Seit dem Beginn der Corona-Pandemie, mit Stichdatum vom 11. März 2020 von der WHO offiziell dazu erklärt, lerne ich Neusprache. Rasch, am 25. März 2020, hat die Bundesregierung die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ ausgerufen, die gerade in die fünfte Verlängerung gegangen ist. Frage ist: Wer geht hier zum Schluss k. o.? Die „epdimische Lage von nationaler Tragweite“ wurde inzwischen nicht nur in den Medien, sondern auch im Umgangston der Bürgerinnen und Bürger gut verankert und stets befördert, so dass ich gezwungen bin, eine Art von Neusprache im Sinne von George Orwells Newspeak zu erlernen. Wie von selbst tauchen mir bislang völlig unbekannte oder kaum geläufige Wörter wie auch Abkürzungen auf, dies im staccato-Rhythmus und in einer sich permanent überholenden Höchstgeschwindigkeit. Ich werde also konfrontiert mit Begriffen, die nicht nur allein aus der Humanmedizin und Virologie, sondern auch aus der Veterinärmedizin, dem Verkehrswesen und dem Schulbetrieb, der Politik, aus der Film- und Computerindustrie und nicht zuletzt aus der NS-Geschichte stammen.
So lerne ich Neuwörter wie Booster-Impfung, case fatality rate, Corona-Ampel, Durchseuchung, Inzidenz, Herdenimmunität. Herdenschutz, homeschooling, hot spot, Killervirus, lockdwon, multimorbide, nicht-systemrelevant, Notbremse, panic buying, Reproduktionszahl, Risikogebiete, Risikogruppen, dies gesteigert noch durch das Präfix „Hoch“, shutdown, social distancing, Sonderopfer, Triage, Vakzine, Virenjäger.
Diese Mixtur wird noch erweitert durch Begriffe wie Alterskohorte, Ausgangsbeschränkung, Ausgangssperre, Dokumentationspflicht, Exit-Strategie, Hospitalisierung, Impfpflicht, Kontakteinschränkung, Kontaktverfolgung, Krisenmodus, Maßnahmenverschärfung, Mutante, Nasocheck, Quarantänepflicht, Testpflicht, Pandemiebekämpfung, 2- oder 3G-Regel. Wow! Wir befinden uns, zumindest sprachlich gesehen, anscheinend mitten im Krieg.
Newspeak, in Orwells „1984“ unter anderem verwaltet vom „Ministery of Truth“, kurz: „Minitrue“, wird heute stets begleitet von den der nicht oder nur unzugänglich medizinisch bewanderten Bevölkerung bekannten Abkürzungen wie AHA, BMG, BfArMn, DEMIS, EMA, FFP 2, IfSG, mRNA, PCR, PEI, RKI, Stiko – nicht zu verwechseln mit der beliebten Fernsehkrimiserie SOKO –, VOC und VOI, nicht zu vergessen SARS-CoV-2 mit den Varianten Alpha, Beta, Gamma, Delta, Epsilon, Eta, Iota, Kappa, Lambda, My, Theta, Zeta, gegen die vielleicht die Waffe Impfstoff keine Chance hat.
Daneben gibt es in der Neusprache natürlich auch die Corona-Leugner, die gerne in das politisch diffuse Schwamm- und Sammelbecken der „Querdenker“ eingetaucht werden, sowie die Impfterminschwänzer und Impfgegner. Dieser species, die sich, aus welchen Gründen auch immer, nicht impfen lassen will, kann man nur durch die „Lange Nacht des Impfens“ zur Einkehr verhelfen. Ein scheinbar harmloses Zitat, harmlos, da offensichtlich aus dem Kunstbetrieb stammend, ist doch auch in diesem Jahr coronabedingt die „Lange Nacht der Museen“ wieder ausgefallen. „Die Nacht der langen Messer“, der 1934 aufgrund der nationalsozialistischen Säuberungs- und Racheaktionen im Zuge des „Röhm-Putsches“ Menschen zum Opfer fielen, steckt dieser „Langen Nacht des Impfens“ allerdings im Rücken.
Impfstoffe wie AstraZeneca oder Sputnik V mögen vielleicht bei Astronomie-Kundigen Interesse erwecken, schließlich werden in nicht allzu ferner Zukunft wir alle – natürlich nur an Covid 19 verstorben – als nummerierter Asteroid namens Corona am Himmel erscheinen, dies in friedlicher Eintracht vereint. Die Ouvertüre dazu lieferte unlängst ein bestimmter Gesundheitsminister, der den „Tag der Deutschen Einheit“ zugleich als „Tag der Befreiung“ in der deutschen Geschichte verankert haben wissen will, in Gedenken an die großen Freiheiten, die im Zuge einer „Impfparty“ BioNTech, Johnson&Johnson, Moderna etc. pp. gegen SARS-CoV-2 der deutschen Bevölkerung beschert haben.
Das sprachliche Szenario im „Kampf gegen das Killervirus“ wird, im großen Fortschritt zu George Orwell, dessen Originalausgabe von „1984“ anno 1949 von keinen Illustrationen begleitet wurde, durch eine ständig wiederkehrende Bilderwelt weiter in die Höhe gestapelt, in der zur Megakastanienhüllengröße aufgeblähte Viren, blau behandschuhte und mit Schutzkleidung bis zur Unkenntlichkeit verhüllte Wesen sowie Menschen, die anscheinend nur einen Arm besitzen, in den geimpft wird, die Hauptrollen spielen. Lassen wir hier nicht die Teststäbchen außer Acht, die mindestens alle drei Tage in der Nase herum gerührt werden sollten.
Im „Panikorchester“ – so Stephan Russ-Mohl am 26. Oktober 2020 in der Süddeutschen Zeitung – spielt nicht Udo Lindenberg, sondern posaunen Politiker, Mediziner, Wissenschaftler, Virologen, Epidemiologen, Forschungsinstitute, Pharmakonzerne und nicht zuletzt die Medien selbst. Die Noten dazu liefern die Zahlen der Statistiken, den Text Newspeak. Die Durchseuchung der Sprache, um dem „Killervirus“ den Kampf anzusagen, ist zur neuen Normalität geworden. Zu ihr gehört auch, dass man statt an Krebs, an einem Herzinfarkt oder an den Folgen eines Verkehrsunfall stirbt heutzutage Corona erliegt.
Ein Trost bleibt: Alles Leben ist tödlich.
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