Wer sonst hätte dieses Buch schreiben können? Matthias Biskupek nutzt seinen Heimvorteil – wohnt er doch in der Schillerstraße, einen Katzensprung vom Schiller-Haus entfernt. Er ist ein Tausendsassa. Seine umfangreiche Bibliographie zeigt, dass er sich in Essays und in Beiträgen für den Hörfunk bereits vorab etwa mit Schiller und Fallada, den zeitweise in Rudolstadt Ansässigen, beschäftigt hatte. Biskupek kennt die aktuelle Literaturszene im Thüringischen wie nur wenige, wusste indessen auch immer, was in Berlin – dem zweiten Ort seines Schaffens – gespielt wurde und wird. Über die Schweriner Poetenseminare kam er in die Szene, war Kabarettautor in Gera und Rudolstadt und arbeitete als Dramaturg am Rudolstädter Theater – im Volksmund seit Jahrhunderten als „Bratwurschtbude“ bekannt. Er ist seit Jahrzehnten Autor des Eulenspiegel, etlicher Tageszeitungen und selbstredend des Palmbaum. Schon vor dem Umbruch wurde B. in jedem (Literatur-) „Kritikerseminar“ in der Rudolstädter Ludwigsburg gesichtet, nach der Wende gehörte er zum „Literarischen Quartett“ – freilich zu jenem, das im Thüringischen agierte. In den Wendeunruhen stand er organisatorisch an der Spitze der Thüringer Autoren. Des „Rentnerlehrlings“ satirische Erzählungen und Essays, sein Theaterroman, auch seine Gedichte sind vielen Lesern geläufig.
Das Buch, herausgegeben von der Stadt Rudolstadt, darf man einen Prachtband nennen, den sich Biskupek selbst zum runden Geburtstag schenkte. Gestaltung und Satz (Alexander Bernhardt) sind vorzüglich. Der Text und vor allem, die zum Teil seltenen Bilder haben Platz, können atmen. Auf dem dicken, matten Papier (RebeccaDesign natural) kommt das Dargebotene angemessen zur Wirkung. Lediglich die Bildunterschriften hätte sich der Beckmesser – eingangs zur Mitarbeit ausdrücklich eingeladen – etwas größer gewünscht.
Der indessen siebzigjährige Autor kann mit Freude und Spott geistreich erzählen. Geschrieben hat er das Buch zur Zeit einer höchst bedrohlichen, gesundheitlichen Krise. Im Vorwort merkt er dies knapp an, im Text spürt dies der Leser nicht. Sein Buch lebt auch von Anekdoten, Witzen, von Kalauern und Literaten-Klatsch. Immer wieder werden die Rivalitäten zwischen der Residenzstadt und der benachbarten Arbeiterstadt Saalfeld thematisiert.
Biskupek hat als Essayist den Vorteil, dass er keine Vollständigkeit anstreben oder vorgaukeln muss. Er kann sich mit Lust seinen Favoriten widmen und dabei Lücken in Kauf nehmen.
Der gedankliche Bogen spannt sich von der Zeit des Barock bis in unser Jahrhundert. Gleich zwei Kapitel handeln von Schiller, der sich bekanntermaßen lange zwischen den reizenden Schwestern Caroline und Charlotte von Lengefeld nicht entscheiden konnte. Im Gegensatz zu Goethe war Schiller mehrfach im Rudolstädter Musentempel zugegen, zumal man hier „Wallensteins Lager“ und „Die Räuber“ gab. Eine Schlacht, die Schiller in seinem Erstling schildert, wurde laut und authentisch hinter dem Theatergebäude von einer einheimischen Garnision geschlagen. „Wahrlich, es ist eine gute Tat des Militärs“, lesen wir bei Biskupek, „wenn es, statt mit heldenhaften Rufen auf den Lippen für Gott, Führer und Vaterland zu schießen und zu töten, für die Kunst tätig wird.“
„Das Duell am Uhufelsen“, der geplante Doppelselbstmord der Gymnasiasten Ditzen (Fallada) und von Necker, wird in der Tradition von Paul Schmidt-Elgers eindrucksvoll – auch im Bildteil –dokumentiert. Unbedingt lesenswert ist zudem das Kapitel „Inge und Dorchen – Ein-Eheausbruch“. Im Zentrum steht die weit über Thüringens Grenzen hinaus bekannte Schauspielerin und Schriftstellerin Inge von Wangenheim, die in Rudolstadt mit der früheren Sekretärin ihres Mannes in konfliktreicher Partnerschaft lebte.
Und natürlich wird die bewegte Geschichte des Greifenverlages erzählt – von Karl Dietzens Anfängen in der Wandervogel-Bewegung bis in die Nachwendezeit. Bis zur Mitte der 1960er Jahre wurde der Verlag privat geführt, dann verstaatlicht. Von den knapp beleuchteten Wirrnissen der Nachwendezeit ganz zu schweigen …
Zu den namhaften Autoren des Verlages zählten Paul Zech, Max Hodann, Viktor Klemperer, Erich Loest, Landolf Scherzer und viele andere. Der Bayer Dietz hat auch seine Landsleute Feuchtwanger und Graf verlegt. Von Oskar Maria Graf fanden sich 83 Briefe im Verlagsarchiv, die – dies sei ergänzt – 1994 vom Palmbaumgründer Detlef Ignasiak und dem Rezensenten ediert wurden.
Auch Autoren von regionaler Bedeutung wie der Heimat- und Mundartdichter Anton Sommer (1816–1888) und die in Blankenburg geborene Toni Schwabe (1877–1951) erfahren Würdigung. Der Volkserzähler Erwin Strittmatter, der vor 1945 in der Region lebte und arbeitete, hat Toni Schwabe, die 1926 einen Goethe-Roman schrieb, mit dem liebevoll-heiteren Text „Meine Freundin Tina Babe“ ein literarisches Denkmal gesetzt.
Lediglich das vorletzte Kapitel ist nicht so kompakt, es zerfasert etwas. Schon der Untertitel deutet dies an: „Literarisches Leben von Jena bis Saalfeld“. Dieser Lesereindruck ist der einfachen Tatsache geschuldet, dass Biskupek ins Offene blicken muss: Weder für Schiller – für den Rudolstadt die „heimliche Geliebte“ blieb – noch für Fallada, wie ebenso wenig für Harald Gerlach oder für Inge von Wangenheim war Rudolstadt auf Dauer der Lebensmittelpunkt. Offen ist der Schluss auch insofern, als Biskupek auf einige seiner lebenden Kolleginnen und Kollegen blickt.
Nicht nur um das Dutzend „vollzumachen“, schaltet sich am Ende ein namhafter, in Rudolstadt gebliebener Autor live zu – mit einer „Humoreske zum Leben in der Provinz“. Es ist – wen wundert es? – Matthias Biskupek selbst, der drei hintergründige, mundartlich geprägte Monologe zum Besten gibt. Wieder einmal hat er dem Volk aufs Maul geschaut, wieder einmal bekommen die Saalfelder ihr Fett ab …
Matthias Biskupek: Das literarische Rudolstadt (Rudolstädter Schriften, Band 1), Stadt Rudolstadt, Rudolstadt 2020, 172 Seiten, 18,00 Euro.
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