24. Jahrgang | Nummer 24 | 22. November 2021

Der Mord im Cöllnischen Rathaus

von Frank-Rainer Schurich

Es war eine schlimme Zeit. Berlin und Cölln verschonte der Dreißigjährige Krieg (1618 bis 1648) nicht; die Truppen Wallensteins und des Schwedenkönigs Gustav II. Adolf plünderten die Doppelstadt und meuchelten ihre Bewohner. Infolge der dramatischen Ereignisse breiteten sich Hunger und Seuchen aus. Viele Bürger flüchteten aus Angst um ihr Leben aus der Stadt.

Im Jahre 1631, mitten im Krieg, brach die Pest aus. 2066 Menschen starben – fast ein Viertel der Bevölkerung, will man den Quellen glauben. 1637 schien sich die Lage zum Besseren zu wenden, als im Sommer des Jahres die Epidemie erneut wütete, die diesmal 840 Tote forderte. Die Gottesmänner rieten zu umgehender Buße, habe doch „der allein gerechte Gott hiesige Residenzstadt wegen ihre groben überhäuften Sünden unter anderen Plagen auch mit der auffallenden Seuche der Pestilenz“ heimgesucht. Was sollten sie auch sonst predigen, denn Abstands- und Hygieneregeln waren in der dicht besiedelten Doppelstadt ohne Kanalisation nicht einzuhalten. Zu all diesem Ungemach kam noch ein Mord im Cöllnischen Rathaus!

Als am 8. September 1637 der Cöllner Bürgermeister Johann Wedigen nachmittags auf das Rathaus ging, um seine Amtsgeschäfte zu erledigen, erschien um zwei Uhr nachmittags der Adlige Hans Georg von Hake, der von der Hakeburg in Kleinmachnow einen Ausritt nach Cölln machte, um eine geringe, aber auch strittige Schuld aus Kontributionszahlungen vom dortigen Magistrat einzutreiben. Wahrscheinlich war er durch das Gertraudentor in die Stadt gekommen.Von dort war es nicht weit bis zum Rathaus. Er hatte seine beste Kleidung angelegt, um Eindruck zu schinden, und ging unangemeldet in die Amtsstube des Bürgermeisters.

Offenbar gab es gar keine Auseinandersetzung, denn Johann Wedigen soll nicht ein einziges böses Wort gesagt haben. Dennoch hatte sich der Besucher nicht in der Gewalt. Jähzornig, wie er war, streckte er den Bürgermeister mit einem kurzen Hirschfänger „in zwey Stichen“ zu Boden, „den einen auf der rechten Seiten in den Unterleib hinein, und auf der lincken Seiten wieder durch, den andern gleichfalls auf der rechten Seiten ins Bein hinein und hinten bey den dicken Lenden wieder herausgegangen …“ So beschrieben in der im Jahre 1699 abgeschlossenen Nachrichtensammlung namens „Chronicon Berolinense“.

Am folgenden Tag gegen neun Uhr verstarb Johann Wedigen an seinen schweren Verletzungen. Von Hake wurde sofort nach der Tat in Arrest genommen. Schon am 11. September 1637 kamen die Stadtrichter und ihre sieben Schöffen zu einem Urteilsspruch, denn die Beweislage war klar: Enthauptung, die Ehrenstrafe für Angehörige des Adels. Zuvor sollte ihm die rechte Hand, mit der der Ruchlose den Hirschfänger geführt hatte, abgehauen werden. Der Kopf des Mörders sollte dann an einer Landstraße öffentlich zur Schau gestellt werden, damit das Volk ermahnt werde, derartige Streitigkeiten nicht auf diese Art zu lösen.

Die Adelslobby zeigte sich über das Urteil höchst empört, wobei sie nicht die ehrenvolle Hinrichtung durch das Schwert kritisierte. Die Hand abschlagen und den Kopf zur Schau stellen – das ging zu weit bei einer so angesehenen Persönlichkeit.

Die Juristische Fakultät der Universität Frankfurt (Oder) bestätigte das Urteil in allen Teilen, was den Landesadel aber immer noch nicht zur Räson brachte. Graf Adam von Schwarzenberg wurde beauftragt, beim Kurfürsten Georg Wilhelm zu intervenieren. Dieser ließ sich von den Argumenten überzeugen, was sich in der Chronik wie folgt liest: „Das Urtheil brachte zwar mit, daß ihm erst die rechte Hand solte abgehauen werden; allein er ist in diesem Punckt begnadigt worden.“ Auch die Zurschaustellung des Kopfes wurde unterbunden. Der Kurfürst legte gnädigst fest, den Toten der Familie zur Bestattung zu übergeben, nicht ohne hinzuzufügen, dass dies eine Ausnahmeregelung sei. Erstaunlich für heutige Verhältnisse: Diese ganze juristische Auseinandersetzung war in neun Tagen erledigt.

So wurde der Affektmörder Hans Georg von Hake am 18. September 1637, nur zehn Tage nach dem Mord, öffentlich auf einer Bühne vor dem Cöllnischen Rathaus enthauptet, und es geschah, wie der Kurfürst es bestimmt hatte: Die Leiche wurde nach „Machenow“ (Kleinmachnow) überführt und in der dortigen Dorfkirche bestattet.

Der Scharfrichter Jeck machte bei dieser Hinrichtung ein besonderes Schnäppchen. Es war Brauch, dass die Kleidung des Delinquenten dem Scharfrichter gehörte, worum Jeck auch bat. Aber der Kurfürst legte fest, dass er anstelle der Bekleidung eine Ausgleichszahlung von zehn Talern bekommen soll. Das war viel mehr, als die Hinrichtung gebracht hätte. Ein gutes Geschäft.

Etwas verwundern musste die Leichenpredigt des Probstes von Cölln, der den getöteten Johann Wedigen in eine Reihe mit dem ebenfalls ermordeten Julius Cäsar rückte. Der Berliner Kirchenlieddichter Michael Schirmer bedauerte, dass das verdienstvolle Stadtoberhaupt seine Anstrengungen für das Wohl der Bürger so jäh beenden musste. Er verglich die Arbeit des Bürgermeisters gar mit der der griechischen Sagengestalt Sisyphos von Korinth, der als Strafe einen Felsblock auf einen Berg wälzen musste, von dem dieser im letzten Moment immer wieder herabrollte.

Derartige Lobgesänge und fragwürdigen Vergleiche waren zwar sehr trostreich anzuhören, nützten aber der Familie Wedigen gar nichts. Es wird vermutet, dass ihr sozialer Abstieg mit dem Tod des Familienoberhauptes begann. Den Kindern von Johann Wedigen war jedenfalls ohne den wichtigsten Lobbyisten der Familie ein sozialer Aufstieg nicht mehr möglich. Da hat sich bis heute gar nichts geändert, mehr denn je wiegen Beziehungen viel schwerer als Gerechtigkeit oder Kompetenz.

Erwähnt werden muss aber noch, dass der wackere, aber zum Affekt und zu Wutausbrüchen neigende Landedelmann, der 1583 geboren wurde und an der Universität in Frankfurt (Oder) studierte, wohl ein Wiederholungstäter war. Im Jahr 1621 stritt er schon zweimal mit den kurfürstlichen Behörden. In der Auseinandersetzung mit einem Dr. Didde verwundete er diesen am Hals, danach mißhandelte er jähzornig einen Herrn von Lindholz, weswegen Hans Georg von Hake sogar in Haft genommen werden musste. Durch einen Vergleich mit der Familie des Opfers kam er aber wieder frei. Wie wir heute wissen, für sechzehn Jahre.

Im Blättchen 12/2021 erschien der erste Teil der Cöllner Mordgeschichte(n) unseres Autors.