24. Jahrgang | Nummer 20 | 27. September 2021

Die biographischen Daten des Otto Prokop

von Frank-Rainer Schurich

Otto Prokop, Gerichtsmediziner mit Weltruhm. Sein Geburtstag jährt sich am 29. September zum 100. Male. Geboren 1921 im österreichischen St. Pölten, nahm er nach einer Tätigkeit als Privatdozent in Bonn 1956 den Ruf der Berliner Humboldt-Universität (HUB) an, deren Institut für Gerichtliche Medizin an der Charité er dann ab 1957 bis zu seiner Emeritierung 1987 leitete.

Prokop stand der Facharzt-Prüfungskommission der DDR vor und gehörte dem Rat für Medizinische Wissenschaft beim Minister für Gesundheitswesen der DDR an. Er war Mitgründer und Vorsitzender der Gesellschaft der Gerichtlichen Medizin der DDR und auch ihr Vorsitzender, Mitglied von nationalen Akademien, in- und ausländischen Fachgesellschaften, Ehrenprofessor und Ehrendoktor mehrerer Universitäten und Prodekan der Medizinischen Fakultät.

Nach dem Ende der DDR war er massiven Anfeindungen ausgesetzt. Im Jahr 1999 verweigerte ihm, der in seinem Institut 45.000 Leichen, darunter auch Mauertote, seziert hatte, die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin eine Ehrenmitgliedschaft, holte die Ehrung dann aber 2006 nach. Otto Prokop starb am 20. Januar 2009 in einem Pflegeheim in der Nähe von Kiel. Er ruht jetzt auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte; sein Grab ist seit 2018 Ehrengrab der Stadt Berlin.

Prokop war nach 1990 einer der vielen Strafrentner, weil er der DDR diente. Das kränkte ihn außerordentlich. Man warf ihm vor, „durch gute wissenschaftliche Arbeit das Ansehen der Charité im Verbrecherstaat DDR gestärkt“ zu haben, wie man es in der Charité-Ausstellung „Sezierte Wahrheiten. Otto Prokop und sein Institut für Gerichtliche Medizin im geteilten Berlin“ nachlesen kann. Dort lesen wird man auch, dass er durch falsche Vaterschaftsgutachten Genossen vor Konsequenzen geschützt haben soll, was sogar zu einem Haftbefehl gegen ihn führte. Alle Anschuldigungen waren haltlos, trafen ihn persönlich jedoch sehr schwer, da er auf „Unparteilichkeit“ – sowohl auf politischer als auch auf gutachterlich-wissenschaftlicher Ebene – immer großen Wert gelegt hatte.

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In seinem Emerituszimmer im Institut für Gerichtliche Medizin in der Hannoverschen Straße 6 in Berlin-Mitte habe ich ihn mehrfach besucht, und wir waren auch brieflich in Kontakt.

Bei meinem ersten Besuch, vielleicht Anfang 1997, zeigte er mir einen eintürigen Stahlschrank aus DDR-Zeit, um den sich etwa in der Mitte noch ein Eisengürtel befand, vorn mit einem zusätzlichen Schloss gesichert. „Da liegen sie, die Memoiren“, sagte er mir freudig.

„Warum aber diese zusätzliche Sicherung?“ fragte ich. „Nun“, und dabei zeigte er auf das Corpus delicti, „in diesem Zimmer hat einmal Ehrenfried Stelzer gesessen, und der hat bestimmt noch einen Schlüssel!“ Der Direktor der Sektion Kriminalistik hatte tatsächlich eine kurze Zeit mit seinem Stab im Westflügel der Gerichtsmedizin residiert.

Bei unseren Begegnungen beklagte er sich immer über seine arg gekürzte Rente: „Warum? Ich war nie Mitglied einer Partei und habe doch nur der Wissenschaft gedient.“ In einem Brief vom 4. Dezember 1997 schrieb er mir über diese „Wendeerlebnisse“, wie er es formulierte. In seinen Memoiren werde er darüber schreiben, auch über „die Strafe, die ich als Parteiloser und Autor von über 60 Büchern bekommen habe. (…) Ich versuche, ruhig zu bleiben und zu zeigen, was ‚man‘ mit uns gemacht hat.“

Und dann schrieb er noch: „In meinem Safe liegt meine Autobiographie, und ich weiß nicht, ob ich sie zum Druck geben soll oder vielleicht einem Schriftsteller wie Sie es sind? Der Titel müssten dann heißen: ‚Die biographischen Daten des O. P.‘“

Leider ist diese Autobiographie nie veröffentlicht worden, und ich habe sie auch nie gesehen. Wahrscheinlich wollte nach seinem Tod die Familie keine weitere Publizität.

Allerdings hatte er mir Anfang September 1996 ein Interview gegeben, und seine Antwort ist heute so etwas wie eine Kurzbiographie. Ich hatte einige Fragen formuliert, aber Otto Prokop wollte nur eine Frage beantworten. Diese Antwort ist dann leicht gekürzt in der Zeitung junge welt am 30. September 1996 auf Seite 13 veröffentlicht worden – zu seinem 75. Geburtstag: „Viele Fragen an Prof. Prokop, aber: Eine einzige Antwort.“

Hier ist sie. Ungekürzt – als Hommage zu seinem Hundertsten.

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Wenn Sie noch einmal ganz von vorn beginnen könnten, was würden Sie anders machen?

Prokop: Das ist eine rein illusionäre Frage, denn in jeder Zeit ist letztlich über uns verfügt worden.

1921 war in Salzburg (eben bald nach dem verlorenen ersten Welt-Krieg) eine Volksabstimmung gewesen (Staatssekretär damals in Österreich Dr. Karl Renner). Abstimmung: Für oder gegen Anschluss des Salzburger Bundeslandes an Deutschland. Überwältigende Mehrheit mit fast Einstimmigkeit für Anschluss. Also waren wir deutsch geprägt, und als Hitler 1938 Österreichs Anschluss erreicht hatte (von Renner begrüßt – er war dann in der zweiten Republik nach dem 2. Weltkrieg in Österreich Bundespräsident), waren wir als katholische Kinder begeistert, zumal auch unsere Bischöfe mit einer Erklärung für Hitler votierten. Falls Sie es nicht glauben, gebe ich sie Ihnen. Es war zeitlich haargenau zusammen mit dem Schauprozess in Moskau, wo Bucharin hingerichtet wurde.

Das deutsche Drama (in Kürze), das folgte, so die schrecklichen Konzentrationslager, der Kampf gegen die Kirche, war für uns nicht voraussehbar. Der Schrecken ging weiter und führte mich letztlich als Soldaten in den Krieg nach Russland (obwohl wir nach dem Anschluss anfänglich als österreichische Soldaten als „schlapp“ und „Kamerad Schnürschuh“ deklassiert waren). So ist es halt, wenn es Sieger und Verlierer gibt! Im Krieg gab es Wunden dort (Ukraine) und später nochmals bei der Zerstörung der Stadt Düren (Terrorangriff mit tausenden Toten) und dann Not in Gefangenschaft auf den Rheinwiesen, in Belgien und Frankreich.

Was hätte ich anders machen können? Dann nach Entlassung als Österreicher ohne Wohngenehmigung in Bonn zwei Jahre Wohnen in einem Luftschutzbunker. Geldverdienen mit Herstellen von Skripten und mit Photographie. Rückkehr nach Österreich undenkbar. Vater in Niederösterreich in russischer Haft, Mutter verlor in Salzburg ihr Haus (amerikanische Besetzung), Großeltern Selbstmord, ein Vetter vom Volksgericht hingerichtet. Hätte ich von Bonn, wo ich das Studium beendete und wo ich Gerichtsmediziner und Dozent bei dem hervorragenden Lehrer, dem österreichischen Professor Dr. Herbert Elbel wurde, unter diesen Verhältnissen nach Österreich zurückgehen sollen?

Dann kam die ehrenvolle Berufung an die berühmte Berliner Charité, wo erstklassige Professoren tätig waren und zu der meine Lehrer aufrichtig gratulierten. Hätte ich das ablehnen sollen? Und hätte ich als sicher politisch nicht engagierter und parteiloser Lehrer der Medizin dort dann meine vielen Schüler aus „Ost“ und „West“ später verlassen sollen, wo ich noch zusätzlich die Berliner Blutbank leitete? Der neue und gefeierte Begriff „Abgehauen“ ist mir hier – nicht nur damals – fremd gewesen ebenso wie den Österreichern Felsenstein oder Otmar Suitner oder berühmten Persönlichkeiten wie Kurt Masur, Peter Schreier, Theo Adam, Kurt Sanderling.

Die Schüler, die ich neben Berlin als Kommissar des gerichtsmedizinischen Universitätsinstituts in Leipzig zusätzlich hatte (1000 Mark pro Jahr Honorar) auch verlassen? Dass ich vor und erst recht nach der Wende neben ehrenvollen Ereignissen auch widerlichen und politischen Querelen ausgesetzt war, werden meine vielen Schüler (24 Professoren und Dozenten von mir habilitiert) sicher bestätigen.

Allein vier hervorragende haben nach der deutschen Wiedervereinigung gerichtsmedizinische Lehrstühle bekommen (drei allein im vergangenen Jahr).

Seien Sie zufrieden mit dieser einzigen Antwort, die ich auf Ihre Fragen gebe, und dabei bleibt es und es genügt. Tennisspieler, Fußballspieler oder Sänger, die heute sogar zeichnen können, oder Boxer haben heute in der öffentlichen Meinung einen höheren Stellenwert, den ich weder erreichen kann noch erreichen will.