Die Urlauber, die sich in „normalen“ Jahren auf der A 9 durch das südfranzösische Roussillon der spanischen Grenze nähern, erblicken schon bald hinter Narbonne eine Gebirgskette, die anders als die Alpen in weichen Linien am Horizont steht, ja im Vorland eine fast bukolische Harmonie ausstrahlt. Nähert man sich diesem Gebirgszug, so findet man den Eindruck einer sozusagen humanen Landschaft bestätigt … die Pyrenäen!
Die drei T – la Têt, le Tech und el Ter –, die nördlich und südlich des Pyrenäenkamms ins Mittelmeer fließen, vermitteln charakteristische Eindrücke von den „Payes Catalanes“, wie sie inzwischen auch auf der französischen Seite bezeichnet werden dürfen.
Fast parallel fließen die Têt und der Tech west-östlich durch bizarre Hochtäler und fruchtbare Tallandschaften. Ihre Quellen haben die Geschwisterflüsse im Gebiet rund um den Mont Canigou (2785 Meter), den höchsten Berg der östlichen Pyrenäen. Die Katalanen verehren diesen mystischen Ort und schmücken die ganze Gegend stolz mit ihren Fahnen, den vier roten Streifen auf gelbem Grund, was die französische Verwaltung lange Zeit nicht gern sah, mittlerweile aber überall duldet.
Ganz in Frankreich, genau gesagt den Pyrénées-Orientales, ist die Dame la Têt unterwegs; sie begleitet auf ganzer Strecke die Nationalstraße N 116, die in der Gegenrichtung von Perpignan bis hinauf nach Bourg-Madame und zur quirligen Grenzstation Puigcerdà nahe dem Dreiländerdreieck Andorra-Spanien-Frankreich führt. Die längste Strecke fließt die Têt durch Wald- und Weingebiete im „Land der Katharer“, wie überall verkündet wird. Da gibt es den Parc Naturel des Pyrénées Catalanes, aber auch noch etliche Zeugnisse aus der Zeit, als hier die Katharer – sozusagen die „absoluten Christen“ – im 13. Jahrhundert von „rechtgläubigen“, also papsttreuen Christen brutal verbrannt und ausgerottet wurden. Man wundert sich, dass die Katharer in dieser heiteren Landschaft den Teufel als Schöpfer der Welt angesehen haben und deshalb alles Irdische verachteten.
Erst am Unterlauf der Têt wird es chaotisch an den Ufern mit Industriebauten und allerhand Zivilisationsmüll. Kurz hinter Perpignan (katalanisch Perpinya) ergießt sich la Têt zwischen ausgedehnten Urbanisationen bei Carnet-Plage ins Meer.
Solche Hässlichkeit bleibt dem spanischen Bruder Ter erspart, ist er doch beinahe heiligen Ursprungs. Seinen Lauf durch das katalanische Randgebirge beginnt er als dritter im Bunde der T-Flüsse keine hundert Kilometer von den Quellgebieten der Geschwisterflüsse Têt und Tech entfernt. Seine Quellbäche liegen in der Nähe von Núria, dem katalonischen Wallfahrtsort, wo es allerdings statt von Gläubigen eher von Rucksacktouristen und Skifans wimmelt. Ein ganzes Freizeit-Areal ist hier um die Wallfahrtskirche in einer dramatischen Hochgebirgslandschaft entstanden, die allerdings nur mit einer schwindelerregend hinaufkraxelnden Cremallera (Zahnradbahn) zu erreichen ist.
Der Rio Ter setzt seine quasi-religiöse Reise fort, indem er sich zunächst westlich über Sant Joan de les Abadeses zur mächtigen, etwa um 880 gegründeten Benediktiner-Abtei Santa Maria de Ripoll wendet, die heute von einer nervigen Provinzstadt gleichen Namens eingekastelt ist. Vereinigt mit dem Rio Freser, der direkt aus Núria kommt, fließt el Ter südlich und knickt kurz vor Vic, der Universitätsstadt, plötzlich nach Osten zur Provinzhauptstadt Gerona ab. Ein recht eigensinniger, typischer Katalane! Er fließt schließlich in einer breiten Mündung, (der Gola de Ter) in der Reisanbau-Ebene zwischen L’Estartit und Toroella de Montgri ins Mittelmeer gegenüber den berühmten Islas Medes, die unter strengem Naturschutz und bei Tauchsportlern hoch im Kurs stehen.
Zuvor scheint der Rio Ter auf seinem rund 200 Kilometer langen Weg etwas verschämt hinüber nach Púbol zu schauen, zum ziemlich finsteren Castello aus dem 14. Jahrhundert, in das sich die schöne, aber eigensinnige Senora Gala zurückzog und wo sich Ehemann Salvadore Dali nur sehen lassen durfte, wenn Gala es ausdrücklich erlaubte! Nach Galas Tod 1982 hatte der katalanische Exot kaum mehr Freude am Leben und wurde schließlich in Figueres, am Ort seines verrückten und täglich von Besuchern überquellenden Museums begraben.
Das spannendste Schicksal der drei „T“ hat offensichtlich le Tech! Von seiner Quelle im „Massif du Catalone“ in 2400 Metern Höhe stürzt er sich auf nur 85 Kilometern erst durch tiefe Schluchten, dann entlang des Massif des Albères ins Mittelmeer hinunter und streift auf seiner Talfahrt ein Dutzend echter Sehenswürdigkeiten. Das beginnt direkt unterhalb der spanischen Grenze mit Prats-de-Mollo, einem durch und durch aus dem Mittelalter erhaltenen Städtchen, ursprünglich eine Befestigung am Fuße des Pic de Canigou.
Die D 115, die den Tech bis zur Ausfahrt Boulou auf der Autobahn Narbonne-Barcelona begleitet, windet sich über Arles-sur-Tech und Amélie-les-Bains, einem lang gestreckten Kurort mit vielen Betagten, schließlich nach Céret mit einem wunderbaren Sonntags-Wochenmarkt und einem für ein so kleines Nest erstaunlichen Museum mit einer Sammlung hunderter Arbeiten von Picasso, Matisse, Chagall, Miró, Cocteau, Maillol und anderen Künstlern. Dann verlässt der Tech das Vallespir und fließt ruhig und erwachsen geworden durch die Wein- und Olivenfelder des Roussillon, bis er sich vor der Cote Vermeille dem Meer anvertraut.
Damit ist unsere erlebnisreiche Flussfahrt nördlich und südlich des Pyrenäen-Hauptkamms beendet … und unser Tête-à-tête mit Tech, Ter und Têt auch – Flüsse, an deren Ufern der Pyrenäen-Kultur nachzuspüren ein noch ziemlich unbekanntes Abenteuer zu sein scheint.
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