Lag es an der Pandemie? Oder am Alter? Oder hatte es ideologische Gründe? Jedenfalls habe ich, obwohl ich mich doch als Erkunder Groß-Berlins verstehe, monatelang den Westteil der Stadt gemieden; erst jetzt, vor ein paar Tagen, bin ich wieder einmal hinübergefahren zum Savignyplatz. Und gleich bei diesem ersten Mal ist mir in der S-Bahn jemand begegnet, über den ich vor Jahren einen kleinen Text geschrieben habe: der ambulante Lyrikhändler. Leichtfüßig eilte er an uns vorbei, bot mit leiser Stimme Gedichte zur Entspannung an, doch noch ehe ich ihm etwas abkaufen, ehe ich überhaupt nur reagieren konnte, war er bereits verschwunden und auch im Rest des Zuges nicht mehr auffindbar. Mich hätte interessiert, ob er immer noch die gleichen Kurzdichtungen verkauft wie damals, als ich ihm mal am Alex, mal auf der Ringbahn begegnet bin. Aber vielleicht sehe ich ihn bei einer meiner nächsten Fahrten nach drüben.
Es gibt viel einzupacken, wenn ich auf Erkundungsreisen gehe, mehr als früher: 65-Plus-Fahrkarte, Portemonnaie, das Schlüsselbund mit dem kleinen, dennoch manchmal hilfreichen Schweizermesser, den kombinierten Flaschen- und Büchsenöffner, Taschenlampe, Lektüre, Notizzettel, Bleistift, Sitzkissen, Smartphone, allerlei Tabletten, Wundpflaster, Inhalator, neuerdings die Maske, Reservemaske, Impfbescheinigung, Personalausweis, nein, keinen Campingkocher, kein Fahrtenmesser, nicht einmal eine Zündplätzchenpistole … aber vielleicht noch eine Thermoskanne? Und wenn ja, womit gefüllt? Ich gehöre seit Jahrzehnten schon zu den Teetrinkern. Tee passt eigentlich immer, zum Mitnehmen ist er jedoch eher ungeeignet: Man muss ihn filtern, damit er nicht nachzieht, gar zu bitter wird, und selbst gefiltert verliert er rasch an Geschmack. Außerdem beschwere ich meine Tasche nur ungern mit solch einer Kanne. Gibt es denn, so fragt der Laie, unterwegs nirgendwo gebrühten Tee zu kaufen? Doch, gibt es. Nur hat der Beutelaufguss, der fast überall geboten wird, mit wirklichem, echtem Tee nicht viel gemein. Und sonst? Selters wird schnell schal, Leitungswasser ist mir zu labberig, Säfte haben meist zu viel Zucker … bleibt nur der gute alte Kaffee.
Zu DDR-Zeiten musste man sich, um Kaffee zu bekommen, fast immer in irgendeine Art von Gaststätte setzen. Zum Mitnehmen – „außer Haus“ kann man in dem Falle schlecht sagen – gab es ihn vielleicht bei Konnopke am U-Bahnhof Dimitroffstraße, einem Imbisskiosk also. Aber solche Kioske, Stände oder Stuben waren damals selbst in der Hauptstadt der DDR eine Seltenheit. Ich weiß noch, dass mir meine damalige Freundin A. in den späten Achtzigern aus Irland schrieb, wie schön es sei, dass man hier an jeder Ecke Kaffee trinken könne, beim Bäcker, beim Fleischer, in allen möglichen Läden.
Was dort üblich war, wurde auch bald hierzulande möglich. Doch der Osten blieb ein Land der Kleinverdiener. „Wer kein Geld hat, kennt die Preise“ habe ich damals notiert. Kaffee bekam man besonders preisgünstig aus den Automaten, die in manchen Waschsalons standen, allerdings war die Qualität recht unterschiedlich. Ich wollte für ein kleines linkes Blatt einen Testbericht schreiben, die betreffende Rubrik, „Iß oder stirb“ hieß sie und war fast immer mit Vergnügen zu lesen, wurde jedoch, noch ehe ich das Material beisammen hatte, Opfer einer Redaktionsspaltung. In den Waschcentern konnte man im übrigen nicht nur Kaffee trinken und Wäsche waschen, sondern auch aushängende Annoncen lesen, im Briefkasten für Störungsmeldungen dem Personal kryptische Botschaften hinterlassen, in liegengebliebenen Zeitungen blättern oder einfach nur dem Tanz der Wäschestücke im Trockner zuschauen. Als Ort zwangloser Begegnung waren sie den Salons verwandt, wie wir sie aus den Romanen Balzacs und Dostojewskis kennen. Inzwischen sind sie fast alle verschwunden.
Zu zivilen Preisen gab es den Kaffee aber auch an manchen Backständen, bei Kaiser’s zum Beispiel – wo ist eigentlich die Tasse geblieben, die ich dort einmal geklaut habe? – und bei Spar am Hackeschen Markt: Ein großer Becher, ein Viertel Liter also, kostete dort eine Mark. Inzwischen haben sich die Preise oft mehr als verdoppelt. Das günstigste Angebot weit und breit findet sich meines Wissens beim – auch ansonsten empfehlenswerten – Imbißstop gleich neben dem einstigen Polizeipräsidium am Alex: Für achtzig Cent gibt es 0,2 Liter in guter Qualität. Ausgeschenkt wird natürlich – wie fast allerorts – in Pappbechern. Und da der Kaffee to go, auch Kaffee Togo genannt, immer beliebter wird, sind die Becher heute im Straßenbild so allgegenwärtig, wie es einst die Bierdosen waren, bis unter Kanzler Schröder das Dosenpfand eingeführt wurde. Wie man diese Kaffeebecherflut eindämmen könnte, weiß ich auch nicht.
Zu jeder Tageszeit mühelos zu haben ist der Kaffee zum Mitnehmen aber selbst in der Bundeshauptstadt nicht. Viele Backshops und Imbissstände öffnen sehr zeitig, machen in den ersten Morgenstunden und dann noch einmal unter Mittag ihren Umsatz und schließen schon am frühen Abend. Wenn sich danach Bedarf meldet, wird es schwierig. Denn eine Meile laufen möchte man für einen Kaffee auch nicht unbedingt. Hier habe ich eine Idee, die Abhilfe schaffen könnte: Es müsste öffentliche Kaffee- oder besser noch Imbissautomaten geben. Insbesondere der Verkauf von Bockwurst und Kaffee ließe sich auf zeitgemäße Weise kombinieren: Die Bockwürste schwimmen in solch einem Automaten ja nicht ständig in einer heißen Brühe, sondern werden einzeln erhitzt. Und das Wasser, das man dafür braucht, könnte man – energiesparend – gleich für den nächsten Kaffee verwenden. Ob man es vorher aus Geschmacksgründen filtern sollte, muss man sehen. Noch besser wäre es natürlich, man verwendet obendrein Mehrweggeschirr. Vielleicht sehr hässliches, damit nicht so viel davon geklaut wird? Auch das müsste man probieren. Auf alle Fälle liegt die Sache als „Öko-Imbiss“ voll im Trend.
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