24. Jahrgang | Nummer 15 | 19. Juli 2021

Clubgüter

von Bernhard Romeike

Bereits im Jahre 2011, also unter der Präsidentschaft des gewinnend daherkommenden Barack Obama, wurde in den USA jegliche Kooperation mit China in der Raumfahrt per Gesetz verboten. Chinesische Taikonauten dürfen deshalb als einzige Bürger einer Raumfahrtnation auch nicht zur internationalen Raumstation ISS fliegen; die anderen dort Beteiligten haben sich dem Druck der USA gebeugt. Auch aus dem „Artemis“-Programm der NASA, mit dem in den nächsten Jahren wieder US-amerikanische Astronauten auf dem Mond abgesetzt werden sollen, sind Chinesen ausgeschlossen, obwohl es anderen Ländern offen stehen soll. Bill Nelson, der von Joe Biden eingesetzte neue NASA-Chef, trommelte mit dem Spruch, China sei ein „sehr aggressiver Wettbewerber“, um mehr Gelder für seine Einrichtung.

Das betrifft, wie ZeitOnline (03.07.2021) berichtete, auch Deutschland. Der deutsche ESA-Astronaut Matthias Maurer sollte eigentlich mit zu der chinesischen Raumstation fliegen, die derzeit eingerichtet wird. Dafür hatte er extra Mandarin gelernt und 2017 einige Zeit in China trainiert. Von Seiten der ESA heißt es nun, das sich zuspitzende politische Klima mache das unmöglich. Maurer soll stattdessen noch in diesem Jahr zur ISS fliegen. Da hätten Deutsch und Englisch gereicht. Der Witz ist nur, wenn die Deutschen an dieser Stelle aus „Feigheit vor dem Freund“ einknicken, obwohl deutsche Interessen etwas anderes erforderten, ist zu befürchten, dass das auch bei anderen Punkten so sein wird.

Mit ihrer Abgrenzungspolitik widersprechen die USA Geist und Buchstaben des Weltraumvertrages von 1967. Das ist ein weltweiter Vertrag unter dem Recht der UNO, wie auch der Vertrag über das Verbot der Kernwaffenversuche (1963), der Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (1968) oder der Vertrag über das Verbot der Stationierung von Kernwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen auf dem Meeresgrund (1971). Der Weltraumvertrag bestimmt, dass die „Erforschung und Nutzung des Weltraumes einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper […] zum Wohle und im Interesse aller Länder [erfolgt]“. „Der Weltraum einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper unterliegt nicht der nationalen Aneignung durch Hoheitsansprüche, durch Nutzung oder Besetzung“. Da Nutzungen durch nichtstaatliche Unternehmungen immer nur im Rahmen staatlicher Bevollmächtigung erfolgen, unterliegen auch diese dem Weltraumvertrag. Die derzeit in den USA mal wieder debattierte Inbesitznahme von Teilen des Mondes widerspricht diesem Vertrag völlig. Erforschung und Nutzung des Weltraums sollen ausschließlich friedlichen Zwecken dienen, Kernwaffen sollen nicht in den Weltraum oder auf den Mond gebracht werden. Die Kosmonauten werden „als Sendboten der Menschheit im Weltraum“ betrachtet. Bei ihrer Tätigkeit sollen „die Kosmonauten eines Partnerstaates den Kosmonauten anderer Partnerstaaten jede mögliche Unterstützung“ erweisen. Im Zuge der damaligen Entspannungspolitik schlossen die USA und die Sowjetunion am 24. Mai 1972 ein Abkommen „über die Zusammenarbeit bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums zu friedlichen Zwecken“. Die Zusammenarbeit in allen damit zusammenhängenden Bereichen sollte vertieft werden. Dazu gehörte auch die Entwicklung „vereinheitlichter Mittel für die Annäherung und Kopplung sowjetischer und amerikanischer bemannter Raumschiffe und Stationen“. Das heißt, gegenüber China gehen die USA heute weit hinter jenes Niveau zurück, das sie im Verhältnis zur Sowjetunion vor 50 Jahren, mitten im Kalten Krieg, erreicht hatten.

In einer Mischung aus Ehrfurcht und Neid beschreibt ZeitOnline das Weltraumprogramm Chinas. Seit über dreißig Jahren folgt das Land seinem ehrgeizigen Plan, Schritt für Schritt, ohne erwähnenswerte Rückschläge. Zunächst wurden die Etappen abgearbeitet, die die Sowjetunion und die USA seit den 1960er Jahren zurückgelegt hatten: 2003 flog der erste Chinese in den Orbit, 2008 der erste Weltraumspaziergang, 2011 das erste Annäherungs- und Kopplungsmanöver. Das habe für westliche Beobachter als reine Nachahmung gewirkt, so ZeitOnline – es sind aber die himmelsmechanisch und technisch erforderlichen Entwicklungsstufen.

Im Jahre 2020 gab China umgerechnet 7,5 Milliarden Euro für die Raumforschung aus und liegt damit auf Platz 2 nach den USA. Es verfügt über eine eigenentwickelte, leistungsfähige Weltraumtechnik. Ende 2020 flog die Raumsonde Chang’e zum Mond (der Name stammt von der chinesischen Mondgöttin), entnahm vollautomatisch eine Gesteinsprobe und brachte diese ebenso vollautomatisch zur Erde zurück; das konnte bisher niemand anderer. Im Mai 2021 landete das Fahrzeug Zhurong (benannt nach dem chinesischen Feuergott) auf dem Mars und begann dort zu arbeiten. Das konnten bisher nur die USA, die ESA scheiterte damit zweimal. Seit Juni wird nun durch drei chinesische Taikonauten im Orbit die Raumstation Tiangong, Himmelspalast, zusammengebaut und arbeitsfähig gemacht. 2024 soll sie vollendet sein. Wenn die ISS dann abgewrackt wird, ist es die einzige Außenstation der Menschheit auf einer Erdumlaufbahn. Im Jahre 2030 soll ein riesiger Teppich aus Solarzellen im Weltall schweben, der in der Lage ist, die gesammelte Energie zur Erde zu senden. 2036 soll es – gemeinsam mit Russland – eine dauerhaft bemannte Mondstation geben.

Während die USA sich in einer neuerlichen Space Race wähnen, wie einst im Wettlauf mit der Sowjetunion, folgt China ruhig und gelassen seinen Plänen. China hat anderen Staaten grundsätzlich Kooperation angeboten, während die USA nicht nur China aus ihren Aktivitäten ausschließen, sondern auch alle anderen Staaten, die die chinesische Einladung annehmen wollen. Der Politikwissenschaftler Ulrich Menzel hatte am Ende seiner Forschungen zu den sich immer wieder rekonstruierenden Hierarchien in der Staatenwelt einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Hegemonialordnungen und Imperien geltend gemacht. Ein Hauptkriterium sei, dass der Hegemon „internationale öffentliche Güter“, etwa militärische Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität, zur Verfügung stelle, während das Imperium lediglich „Clubgüter“ bereitstelle, die nur seinen Herrschaftsunterworfenen und Föderaten zur Verfügung stehen.

In diesem Sinne sind die USA heute eine imperiale Macht, die nur ihren Abhängigen Zugang zu Klubgütern gewährt, während China im Sinne des Weltraumvertrages das Gesamtinteresse der Menschheit vertritt und internationale öffentliche Güter zur Verfügung stellt. Das hatte sich besagter Menzel ideologieproduzierend zwar umgekehrt gedacht – China und Russland als böse Imperialisten und die USA als guter Hegemon –, aber die Wirklichkeit, sie ist nicht so.