Packende, bisweilen berührende Spielfilme im Gerichtsmilieu können sie in Hollywood und wo sonst noch US-amerikanische Produktionen entstehen. Häufig wird dabei in Gestalt der Protagonisten und ihres Kampfes um Gerechtigkeit sowie durch schlussendlichen Sieg des Rechtes das bessere Amerika in Szene gesetzt. Jene Kräfte in der Gesellschaft also, für die das Bekenntnis in der Präambel der Unabhängigkeitserklärung von 1776, wonach „alle Menschen gleich geschaffen“ und „von ihrem Schöpfer mit bestimmten unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind“, zu denen zuvorderst „Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören“, keine hohle Phrase, sondern der Maßstab für die eigene Haltung und das eigene Handeln ist. Das macht die Aura so unvergessener Klassiker wie „Die zwölf Geschworenen“ (1957) mit einem überragenden Henry Fonda, „Wer den Wind sät“ (1960) mit einem brillanten Spencer Tracy oder „Wer die Nachtigall stört“ (1962) mit einem nicht weniger beeindruckenden Gregory Peck aus. Und prägt entsprechende Spielfilme bis in die Gegenwart, wie jüngst erst wieder „Der Mauretanier“ mit einer wieder einmal großartigen Jodie Forster (siehe Das Blättchen, 16/2021) demonstrierte.
Nun also „The Trial of the Chicago 7“ („Der Prozess gegen die Chicago 7“) über einen der berüchtigtsten Prozesse in der Justizgeschichte der USA. Ende der 1960er Jahre nahmen die zivilgesellschaftlichen Proteste gegen den Vietnamkrieg in den USA an Umfang und Schärfe enorm zu. Die Auseinandersetzungen mit der Staatsgewalt trugen teilweise bürgerkriegsähnliche Züge. Die Nixon-Regierung, insbesondere deren Justizminister John Mitchell, der später wegen seiner Verstrickung in den Watergate-Skandal – die Anklage lautete auf Verschwörung, Behinderung der Justiz sowie Meineid – zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt werden sollte, wollte an acht Chicagoer Aktivisten der Antikriegsbewegung ein Exempel statuieren. (Gegen einen Beschuldigten musste das Verfahren bereits während des Prozesses mangels Beweisen und wegen Rechtsverstößen eingestellt werden.) Die verhängten Gefängnisstrafen wurden jedoch in der Berufungsinstanz allesamt kassiert …
Der Film ist 129 Minuten lang – keine davon ist cineastisch langweilig – und endet damit, dass derjenige der Angeklagten, dem allein vom vorsitzenden Richter das Recht zu einem Schlusswort eingeräumt wird, die Namen all jener 4752 US-Militärangehörigen zu verlesen beginnt, die seit Beginn des Verfahrens in Vietnam gefallen waren. Denen verwehrt dann selbst der staatliche Ankläger seine Referenz nicht.
Apropos Referenz: Am Ende des Vietnamkrieges standen 58.220 toten USA-Soldaten mindestens zwei Millionen (andere Schätzungen gehen bis fünf Millionen) vietnamesische Kriegsopfer gegenüber. Im Zeitraum des Chicagoer Prozesses waren also neben 4752 US-Militärs rein rechnerisch auch knapp 165.000 Vietnamesen zu Tode gekommen. Von denen und ihrem Leiden in diesem Film kein einziges Wort, nicht einmal eine Erwähnung im Abspann. Man läge daher mit einer Bewertung von „The Trial of the Chicago 7“ wie der folgenden nicht gänzlich daneben: eine patriotische Nabelschau ohne jeglichen Blick über den US-amerikanischen Tellerrand hinaus, von Empathie für die Millionen asiatischen Opfer der Indochina-Aggression Washingtons ganz zu schweigen.
Bliebe zu ergänzen, dass Mark Rylance (Oscar 2016 als bester Nebendarsteller für seine Rolle als Sowjetspion Rudolf Abel in „Bridge oft he Spies / Der Unterhändler – siehe Das Blättchen, 25/2015) den Anwalt der Chicago 7 spielt.
„The Trial oft he Chicago 7“, Regie und Drehbuch: Aron Sorkin. Abrufbar bei Netflix.
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Es soll ja immer noch ältere Kinogänger geben, die auch Jahrzehnte nach dem Ableben des Regisseurs dem Ingmar-Bergman-Kino nachtrauern, in dem ebenso komplexe wie komplizierte Beziehungskisten zwischen ihr und ihm oder in anderen zwischenmenschlichen Konstellationen zelebriert, analysiert und vor allem mit einer Intensität inszeniert und gespielt wurden, die geradezu physisch bedrückend von der Leinwand herab wirkte. Beispielhaft sei an „The Touch“ (1971), „Schreie und Flüstern“ (1972) und vor allem „Szenen einer Ehe“ (1973) erinnert.
Bergmansches Format erreicht „Marriage Story“ („Ehe-Geschichte“) von Noah Baumbach (2019) insgesamt sicher nicht, doch dafür hat der Regisseur auch keine Tragödie abgeliefert, die den besonders sensiblen Zuschauer am Ende zerstört zurücklässt, sondern eine Tragikomödie, bei der auch komische Momente nicht zu kurz kommen. Für die sorgen insbesondere Julie Hagerty als Mutter der Protagonistin Nicole (Oscar-Preisträgerin Scarlett Johansson) und Schwiegermutter des Protagonisten Charlie (Adam Driver) sowie Laura Dern als Nicoles Anwältin, die für ihr Kabinettstück in diesem Jahr sehr verdient mit dem Oscar als beste Nebendarstellerin geehrt wurde.
Durchaus Bergmansches Format erreichen manche Szenen zwischen Nicole und Charlie, um deren Trennung es in diesem Film geht, aber denn doch – insbesondere in einer Auseinandersetzung, in der sich beide erst relativ sachlich, dann schonungslos und schließlich völlig enthemmt die Meinung über ihre Beziehung um die Ohren schlagen. Eine kaskadierende Eskalation bis zum seelischen Zusammenbruch eines der Beteiligten. Ganz großes Kino. Johansson und Driver brachten ihre Rollen Oscar-Nominierungen als beste Hauptdarsteller ein.
Zugleich macht der Soundtrack von „Marriage Story“, für den Altmeister Randy Newman zeichnet, den Film zusätzlich hörenswert.
Darüber hinaus ist der Streifen recht informativ im Hinblick auf das Familien- und Scheidungsrecht à la USA. Da mag man schon hierzulande mit einigen Aspekten so seine Probleme haben, aber das ist nichts im Vergleich zu den dortigen Gegebenheiten. Wenn ein Kalauer besagt „Schlimmer geht’s immer!“, dann kommt danach eine Weile nichts und dann irgendwann – kommen die USA …
„Marriage Story“, Regie und Drehbuch: Noah Baumbach. Abrufbar bei Netflix.
Schlagwörter: Chicago 7, Clemens Fischer, Ingmar Bergmann, Marriage Story, Vietnamkrieg