Der Turm wächst. Stein auf Stein. Das ist Maurerkunst vom Feinsten. Und ganz oben gibt’s ein Dixiklo. Das wächst – Turmschmuck der besonderen Art – mit in den Himmel und kündet täglich: Es geht voran.
Die Rede ist vom Turm der Potsdamer Garnisonkirche. Genauer: von der Kopie desselben. Das Original war – wie 1000 andere Gebäude und das Stadtschloss auch – zur Ruine gebombt worden von britischen Fliegern in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1945, als der Krieg endgültig nach Deutschland zurückgekommen war. 1600 Menschen waren dabei zu Tode gekommen und 60.000 ihres Obdachs beraubt, und das alles ist eingegraben ins Gedächtnis der Stadt, so auch die Zeit im Mai/Juni 1968, da die Ruine in der DDR gesprengt und abgetragen wurde.
Nun also – seit Oktober 2017 – „Wiederaufbau“. Womit – so sieht es die eigens dafür geschaffene „Stiftung Garnisonkirche“ – das Stadtbild „geheilt“ werden soll. Indes: „Heilung“ – wovon und wofür? Die Stiftung bleibt im Ungefähren. Und redet die Fakten klein: die historischen zur Rolle als Kriegskirche im Ganzen und sehr speziell beim „Tag von Potsdam“ mit dem Hitler-Hindenburg-Handschlag am 21. März 1933 sowieso, aber auch die zur Entwicklung der „Wiederaufbau“-Idee.
Diese Fakten rücken jedoch gerade wieder ins Rampenlicht. Denn am 19. Juli 2021 überraschte das Landesamt für Denkmalpflege mit der Mitteilung, die 1991 neben dem Kirchenstandort aufgestellte Nachbildung des Glockenspiels, das einst den Turm gekrönt hatte, zum Denkmal erklärt zu haben.
Was aber hat es mit dieser Nachbildung auf sich? Stiftungssprecher Wieland Eschenburg, nach der Wende Kulturstadtrat in Potsdam, räumte in einem Interview für die Märkische Allgemeine Zeitung vom 17./18. Juli 2021 ein, bei ihrer Aufstellung 1991 „zu blauäugig“ gewesen zu sein. Und zwar jener im westdeutschen Iserlohn gegründeten „Traditionsgemeinschaft“ gegenüber, die der Stadt diese Nachbildung nicht irgendwie verkauft, sondern mit großem Trara zum Geschenk gemacht hatte. Da habe man „nicht erkannt, mit was für einem Gesellen“ man es „zu tun gehabt“ habe. „Geselle“ – das meint den Bundeswehroffizier und Anführer des „Traditionsvereins“ Max Klaar, dem Eschenburg im Rückblick „rechtsgerichtete Gedanken“ attestiert.
Am 14. April 1991 aber – bei der Einweihung der Glockenspielkopie – hat er ihm gemeinsam mit 10.000 Leuten zugejubelt, Reden hielten außer Klaar auch Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD), „Seine Kaiserliche Hoheit“ Prinz Louis Ferdinand von Preußen und Generalsuperintendent Günter Bransch. „Blauäugig“ sie alle? Und sonst nichts? Im Kunst- und Kreativhaus Rechenzentrum, beheimatet im 1971 auf einem Teil des Garnisonkirchengrundstücks errichteten tatsächlichen Rechenzentrum des damaligen Bezirkes Potsdam und nun nur wenige Meter vom Turmbau entfernt, findet sich im Erdgeschoss die Ausstellung „Lernort Garnisonkirche“. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt preußenkritischer Menschen und Initiativen (lernort-garnisonkirche.de) und öffnet den Blick auf Linien der Verherrlichung des preußischen Militarismus und der Verharmlosung der Verbindung zwischen ihm und dem deutschen Faschismus, der alles Gerede von „Blauäugigkeit“ Lügen straft.
Ein Nachbau des Glockenspiels als Ausdruck westdeutschen Strebens nach Wiedereinzug in Potsdam: Diese Idee trug erste Blüten 1980, als der „Semper Talis Bund“ im Wachbataillon beim Bundesministerium für Verteidigung in Bergisch-Gladbach eine Konstruktion aus einem Tonbandgerät und drei Uhrwerken aufstellte. Semper talis („stets gleich“): So stand es schon auf den Mützen der „Langen Kerls“ des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I., und so ist es auch heute der Wahlspruch des Wachbataillons, und das Glockenspiel intonierte – semper talis! – „Üb immer Treu und Redlichkeit“ und „Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehren“. 1984 installierten die „Semper Talis“-Leute in Siegburg ein über vier Meter großes Modell der Garnisonkirche. Max Klaar organisierte Spenden, im November 1984 wurde eine „erste Ausbaustufe“ der Glockenspielkopie in Iserlohn eingeweiht, und am 19. Dezember gründete sich die „Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e. V.“ mit dem Ziel, die Kopie im Fall der Wiedervereinigung Deutschlands der Stadt Potsdam zu stiften und – Achtung! – „geistig und finanziell“ zum Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam beizutragen. Klaars Reden sind gedruckt in den Preußischen Mitteilungen vom Februar 1985. Zu lesen sind wütende Attacken auf „die Ostberliner Machthaber“ und das Credo, „in einer Zeit ethischer Orientierungslosigkeit an unsere große preußisch-deutsche Geschichte anknüpfen“ zu wollen, denn Preußen sei „unsterblich“, seinen „ewig jungen Geist“ habe „kein Sieger zu verbieten“ vermocht.
Am 17. Juni 1987 war das Glockenspiel mit 40 Glocken vollständig. Eine Glocke ist dem „Kyffhäuserbund“ gewidmet, eine der 121. Infanteriedivision, die im Zweiten Weltkrieg an der Belagerung Leningrads beteiligt war. Beim Festakt mit 2000 Gästen sprachen neben Klaar der Generalinspekteur der Bundeswehr a. D. Ulrich de Maizière, Oberkirchenrat i. R. Dr. theol. Johannes Juhnke sowie Gerhard Wessel, Präsident des BND a. D. und ehemaliger Oberstleutnant der Wehrmacht.
Die Mauer war kaum verschwunden, die DDR noch ein souveräner Staat, da tauchte Max Klaar schon in Potsdam auf. Am 3. März 1990 warb er bei der CDU für seine Idee und merkte schnell, dass er leichtes Spiel hatte. Am 23. Juni sprang ihm das Neue Forum mit einer Veranstaltung zur „Erinnerung an die Sprengung der Garnisonkirche“ zur Seite, und schon am 24. Oktober 1990 – noch ehe eine öffentliche Debatte über die künftige Entwicklung der Stadt und deren Verbindung mit ihrer dramatischen Geschichte überhaupt hätte in Gang kommen können – beschloss die Stadtverordnetenversammlung, eine größtmögliche „Wiederannäherung an das historische Stadtbild“ zu betreiben.
Damit beginnt ein Prozess, der mit „seltsam“ nur unzureichend beschrieben ist: Eine Stadtverordnetenmehrheit, die etwas ganz Neues, vorbildlich Demokratisches verkörpern will, hat keine eigenen Ideen, sondern sieht ihr höchstes architektonisches und städtebauliches Ziel in der Wiedererrichtung vordemokratischer, königlich-kaiserlich-preußischer Gebäude und Stadtstrukturen. Dass ihr dabei alles im Wege steht, was in der DDR auf den Trümmern der kriegszerstörten Stadt errichtet worden ist, versteht sich in dieser Logik von selbst. Im Werben von Spendengeldern ist Klaar im Folgenden zwar nicht erfolgreich – er zieht sich auch aus dem Projekt zurück –, aber das macht der Turmkopie nichts, denn die Bundesregierung springt mit erst 20, dann noch einmal 12 Millionen Euro ein und beweist damit handfest, dass die Klaar-Idee hegemonial geworden ist.
Nun setzt das Rechenzentrum mit seinen über 200 Kreativen seit 2015 einen Kontrapunkt. Und wenn es gelingt, den zu erhalten, wird Potsdam im Nebeneinander von Turm und sozialistischer Moderne die Brüche in seiner Entwicklung architektonisch eindrucksvoll zum Ausdruck bringen. Aber der Weg dahin ist hart umstritten. Stark sind die Stimmen, die da meinen, der Sumpf sei gar kein Sumpf, die Kopie des Turms müsse durch die Kopie des Kirchenschiffs ergänzt werden und das Rechenzentrum gehöre abgerissen. Die Auseinandersetzung ist in vollem Gange.
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