Diesmal: „Die Opferung von Gorge Mastromas“ – Die Vaganten; „Winterrose“ – Schlosspark-Theater. Und ein verzückter Blick nach Wien …
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Richard III. ist berühmt als einer der durchtriebensten Böslinge der Theatergeschichte. Machtgeil, verlogen und verführerisch schraubt er sich skrupellos bis nach ganz oben. Dennis Kelly, Landsmann von Shakespeare, holt in seinem bürgerlichen Gangsterstück „Die Opferung von Gorge Mastromas“ einen alerten Kerl von heute auf die Bühne. Den treibt es – ganz im Geist von Richards Schurkentum – hemmungslos nun nicht nach der güldenen Krone, sondern nach dem milliardenschweren Geldsack. Und so geht G.M., der irrsinnig erfolgreiche, weil wahnsinnig schamlose Großkapitalist, der schillernde Menschenverführer und dreiste Manipulator tatsächlich über Leichen.
„Endlich ein Stück zum Kapitalismus, zu den Verbrechern, zur gesellschaftlichen Ungleichheit“, jubelten die Ruhrfestspiele zur Uraufführung. Das klingt nach toll und top aktuell, aber auch ein bisschen nach Propaganda.
Doch keine Sorge, der Londoner Autor, gut geschult am englischen well-made-play, macht aus dieser sagenhaft, aber raffiniert konstruierten Aufsteigerstory, aus dem mit Lust destruktiv verstandenen Prinzip Schneller-Höher-Weiter einen ordentlichen Psychothriller mit Sex and Crime, Liebe, Lüge, Machtgier, Gewaltherrschaft, falschen Gefühlen und versteckter Angst. Anfangs der nette Normalo-Bursche von nebenan, entdeckt Gorge im Berufsalltag die Kraft der Ellenbogen, findet, dass menschliche Güte auch bloß menschliche Feigheit sei und wuchert zum unmoralischen Übermenschen.
Das Stück für drei Schauspieler (Björn Bonn, Michael F. Stoerzer, Steffen Happel) und eine Schauspielerin (Natalie Mukherjee) mischt, geschickt gemacht und bisschen wie bei Brecht, ein Erzählen, Kommentieren, Hinterfragen mit psychorealistischem Spiel bei stetig ansteigender Spannung. Die Regisseurin Bettina Rehm organisiert dieses Ping-Pong mit Tempo, setzt aber doch allzu sehr aufs Parabelhafte und weniger auf den Thrill, auf Psycho, aufs Schillernde und Verführerische des Bösen. Schade. Dabei hätte sie mit Björn Bonn wohl einen Könner gehabt fürs aufregende Ausspielen der nun bloß angedeuteten Ambivalenzen der Titelfigur – eigentlich ein Weichei, das sich Härte verordnet. Bis es ganz oben und am schlimmen Ende zugeschüttet wird von einem Berg gleißender Goldfolie, die bislang den Boden bedeckte der ansonsten tiefschwarzen Bühne. Sie ist das Loch, in das Mastromas stürzt. Der Orkus, in dem er verrecken wird.
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Im Stadtpark ist gut Ausruhen. Die Natur, die Stille, der Ententeich hinter der Trauerweide. Ein melancholisch stimmendes Idyll. Passend für Josef Kleberger, seit sieben Jahren Witwer. Und seit sieben Jahren immer donnerstags Stammgast auf der lauschigen Bank am Teich. Dort schmökert der einsame Bücherfreund ungestört die Werke der Weltliteratur. Gerade ist er bei Dante, „Göttliche Komödie“. Shakespeare hat er schon durch. Seine Freunde, die Enten, nennt er Titania, Oberon, Rosenkranz, Güldenstern …
Doch neuerdings muss Josef mittwochs kommen, denn Donnerstag ist Yoga. Er hat’s mit der Hüfte. Doch am Mittwoch ist es vorbei mit der Lese-Stille. Denn da kommt Elisabeth, eine so redselige wie taffe Witwe, die immer ausgerechnet mittwochs auf der Pirsch ist nach einem passenden Mann. Sie verabredet sich jenseits der Enten im Parkcafé Kindermann; ihr vielsagendes Kennwort: „Winterrose“ („sie blüht, aber ist kalt wie Schnee, duftet, aber hat Dornen, trotzt dem Winter, aber ist zerbrechlich wie Kristall“).
Doch zuvor inspiziert Betty – mit dem Fernglas vor Augen – die infrage kommende Männlichkeit. Sozusagen der fernoptische Vorentscheid. Auf der einzigen dafür gut geeigneten, gut getarnten Bank – natürlich Josefs Bank. „Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer …“
Das ist die an sich ganz simple Ausgangslage der durch ihr Großaufgebot an Witz, Charme und Lebensweisheit köstlich amüsierenden, in Salzburg uraufgeführten Konversationskomödie „Winterrose“ der österreichischen Autorenfamilie Christa, Agilo und Michael Dangl.
Zwei gegensätzliche Temperamente – das Schwatzhafte und das Schweigsame – prallen da aufeinander: Josef Kleberger (Jürgen Heinrich), der gebildete, vornehm kühle Hagestolz, ziemlich menschenscheu, bisschen zynisch. Kontaktanbahnungen weist der Herr mit Hut, Krawatte, Einstecktuch stöhnend zurück – mit einem Dante-Zitat zwischen den Zähnen: „Ihr, die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren.“
Elisabeth (Dagmar Biener), stets feingemacht, schick gewandet und mit Fernrohr in einer für jeden Auftritt neuen teuren Handtasche lässt sich weder von Weltliteratur noch von Josef abschrecken, ihren Ausguck neben ihm auf dessen Parksitz einzunehmen. Um eloquent ihre bislang eher unerfreulichen, grotesk komischen Dating-Erfahrungen durch den Kakao zu ziehen. Die unerschrockene, unermüdliche Dame auf Männersuche entfaltet ein bizarres Panorama Weibchen suchender älterer Männchen, das Josef genervt ätzend kommentiert. Immerhin, da wenigstens sind sich die beiden einigermaßen einig. Und mit der Zeit am Teich stellt sich peu à peu heraus, dass ein bislang fein versteckter, letztlich unerschütterlich menschenfreundlicher Idealismus sowohl die kesse Witwe als auch den hochmögenden Witwer durch die nicht wenig schmerzlichen Untiefen ihres Daseins getragen hat. Doch reicht das für ein Happyend?
Diese so kleine, hinreißend verkrampfte Parkbank-Geschichte, die wie nebenher zwei Schicksale offenbart, was sie unversehens ganz schön groß macht, wird ergänzt durch eine Art Spielmeister: den Park-Gärtner Horst Hückeshagen (Georgios Tsivanoglou), einen allein schon durch seine Leibesfülle gut geerdeten, dennoch leichtfüßigen, schlitzohrigen Tanzbär. Er pausiert gelegentlich mit Butterbrot bei den Enten („Füttern verboten!“), liebt Schlagerparaden aus dem Kofferradio, hört beiden zu und liefert lebenskluge Kommentare, bevor er sich mit seiner Musike aus der Box diskret zurückzieht.
Was wir da hören, ist das eine. Das andere, was halt das Theater ausmacht, ist, was wir sehen und erleben. Dafür zuständig ist das bis in die Satzzeichen perfekt pointiert spielende Terzett aus Park-Philosoph, Park-Plaudertasche und Park-Wächter nebst Park-Enten. Das wiederum wird geradezu musikalisch dirigiert vom Regisseur Philip Tiedemann, der dem Schlosspark schon so manchen tollen Theaterabend bescherte. Wir bewundern ihn schon seit Claus Peymanns Zeiten erst im Burgtheater und dann am BE. Das ist elegante, feinnervige, spannungsgeladene Regie- und Seelenkunst. – Das Publikum ist berührt, beglückt, begeistert.
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Was bitte soll ein verlorener Schuhabsatz in einem hauptstädtischen Museum? – Wir sind in Wien und stöbern voller Entzücken in der Ausstellung „Verehrt … Begehrt. Theaterkult und Sammelleidenschaft“ des Theatermuseums, das eine so umsichtige wie geschichtsbewusste Kulturpolitik (an Berlin darf man da gar nicht denken) im repräsentativ prunkenden Palais Lobkowitz einrichtete.
Dort finden wir unter Glas den abgewetzten Absatz von Gerhart Hauptmanns linkem Stiefel, mit dem der Autor auf der letzten Probe zu „Rose Berndt“ am 10. Februar 1904 im Bühnenboden des Burgtheaters stecken blieb. Hugo Thiemig hat das Stückchen Leder „aufgehoben und verwahrt“, so schrieb’s der Schwiegervater von Max Reinhardt aufs beiliegende Kuvert. – Und daneben der Militärpass (1877) des Gefreiten Hugo T. sowie ein Handschuh von Schauspielstar Anton Wildgans, als Bronzeplastik von 1912.
Eine andere Reliquie dieser fantastischen, witzigen Schau ist ein Gebiss mit Reißzahn, getragen von Josef Kainz in der Rolle des Mephistopheles von Phorkas in „Faust II“ von Goethe. Oder die Haarlocke von Alexander Moissi, eingesargt in eine niedliche Metalldose mit Sichtfenster sowie – auch das noch – ein Zahn der Groß-Tragödin Charlotte Wolter.
Ja, es geht herrlich kunterbunt zu in der „Sammlung Künstlerandenken“ dieses Museums, das allein unter diesem Rubrum etwa 4000 Objekte verwahrt, die nicht nur verrückte Theatergeschichtchen erzählen, sondern signifikant Theatergeschichte illustrieren. Noch bis Mitte April 2022 hält das großartige Museum unweit der Albertina den Deckel seiner so ganz speziellen Wunderkiste ein Stück weit offen für staunende Blicke auf einzigartige Kleinodien oder rührenden Schnickschnack aus prominentem Besitz, zusammengetragen von Enthusiasten aller Arten und Zeiten. Wie zufällig herbeigekramt und doch mit Bedacht zelebriert werden Maskottchen, Schmuck, Karikaturen, Kränze, Orden, Champagnergläser, Kaffeetassen, Jubiläumsgaben, Sitzmöbel, Reisekoffer, Schminkschatullen, Hosenträger, Hüte, Uhren, Rollendarstellungen auf Papier und Foto, in Öl, Porzellan und Terrakotta.
Doch auch Erinnerungen an Theatergebäude werden bewahrt. Etwa das Pult aus dem Souffleurkasten, die Dochtschere für die Theaterlampen sowie Splitter aus dem Bühnenboden – alles aus dem alten, längst abgerissenen Burgtheater am Michaelerplatz. Dazu die mehr als 135 Jahre alte Klinke der Bühnentür des Theaters an der Wien, die um 1931 erneuert wurde. Oder, in einer Zigarettenschachtel aufgehoben für die Ewigkeit, verkohlte Brandreste vom katastrophalen Ringtheaterfeuer im Advent anno 1881. Oder Stuck-Stücke vom Proszeniums-Portal der im März 1945 ausgebombten Staatsoper.
Die Entstehung dieser charmanten Sondersammlung geht auf Joseph Gregor zurück, den Begründer der Theatersammlung der Österreichischen Nationalbibliothek. Der leidenschaftliche Bewahrer und Künstler-Verehrer wusste natürlich um den höheren Wert auch banal scheinender Memorabilien, die er als Ergänzung der einzelnen Bereiche dieses exquisiten staatlichen Museums verstand.
„Verehrt … Begehrt“ ist eine herzbewegende Liebeserklärung ans Theater in Wien! Und die Feier seiner Stars von einst bis jetzt. Wir bestaunen den romanhaften Solovertrag des k. k. Hofburgtheaters mit Schauspielerin und kaiserlicher Geliebten Katharina Schratt, ihren Taschenkalender 1906 und ihre Pompadour, getragen am 1. Juli 1888 in „Der Widerspenstigen Zähmung“. Daneben die Kaffeemaschine aus der Garderobe von Tanzstar Fanny Elßler, 1884, oder die Lebendmaske von Oskar Werner (um 1960). Und in einer Ecke die Rehwiese mit den sich tummelnden Bambis von O. W. Fischer.
Der reich illustrierte Bestandskatalog der Memorabilien-Sammlung, herausgegeben von Karin Neuwirth und Thomas Trabitsch, ist 2021 im Residenz Verlag Wien erschienen.
Schlagwörter: Die Vaganten, Reinhard Wengierek, Schlosspark-Theater, Theaterberlin, Theatermuseum