24. Jahrgang | Nummer 20 | 27. September 2021

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von Clemens Fischer

Was von Gerhard Schröders Kanzlerschaft neben der unsäglichen Hartz-Gesetzgebung noch am ehesten in Erinnerung sein dürfte, ist seine strikte Weigerung im Jahre 2003, den USA in den zweiten Irakkrieg zu folgen. (Oppositionsführerin Angela Merkel, man wird sich erinnern, bezog eine gegenteilige Position.) Es wurde, da ohne Mandatierung durch den UN-Sicherheitsrat, eine völkerrechtswidrige Aggression.

Vor dem Sicherheitsrat hatte US-Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 Geheimdiensterkenntnisse ausgebreitet, denen zufolge der irakische Diktator Saddam Hussein mit zur Tarnung vor UN-Waffeninspektoren auf LKWs montierten mobilen Produktionsanlagen illegal biologische Massenvernichtungsmittel (Anthrax) herstellen ließ. Die, so das Diktum Washingtons, müsse man vernichten, damit sie nicht bei Terrorakten gegen andere Länder eingesetzt werden könnten. Am 8. Februar 2003 trat US-Außenminister Donald Rumsfeld vor der Münchner Sicherheitskonferenz mit derselben Argumentationslinie auf, und der damalige Außenminister im Schröder-Kabinett, Joschka Fischer, antwortete mit seinem berühmt gewordenen Satz: „Excuse me, I am not convinced.“ („Entschuldigung, ich bin nicht überzeugt.“) Deutscherseits blieb es dabei. Am 20. März 2003 fielen die USA samt ihrer „Koalition der Willigen“ (mit Großbritannien und 42 weiteren Teilnehmerstaaten) in den Irak ein. Massenvernichtungsmittel wurden bekanntlich auch nach dem gewaltsamen Sturz des Diktators keine gefunden. Powell nannte seinen Sicherheitsratsauftritt später einen „Schandfleck“ in seiner Karriere.

Heute weiß man allerdings, dass Schröders strikte Ablehnung einer deutschen Beteiligung am Krieg nicht bloß innenpolitischen Erwägungen – Umfragewerte zeigten eine breite Animosität der Bevölkerung gegen eine militärische Lösung der Irakfrage – entsprang oder gar einer prinzipiellen Zurückweisung völkerrechtswidriger Kriegsakte – einer solchen Haltung war Schröder seit der deutschen Beteiligung an der NATO-Aggression gegen Serbien im Jahre 1999 völlig unverdächtig. Schröder verfügte vielmehr über die Kenntnis, worum es sich bei der irakischen Produktion von Massenvernichtungsmitteln auf LKWs tatsächlich handelte – um, wie man heute sagen würde – Fake News. Denn die Geschichte stammte vom BND und war nach Maßgabe des Kanzleramtes, wo in Gestalt des jeweiligen Amtschefs auch stets der Oberaufseher über die deutschen Geheimdienste zu finden ist, den USA und anderen Verbündeten zur Kenntnis gegeben worden. Großer Erfolg des sonst von den Profis von CIA, MI-5 und Mossad eher belächelten BNDs. Nur war der irakische Informant, wie kurz darauf in Pullach konstatiert werden musste, ein Lügner, der vor allem sein eigenes Schäfchen ins Trockene bringen wollte. Was nun jedoch – man stelle sich die Blamage bloß vor! – vom Kanzleramt nicht an die Verbündeten durchgestellt wurde. Auch nicht, als klar war, dass Washington die Schlapphutmär allen Ernstes zum Casus Belli aufblies. Insofern ist trotz Nichtbeteiligung der Bundesrepublik am Überfall auf Bagdad von einer nicht unerheblichen deutschen Mitschuld am zweiten Irakkrieg auszugehen.

Schröders damaliger Spezi Fischer dürfte ebenfalls informiert gewesen sein, was dessen Münchner Auftritt von der Helden-Sparte (offener Widerstand gegenüber der Bündnisführungsmacht) in die Rubrik Schmierenkomödie katapultiert. Und Schröders damaliger Kanzleramtschef gar hat sich unlängst für eine zweite Amtszeit als Bundespräsident ins Gespräch gebracht.

„Was ist Wahrheit?“, wird in „Curveball“ – einer bitter-sarkastischen Farce, die die Affäre im Vorfeld des zweiten Irakkrieges aufrollt, – gefragt, und die Antwort lautet: „Eine Illusion.“ Eine CIA-Mitarbeiterin, die trotz des Wissens, dass es sich bei der LKW-Story um eine Ente handelt, mit dem BND-Informanten ein „Kronzeugen“-Video aufnehmen will, bringt es lapidar auf den Punkt: „Wir machen die Fakten.“

Das Ganze erinnert fatal an Karl Kraus: „So wird die Welt regiert und in den Krieg geführt: Politiker belügen Journalisten und glauben’s, wenn sie’s lesen.“

„Curveball. Wir machen die Wahrheit“, Regie und Drehbuch (Mitautor): Johannes Naber.

Derzeit in den Kinos.