guten Kontakte zu Goethe und Carl August nutzend, wollte er ein „Klein-Weimar“ an der Saale schaffen. Auch Laienaufführungen von Unterhaltungsstücken, in denen er selbstredend die Hauptrollen übernahm, hat Lyncker befördert. Immer wieder sprach er mit Goethe die Weimarer Gastspiele ab. Als das Bad Lauchstädter Theater finanziell interessanter wurde, verlor das Rudolstädter Theater in klassischer Zeit an Glanz.
Noch im 19. Jahrhundert war es üblich, dass die Hoftheater ihr Haus an fahrende Truppen verpachteten. Im 20. Jahrhundert, als die Theater in die Hände der Kommunen gelangten, verloren die Bühnen – auch in Rudolstadt – mitunter ihre Selbstständigkeit. Knappe Kassen und die geringe Größe der Stadt machten Fusionen notwendig. Regelmäßige Gastspiele standen auf der Tagesordnung.
Ausgiebig berichtet die Verfasserin – nach spannenden Kapiteln über das Theaterleben in der Nazizeit und in den ersten Nachkriegsjahren – über die vierzig Jahre DDR und die Nachwendezeit. Wer erinnert sich noch daran, dass es nach dem Umbruch in Rudolstadt eine Episode mit Opern von Siegfried Wagner gab? Ein zweites Bayreuth entstand in Thüringen nicht …
Förster-Stahl, die über Jahre auch am Rudolstädter Theater tätig war, kennt dieses Bühnenhaus bestens. Zeitgeschichtliches betrachtet sie nicht nur von „oben“ (aus der Sicht des jeweiligen Intendanten oder der Regisseure), sondern sie sieht auch die sonst namenlose Kostümnäherin, die Frau in der Kantine …
Der Rezensent hat nicht vergessen, dass es 2013 die Rudolstädter wagten, die Dramatisierung von Volker Brauns Erzählung „Die hellen Haufen“ erstmals auf die Bretter zu bringen. Immerhin wurden die schlimmen Schicksale der mitteldeutschen Kalikumpel thematisiert. Steffen Mensching, der Regisseur, hatte für den aus Berlin zur Premiere angereisten Autor für den Fall, dass ihn das künstlerische Ergebnis des Abends nicht überzeugen sollte, einen „Flachmann“ mit „Stollenwasser“ spendiert. Lachend und dankend konnte Braun am Ende das unbenutzte Fläschlein vorzeigen.
Heidemarie Förster-Stahl, Theater in Rudolstadt (Rudolstädter Schriften 2), Stadt Rudolstadt, Rudolstadt 2021, 204 Seiten, 18,00 Euro.
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