Siegfried Lachmann, Sohn eines Arbeiters und Kommunisten, verwachsen ebenso mit der politischen Nachkriegsgeschichte wie der Kultur Brandenburgs und Potsdams; Potsdam, diese ewige Zwitterstadt aus absolutistischer Nebenresidenz und Soldatenlager, Ansammlung von Kasernen und Schlössern, Beamten und Proleten, dünkelhaftem Altadel und sensiblem Kulturbürgertum, Stiefeltritt und Parkbummel; halb vernichtet im Feuersturm des letzten alliierten Flächenbombardements, nüchtern, unromantisch wiederauferstanden in sozialistischem Pathos, Übereifer, Stahlbetonwut … – Siegfried war Zeitzeuge und Akteur, aber einer, der auch in den übelsten Phasen staatsideologischer Verblendung das Bewahrenswerte bewahren wollte ohne die große Lehre aus der schuldbeladenen deutschen Katastrophe je zu vergessen: Nie wieder Krieg, nie wieder Verführer an der Macht, die zum Krieg verführen, weil sie vom Krieg profitieren.
Betrachten wir, welches Abenteuer, welche Erfahrungslast, welche gigantische Ambivalenz sich auftut in dieser Lebensspanne von fünfundfünfzig Jahren und dann noch einmal dreißig bis heute: Von den rauchenden Ruinen der so zauberhaften Innenstadt unter dem goldnen Atlas des Alten Rathauses über den ebenso mühseligen wie enthusiastischen antifaschistisch-demokratischen Neuanfang über die Abrisswut und den Modernitätswahn der sechziger Jahre (übrigens im Westen ebenso verbreitet), über den langsamen traurigen Verfall der gewachsenen Substanz (der Häuser wie der Menschen!), über die alles erschütternde, alles umwertende Wende mit dem großen Vergessenwollen – gepaart mit den nun fließenden großen und ebenso rettenden wie profitträchtigen Investitionen. Bis heute, wo wir hier in diesem musterhaft restaurierten und gleichwohl gefährdeten Museumshaus des alten Potsdam die Ausstellung eines Lebenswerks eröffnen, während renditehungrige Investoren, preußenselige Neugroßbürger, schwankende Stadtverordnete, handyschwingende Touristenmassen, ratlose Restlinke, Künstler, Beamte, Steuerzahler, Pendler, Studenten, Hartzvierempfänger und Milliardäre, Besitzer und Besessene sich umeinander tummeln. Lachmanns Plakate sind – mitunter bittere – Manifeste gegen das wohlfeile Vergessen, gegen die dem Kapitalismus eigene Tendenz, Erinnerung und Erwartung gleichermaßen zu verdrängen zugunsten einer alles beherrschenden, scheinbar alternativlosen, allein selig machenden Besetzung mit Gegenwart. Dem widerspricht übrigens nicht, aus Moderneangst und verklärender Historienseligkeit verschwundene Barockarchitektur als stahlbetongefütterte Kulissen wiederauferstehen zu lassen.
Man hat den untergegangene Staat DDR nicht zu Unrecht auch das „rote Preußen“ genannt – nicht nur, weil ihm ausgerechnet die preußische Metropole Potsdam als „sozialistische Bezirksstadt“ zugefallen war, sondern auch weil die eigentümliche Mischung aus Parks und Kasernen, Obrigkeitsgläubigkeit und Planwirtschaft, aufrechtem Aufbauwillen und ideologieverklärter Mangelwirtschaft, Aufbruch und Beharrung sich hier zu einer besonderen, widerspruchsvollen Melange mischten. Wer dies, wie Siegfried Lachmann, erlebt, gelebt, auch erlitten hat, die ungeheure Anstrengung und Kühnheit, (sicher auch gepaart mit Naivität, Beschränktheit, Kurzsichtigkeit), aus den Trümmern etwas Neues, Gerechteres zu bauen, frei von Ausbeutung und vom preußisch- großdeutschen Eroberungswahn – der musste den allgemeinen Umgang der neuen Bundesrepublik mit dem Scheitern des kleineren deutschen Nachkriegsstaats mit kritischem Auge, mit Wut und Trauer sehen. Klügere, gleichwohl gegen die ökonomische Dynamik machtlose Köpfe der neuen politischen Elite wie ein Richard von Weizsäcker oder Detlev Rohwedder, ein Manfred Stolpe oder Matthias Platzeck warnten beizeiten vor einer Siegerarroganz gegenüber diesem arbeiterlichen Gesellschaftsentwurf, diesem selbst ernannten deutschen demokratischen Staatswesen, das neben all seiner kleinbürgerlichen Beschränktheit und seinem ideologisierten Wahn eben a u c h eine riesige Wiederaufbauarbeit geleistet hat . Und der auch ein Kulturstaat war, mit 152 Theatern, 72 Orchestern, 1053 Klubhäusern, 636 Museen, 19.000 Bibliotheken (von denen seither 16.000 geschlossen wurden), mit einer reichen Kulturlandschaft und mit erhaltenswerten baukünstlerischen Lösungen, die das Einheitsgrau des industriellen Bauens überragten und von einer anderen Nachkriegsmoderne zeugen, entstanden aus einem anderen Geist und eben nicht aus der Logik des Profits oder dem Selbstverständnis der alten Eliten, welche den Vernichtungskrieg des Hitlerregimes mitgetragen und an ihm wie sogleich wieder am Wiederaufbau unter Adenauer verdient hatten.
30 Jahre zurückblickend ist da viel nachträgliche Zerstörung, Gleichgültigkeit, auch hämisches Nachtreten im Spiel gewesen, gegen allzu wenige Beispiele von Sensibilität gegenüber der anderen deutschen Geschichte und ihren Akteuren, die dann doch wieder Mut machen. Ich möchte schließen mit Stephan Hermlin, Kommunist und spätbürgerlicher Dichter, wie er sich selbst bezeichnete: „Ich nehme zur Kenntnis, einer Generation anzugehören, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind. Aber damit haben sich diese Hoffnungen nicht erledigt.“
Auszug aus der Rede des Malers, Grafikers und Schriftstellers Rainer Ehrt zum 85. Geburtstag des Potsdamer Sammlers, Grafikdesigners, Fotochronisten und Ausstellungsmachers Siegfried Lachmann. Gehalten am 4. Juli auf der ihm zu Ehren gestalteten Ausstellung des Brandenburgischen Kulturbundes e. V. im Museumshaus im „Güldenen Arm“ in Potsdam.
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