24. Jahrgang | Nummer 14 | 5. Juli 2021

Rückkehr der Botschafter

von Klaus Joachim Herrmann

Wir alle haben gesehen, dass unser Botschafter in Washington eingetroffen ist“, freute sich Russlands Vize-Außenminister Jewgeni Iwanow Mitte der zweiten Junihälfte über die Landung von Anatoli Antonow. Wenig begeistert war man am Sitz des Außenamtes am Smolensker Platz, dass Washington weiterhin russischen Diplomaten Visa verweigere. An dieser „destruktiven Praxis“ habe sich nichts geändert. Immerhin war US-Botschafter John Sullivan nach Moskau zurückgekehrt. Da kann man sich dank des wieder geknüpften Gesprächsfadens persönlich beschweren. Der Diplomat hatte eine Woche drauf schon den ersten wichtigen Termin. Vizeaußenminister Sergej Rjabkow wollte ausloten, ob mit den USA wirklich „berechenbare und stabile Beziehungen“ zu machen seien.

Zur Rückkehr der Botschafter Russlands und der USA an ihre Arbeitsplätze nach monatelanger Abwesenheit bedurfte es zuvor eines Gipfels ihrer obersten Dienstherren. Im schweizerischen Genf hatten die Präsidenten Wladimir Putin und Joe Biden auf neutralem Boden nach einigen Stunden die Rückkehr zu dieser zwischenstaatlichen Normalität als konkreten Erfolg präsentiert. Das war nicht gerade ein üppiges Ergebnis.

Doch nur knapp waren ausgerechnet die beiden atomaren Supermächte an der Schließung ihrer Vertretungen oder gar einem Abbruch diplomatischer Beziehungen vorbei geschrammt. Moskau rief nach der rüden und beispiellosen Killer-Entgleisung des neuen Chefs im Weißen Haus gegen Kremlchef Putin den Botschafter zu „Konsultationen“ zurück. Dessen widerstrebender US-Kollege in Moskau wurde ins Außenministerium gebeten, um ihm nachdrücklich Gespräche daheim zu „empfehlen“. Er reiste schließlich ab. Ausweisungen der Spitzendiplomaten wurden vermieden, doch ein Tiefpunkt der Beziehungen und der bisherige Höhepunkt demonstrativer Bösartigkeiten schien erreicht. Etwas verwunderlich, dass selbst als traditionell aggressiv bekannte westliche Medien kein Vorkriegsszenario beschworen.

Der neue Kalte diplomatische Krieg USA-Russland nahm keineswegs damit seinen unrühmlichen Anfang. Er geht vielmehr ironischer Weise zurück auf den damals aus dem Präsidentenamt scheidenden Friedensnobelpreisträger Barack Obama. Der verfügte als eine seiner letzten Amtshandlungen im Dezember 2016 zur „Bestrafung“ Moskaus die Ausweisung von 35 Diplomaten und die Sperrung einiger Immobilien in New York und Maryland. Als Vorwand dienten angebliche russische Hackerangriffe zur Einmischung in die US-Wahlen.

Nicht der Inhalt der unrühmlichen E-Mails der demokratischen Spitzenkandidatin Hillary Clinton stand jedoch künftig im Mittelpunkt eines Skandals. Dabei wären sie des Nachdenkens über die Ausbootung des linken Konkurrenten Bernie Sanders im Wahlkampf schon wert gewesen. Vielmehr geriet der Kreml als vermuteter Urheber der Offenbarung ins Fadenkreuz – und die Enthüllungsplattform WikiLeaks. Tausende dieser Mails wurden von ihr veröffentlicht. Als deren Gründer wird Julian Assange deshalb seit Jahren mit tatkräftiger britischer Unterstützung von den USA faktisch zu Tode gehetzt oder wenigstens in den Wahnsinn getrieben.

Nach dem rätselhaften Tod des ebenfalls von den USA geforderten Software-Entwicklers John McAfee in einem spanischen Gefängnis sieht der ins russische Exil gerettete Whistleblower Edward Snowden den WikiLeaks-Gründer als „mögliches nächstes Opfer“. Assange und Snowden deckten Kriegsverbrechen der USA in Irak und Afghanistan, Folter im Gefangenenlager Guantanamo sowie weltweite Überwachungs- und Spionagepraktiken von US-Geheimdiensten auf. Trotz zahlreicher Auszeichnungen von Bürgerrechtsorganisationen genießen sie jedoch nicht einmal den kleinsten Bruchteil der zum Beispiel für den russischen Korruptionsjäger Alexej Nawalny aufgewandten westlichen Fürsprache.

Die Sanktionen des Demokraten Obama gegen die russischen Diplomaten und ihre Einrichtungen fanden ausdrücklich den Beifall der Republikaner. Der von ihnen gestellte Chef des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, bezeichnete sie als „überfällig“. Russland teile nicht die Interessen der USA und versuche vielmehr, diese zu untergraben, erklärte er. Die republikanischen Senatoren John McCain und Lindsay Graham kündigten an, im Kongress auf noch schärfere Maßnahmen gegen Moskau zu drängen. So kam es zu einer Eskalation der Sanktionen. Besonders die Gasleitung Nord Stream 2 erfreut sich seit langem höchster transatlantischer Missbilligung.

Kurz vor dem Wechsel im Weißen Haus vermutete damals noch hoffnungsvoll Kremlsprecher Dmitri Peskow, die Attacke der Obama-Administration sei ein direkter Schlag gegen die außenpolitischen Absichten des kommenden Mannes. Putin verzichte vorerst auf die Ausweisung von US-Diplomaten, hieß es. „Unsere nächsten Schritte bei der Wiederherstellung der US-russischen Beziehungen werden wir auf Grundlage der Politik der Regierung von Präsident Donald Trump planen.“ Doch Tauwetter blieb aus. Stattdessen verhängte der Kongress per Gesetz neue Sanktionen, die vom neuen Präsidenten stets unterzeichnet wurden. So verfügte Moskau nach einem halben Jahr Zurückhaltung zum 1. September 2017 den Abbau von 755 Mitarbeitern in US-Vertretungen in Russland.

Washington wiederum veranlasste die Schließung des Generalkonsulats Russlands in San Francisco und seiner Handelsvertretungen in Washington und New York innerhalb von 48 Stunden als „ausgewogenen“ Gegenschlag. Im weiteren Verlauf gerieten die Auseinandersetzungen zur Räuberpistole auf Boulevardniveau. Fahrzeuge ohne Kennzeichen hätten das Gelände der diplomatischen Einrichtung befahren, Sicherheitskräfte in Uniform und Zivil – darunter FBI-Agenten – die Räumlichkeiten betreten, um zu spionieren, berichteten russische Medien. Sie verbreiteten Fotos und Videos. Das Gebäude sei nur gesichert worden, wollte hingegen Washington eine Art hausmeisterliche Fürsorge geltend machen.

Russlands Vizeaußenminister Rjabkow nannte das „staatliches Rowdytum“. Moskau verwies im August 2018 zudem auf die Missachtung des UN-Statuts, der Wiener Konvention über konsularische Vertretungen, des Abkommens über das Stabsquartier der Vereinten Nationen und andere Verträge. Es würden von den USA nicht einmal jene Garantien gewährt, die das internationale Recht selbst im Kriegsfalle oder bei einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen vorsehe. Gar vom Beginn eines „diplomatischen Krieges“ zwischen Russland und dem Westen sprach Fjodor Lukjanow, Vorsitzender des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik.

Nun sind die Botschafter wieder vor Ort. Doch niemand kann sicher sein, ob auch wirklich Diplomatie in die Beziehungen Russland-USA einkehrt. Botschafter Antonow forderte nach seiner Ankunft unverzüglich die Rückgabe russischen diplomatischen Eigentums. Mit der Beschlagnahme zahlreicher Immobilien werde man sich nicht abfinden. In Moskau zog Botschafter Sullivan als eine der ersten Amtshandlungen vor seinem Dienstgebäude demonstrativ die Regenbogenfahne auf, ein in Russland gesetzlich „unzulässiges“ Tuch, wie der Kreml erinnerte. Auf mehr als 40 russische Anfragen zu Hackerangriffen auf staatliche Strukturen und Systeme bleibt Washington weiterhin jede Reaktion schuldig.

Für die USA bleibt Russland derzeit ein „Feind“, und auf diese Weise wird es weiter behandelt. Für Russland sind die USA ein „unfreundlicher Staat“. Ein solcher darf in seinen diplomatischen Vertretungen keine Ortskräfte mehr anheuern. So fehlt es an Dolmetschern, Fahrern oder Küchenkräften und sonstigem Personal. Manch geheimdienstlicher Auftrag dürfte angesichts wichtigerer Erledigungen liegenbleiben.

An all dem änderten der Genfer Gipfel und die Rückkehr der Botschafter nichts. Moskau bleibt auch stur – oder standhaft, je nach Betrachtung. Es mag nicht die Bedingung von USA, NATO und EU akzeptieren, dass es erst sein Verhalten ändern müsse, bevor es zu besseren Beziehungen komme. Außenminister Sergej Lawrow erinnerte, dass Moskau gegenüber Biden deutlich gemacht habe, dass Fortschritte nur bei einem „für beide Seiten akzeptablen Interessenausgleich“ auf einer streng paritätischen Basis möglich seien. Allein nach diesem Muster dürften sich Russland und die USA auch insbesondere bei den Gesprächen über strategische Sicherheit näher kommen können.