24. Jahrgang | Nummer 12 | 7. Juni 2021

Cöllner Mord-Geschichte(n)

von Frank-Rainer Schurich

Aus dem alten Cölln auf der Spreeinsel und dem benachbarten Berlin entstand die deutsche Hauptstadt. Alle Fakten sind nicht nur durch die 775-Jahr-Feier bekannt: Cölln als Stadt wird 1237 erstmalig urkundlich erwähnt, Berlin 1244. Aber wie gestaltete sich das Leben in diesen grauen Vorzeiten?

„Die Chronik der Cölner Stadtschreiber vom Jahre 1542 bis zum Jahre 1605“ verzeichnet Denkwürdiges und zuweilen auch Belangloses. Die zur Führung von Bürgerrollen verpflichteten Stadtschreiber lassen aber interessante Einblicke in die damaligen Zustände zu. Sie schreiben über das Gerichtswesen und die Stadtgeschäfte, über Personen, die sich um das Gemeinwesen verdient gemacht haben, sie berichten vom Leben und Sterben, von schlimmen Krankheiten und Häusereinstürzen, von Verbrechen, Unfällen und Bränden sowie von außergewöhnlichen Himmelserscheinungen.

So sind am 7. Mai 1580 „in der Luft Wunderzeichen mit Feuerstralen gewesen“, am 1. Juni 1580 war „Georgen T e u s c h e r todtlichen abgegangen“, also verstorben, und am 27. Juni 1580 fand man auf der „Collnischen Stadtheiden eine todte, erschlagene Magdt oder Weibsbildt“. Und dann wurde es richtig kriminell: „Den 27. July hat Raphael T e p p i c h m a c h e r s Junge mit Namen … einen erstochen, und ist ihme des folgenden Tages vor dem Cöllnischen Rathhause wiederumb der Kopff abgeschlagen und neben dem Entleibten in ein Grab gelegt worden.“ Warum diese Mordtat geschah und wer das Opfer war, ist nicht überliefert. Raub, Eifersucht, Wut, Neid? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass genau 14 Tage zuvor die Räte von Berlin und Cölln eine ziemlich moderne Verordnung gegen den übertriebenen Luxus erlassen hatten.

Hinrichtungen mittels Schwert wurden sowohl vor dem Berliner als auch vor dem Cöllnischen Rathaus vollzogen. So ist die eigens dafür errichtete „Bühne vor dem Cöllnischen Rathhause“ turnusmäßig zu einem „Theater des Schreckens“ geworden. Was dem heutigen Rechtswesen ja völlig fremd ist: Dem Mörder hat man einen kurzen Prozess gemacht. Er wurde zum Tode durch das Schwert verurteilt und vor dem Cöllnischen Rathaus, unweit der Petrikirche, hingerichtet. Die Richter verfügten, dass der Kopf des Mörders zum Körper des Opfers gelegt wird.

Das Team um die Ausgrabungsleiterin Claudia Maria Melisch am Petriplatz in Berlin, auf dem Friedhof an der Petrikirche (zu DDR-Zeit befand sich hier ein Parkplatz, vor allen Dingen für die Besucher der „Jugendmode“ in der Brüderstraße), fand am 17. Juni 2008 genau dieses Grab (Befund-Nr. 3816) – nach 428 Jahren. Eine wissenschaftliche Sensation! Die anthropologische Bestimmung ergab, dass das vollständig erhaltene Skelett einer männlichen Person gehörte, 25 bis 35 Jahre alt, der skelettierte Schädel ebenfalls einem Mann, 30 bis 40 Jahre alt. Auch die Bestimmung der Liegezeit spricht dafür, dass genau dieser Kriminalfall wieder an das Tageslicht befördert worden ist. Denn es war in unseren Breiten äußerst selten oder vielleicht gar einmalig, dass die Richter bestimmten, den Mörder, jedenfalls ein Teil von ihm, und den Ermordeten in einem Sarg zu bestatten. Die Hintergründe, warum dies so geschehen ist, können nur vermutet werden. Vielleicht war es eine besondere Form der Sühne oder Gnade.

Das Team um Claudia Maria Melisch ist nicht nur auf Überreste der Mitte der 1960er Jahre gesprengten Petrikirche gestoßen, sondern auch auf 3210 Gräber mit 3888 Skeletten, dazu noch zahlreiche Knochenteile, die nicht mehr zugeordnet werden konnten. Diese „Streuknochen“, insgesamt zwölf Kubikmeter, fanden am 18. November 2012 auf dem Friedhof St. Petri-Luisenstadt in Friedrichshain ihre letzte Ruhe. Die Gebeine des Ermordeten und der Schädel des Sohnes von Raphael Teppichmacher lagern noch in der Gruft der Parochialkirche in Mitte. Geplant ist ein Kolumbarium, ein Archäologisches Haus am Petriplatz. Dort, fast an ihrem angestammten Platz, werden der Schädel des Mörders und das Skelett des Opfers wieder ruhen. Hoffentlich dann für den Rest der Ewigkeit.

Nach der ruchlosen Tat verzeichnet die Chronik, dass vom 15. bis zum 18. August 1580 die „große Stube auf dem Rathhause zu Cölln renoviert, ausgeweißet und neue Fenster darin gemacht worden“. Das Leben ging einfach weiter im alten Cölln, und auch Verbrechen und Katastrophen schliefen nicht. Am 18. August 1580 geschah wieder etwas Tragisches. Im Schloss war „der neue Küchen-Scharstein eingefallen und einen Jungen getroffen und ime die Augen auß dem Kopff und beyde Arme und Beine entzwey geschlagen.“ Ob der Junge überlebt hat, ist nicht überliefert.

Am 15. Dezember 1583, heißt es später in der Chronik, war Matz Jhan Paul wegen begangener Kirchendiebstähle und Notzucht an einer Magd zum Tode durch das Rad verurteilt worden. Aber „uff Vorbitte furnemer Leute“ wurde er mit dem Schwert hingerichtet. Auch damals schon konnten vornehme Leute einiges bewirken … Und viele Jahre dem Mord durch den Sohn von Raphael Teppichmacher, genau am 8. September 1637, wurde der Cöllner Bürgermeister Johann Wedigen im 1580 renovierten Cöllnischen Rathaus vom Adligen Hans Georg von Hake „mit einem kurzen Hirsch Fänger in zwey Stichen“ ermordet. Aber das ist eine neue Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll.