Erinnern Sie sich noch an Hilmar Kopper, „Peanuts-Kopper“? Der damalige Sprecher der Deutschen Bank hatte die 50 Millionen DM, die der Immobilien-Pleitier Jürgen Schneider Anfang der neunziger Jahre vielen Handwerkern schuldig blieb, „Peanuts“, Kleinigkeiten genannt. Peanuts wurde damals zum Unwort des Jahres erklärt. Für die Zeitung, hinter der sich angeblich immer ein kluger Kopf verbirgt, ließ sich Kopper daraufhin auf Bergen von Erdnüssen abbilden. Wie amüsant.
Kopper ist mir auch wegen einer anderen Äußerung in Erinnerung geblieben. In einem Gespräch für den Spiegel äußerte er gegenüber dem Interviewer: „Ob Ihnen das gefällt oder nicht – es geht immer und überall nur darum, aus Geld mehr Geld zu machen.“ Punkt. Das nenn‘ ich mal Klartext! Da hätte selbst ein Karl Marx seine Freude dran gehabt.
Nun hat Theo Müller („Alles Müller, oder was?“) Klartext geredet. Anlässlich der Verleihung des Sächsischen Verdienstordens durch den Ministerpräsidenten Michael Kretschmar, der dafür in die Schweiz gereist war, dankte der milliardenschwere Steuerflüchtling mit den Worten, ein Unternehmer müsse sich eigentlich nicht um die Schaffung von Arbeitsplätzen, um Gerechtigkeit, sozialen Ausgleich, faire Löhne, Beiträge für Umweltschutz, Nachhaltigkeit oder den Einsatz für die Region, sondern nur um drei Dinge kümmern: „Erstens um Gewinn, zweitens um Gewinn, drittens um Gewinn.“ Er fügte hinzu, dieses Credo klinge zwar „reichlich egoistisch“, aber all die gennannten Werte seien mit der Gewinnerwirtschaftung bereits abgegolten. Das nenn ich mal Ehrlichkeit!
Angesichts des Stiftungszwecks des sächsischen Ordens, der für Leistungen zum Wohl der Allgemeinheit und ausdrücklich nicht für „die Erfüllung einer Berufspflicht oder das Wirken für das eigene Erwerbsunternehmen allein“ verliehen wird und angesichts dessen, dass Müller zwar Millionen an Subventionen erhalten, seine Unternehmensgruppe aber im Steuerparadies Luxemburg angesiedelt und sich selbst in die Schweiz verdrückt hatte, ist die Empörung groß. Müller-Milch hatte insgesamt 70 Millionen an Subventionen eingestrichen und seine Gewinne beruhen auch auf besonders kompromisslosem Druck gegenüber seinen bäuerlichen Milchlieferanten und seinen Beschäftigten. Auch seine Kleinaktionäre hat er übers Ohr gehauen. „Hier werden sie gemolken“ titelte das Manager-Magazin seinerzeit. Und nun der Sächsische Verdienstorden.
Aber wie skandalös ist diese Ordensverleihung wirklich? Auch Peanuts-Kopper hat ja das Große Bundesverdienstkreuz umgehängt bekommen. Und werden nicht viele Tausend Unternehmer und Politiker hinter vorgehaltener Hand sagen, Müller habe völlig Recht mit der Aussage, erste Pflicht eines Unternehmens sei es, Gewinne zu machen und der Gemeinwohlpflicht sei mit der Zahlung von Steuern und Abgaben ausreichend Genüge getan? Na ja, Müller und viele andre meinen, sie zahlen zu viel Steuern, ihr Dienst am Gemeinwohl würde überstrapaziert; sie hätten das gute Recht, im Interesse der Shareholder des Unternehmens womöglich die Pflicht, den Steuersitz ins Ausland zu verlegen.
Aber wer legt fest, was Pflicht ist? Wer oder was zwingt zur Gewinnorientierung? Natürlich legt das niemand fest, es resultiert aus dem „stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse.“ Dem Kapital ist die Profitorientierung immanent. Es gibt nicht das eine ohne das andere. Ein Privatkapital steht immer in der Konkurrenz zu anderen Kapitalen und ohne Gewinne würde es seine Konkurrenzfähigkeit verlieren und irgendwann vom Markt verschwinden. Arbeitsplätze und Steuereinnahmen gingen verloren und mit dem „Wohl der Allgemeinheit“ wird es dann schwierig. Na ja, in Krisen zeigt sich, dass die Gewinnmaximierung ein zweischneidiges Schwert ist, weil zu geringe Löhne die Nachfrage hemmen, den Absatz stocken lassen und es mit der aus der Gewinnorientierung resultierenden Überakkumulation zu Pleiten kommt. Aber das Einzelunternehmen hat darauf kaum nennenswerten Einfluss.
Manchmal werden Unternehmen allerdings vom Steuerzahler gerettet. Der 200-Milliarden-Doller-Mann Elon Musk gibt zwar viele Millionen für Villen, Jachten, Flugzeuge und seine Raumfahrtprojekte aus, und er steht keineswegs vor einer Pleite, aber er kriegt in Deutschland über eine Milliarde Euro geschenkt, damit seine Tesla-Fabrik ein unternehmerischer Erfolg wird. Voriges Jahr schütteten viele Großkonzerne mit der einen Hand Dividende aus und hielten die andere Hand für Subventionen auf. BMW erhielt 700 Millionen Kurzarbeitergeld vom Staat und zahlte dieses Jahr 1,4 Milliarden Dividende; allein die Mehrheitseigner Stefan Quandt und Susanne Klatten kassierten davon rund 500 Millionen. Bei VW gingen die 2,4 Milliarden Euro an Dividenden zu keinem geringen Teil an die Eigentümerfamilien Porsche und Piech.
Aber ist Gewinnorientierung skandalös? In jedem Lehrbuch der Betriebswirtschaftslehre ist es nachzulesen: Unternehmerischer Erfolg misst sich am Gewinn. Er ist das Alpha und das Omega des Unternehmerhandelns. Auch alle ökonomischen Modelle unterstellen auf der Seite der privaten Haushalte nutzenmaximierendes und auf der Seite der privaten Unternehmen gewinnmaximierendes Handeln. Das hat nie jemanden aufgeregt. Noch die kritischste ökonomische Theorie geht genau davon aus und kritisiert weniger dieses Verhalten als die Verhältnisse, die ein solches Verhalten hervorbringen.
Zwar lassen sich ökonomische Gesetze nicht aushebeln, ihr Wirken unterliegt jedoch auch Macht- und Kräfteverhältnissen. Und zur Wahrheit gehört auch, dass Arbeiterbewegung und Zivilgesellschaft seit hundertfünfzig Jahren Bedingungen erkämpft haben, die den Unternehmen neben der Gewinnorientierung auch soziale Zielstellungen auferlegen. Diese können zwar Gewinne schmälern, treiben sie aber nicht in die Pleite. Viele dieser sozialen Reformen haben dazu beigetragen, das System und damit auch die Möglichkeit des Gewinnerzielens zu erhalten. Inzwischen haben sich selbst Kapitalgesellschaften einen Corporate Governance Kodex gegeben. Auch wenn der vielleicht nicht das Papier wert ist, auf dem er geschrieben steht, so hat die Allgemeinheit das Recht, die Einhaltung solcher Regelungen und Gesetze zu fordern. Auch Theo Müller wird, wenn es um seine Familie geht, sich an allgemein menschlichen Werten orientieren – denke ich zumindest.
Ja, Müller spricht eine Wahrheit aus, wenn auch nicht die ganze Wahrheit. Und ja, die Ordensverleihung ist skandalös, denn vom ausdrücklichen Ordenszweck abgesehen steht im Grundgesetz, „Eigentum verpflichtet“ und solle „zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen“. Auch wenn das Grundgesetz nicht ausführt, wozu Eigentum „verpflichtet“ und auch wenn da steht, es solle nur „zugleich“ dem Wohl der Allgemeinheit dienen – wozu noch, lässt es offen –, also alles sehr vage bleibt, können sich die Profitjäger nicht auf das Grundgesetz berufen. Die Verfechter einer Gemeinwohlorientierung aber sehr wohl. Auch wenn die Praxis der Gesetzgebung und die Spruchpraxis der Gerichte dem häufig entgegenstehen, es also einen Widerspruch zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit gibt, sollte das nicht gering geschätzt werden. Müller ist zwar kein Staatsbürger Deutschlands, aber Sachsen gehört schon dazu.
Schlagwörter: Gemeinwohlorientierung, Gewinnmaximierung, Jürgen Leibiger, Kapital, Sächsischer Verdienstorden, Theo Müller