In der Grafikstiftung Neo Rauch in Aschersleben präsentiert die aktuelle Jahresausstellung Neues vom Leipziger Malerstar sowie von Hartwig Ebersbach und Stefan Guggisberg.
An Aschersleben fährt schnell vorbei, wer von Osten Richtung Harz will. Nach Quedlinburg, Wernigerode oder direkt auf den Brocken zu. Doch ein Abstecher lohnt sich. Wegen der Stadt. Und wegen Neo Rauch. Mit heute 30.000 Einwohnern rühmt man sich dort gerne damit, die älteste Stadt in Sachsen-Anhalt zu sein. Die schöne Altstadt für den zweiten Blick und die intakte Stadtmauer drumherum belegen das. Seit 2012 gehört die Grafikstiftung Neo Rauch zu den Pluspunkten der Stadt. Sie befindet sich in einem schicken Stück architektonischer Moderne im herausgeputzten Areal der ehemaligen Papierwarenfabrik Bestehorn. Samt der wie ein Juwel restaurierten Unternehmervilla gleich nebenan.
Die Stiftung wird vom namensgebenden Künstler immer mit einem Exemplar seiner neu entstandenen Grafiken versorgt und stemmt obendrein jedes Jahr eine thematische Ausstellung. Der 1960 geborene, zum international bekannten Star der sogenannten Neuen Leipziger Schule aufgestiegene Maler ist bei seinen Großeltern in Aschersleben aufgewachsen, nachdem seine Eltern – selbst noch blutjung – verunglückt waren.
Im Ort seiner Kindheit nutzt Neo Rauch jetzt mit seiner Stiftung auch die Chance, immer wieder Nachdenkliches und sich selbst Reflektierendes zu zelebrieren. Hier hat er schon Arbeiten seines Vaters gezeigt oder eigene mit denen von künstlerischen Weggefährten präsentiert. Zuletzt erweiterte er mit einer schönen Ausstellung mit frühen Arbeiten auf Papier seinen gültigen Werkekanon gleichsam um ein paar Jahre in die Vergangenheit.
Das Bedürfnis einer eigenen Verortung mag auch für die aktuelle, bereits zehnte Jahresausstellung ein Motiv gewesen sein. Diesmal ist es eine Gemeinschaftsausstellung mit dem 1940 in Zwickau geborenen väterlichen Malerfreund Hartwig Ebersbach und seinem 1980 in der Schweiz geborenen einstigen Meisterschüler Stefan Guggisberg. Da Rauch selbst 1960 geboren wurde, liefern die Geburtsjahrgänge der beiden Kollegen mit ihren jeweils 20 Jahren Abstand zum eigenen gleich auch die Vorlage für den Titel „Vorder-Mittel-Hintergrund“. So ungefähr jedenfalls. Eine sozusagen räumliche Verbindung zwischen den drei Künstlern ergibt sich aus ihrer Ausbildung, respektive ihrem Wirken an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Rauch war von 2005 bis 2014 erst als Professor für Malerei und dann als Honorarprofessor an der Hochschule tätig. Ebersbach hat von 1959 bis 1964 dort studiert. Guggisberg war von 2010 bis 2012 Meisterschüler von Neo Rauch, nachdem er von 2005 bis 2009 in den Klassen von Christopher Muller, Neo Rauch und Timm Rautert Fotografie und Malerei studiert hatte.
Der Reiz dieses aktuellen Treffens der Generationen liegt in der Unterschiedlichkeit der Bildsprachen und im Beharren der Künstler verschiedener Generationen auf ihrem jeweils individuellen Weg sowie im Bestreben, unbewusst Rumorendes sichtbar zu machen und in Form und Farbe zu übersetzten.
Der erste Teil der kleinen, aber feinen Ausstellung ist dem in Thun geborenen Guggisberg gewidmet. Neo Rauch hatte seinerzeit verblüfft, dass der junge Schweizer in seinen Leipziger Studienjahren von der Fotografie zur Malerei wechseln wollte und als Meisterschüler zu ihm kam. Wenn er jetzt mit Farbe (und Radiergummi) arbeitet, kann es sowohl sehr kleinformatig und kleinteilig verspielt werden. Aber auch großformatig wie bei „Sphäre“ (2021), einer 240 mal 170 Zentimeter großen Ölarbeit auf Papier. Das Bild zeigt eine Struktur, die an erstarrte Lava erinnert. Verblüffend sind die Großformate, die als iPad-Zeichnungen entstanden sind und die jetzt in Aschersleben als Pigmentdruck im Format 150 mal 225 hinter Glas präsentiert werden. Erahnbar sind darauf Gestalten im Profil aus einem diffusen Grau. Sie könne aber genauso gut drin verschwinden.
Der hintere Teil der Ausstellung ist dem Zwickauer Altmeister Hartwig Ebersbach vorbehalten. Der für seine expressiv, „mehr abstrakten“, meist mit dickem Farbauftrag gestalteten Bilder bekannte ist hier einmal mit zwei Hochformaten vertreten, die für Glasfenster gedacht waren. Von diesen geradezu explodierenden Farben kann man sich gut vorstellen, wie sie im Schein der Sonne lodern. Daneben präsentiert Ebersbach zwei jeweils sechs Meter lange und 70 Zentimeter hohe Leporellos aus jeweils zwölf Aquarellen, die wie ein Fries an die Wände geheftet sind. Einer heißt „Sonnenaufgang“, der andere „Der Zorn Gottes“ – beide beeindrucken durch ihre wilde Farbigkeit.
Der Mittelteil der Ausstellung zeigt eine Serie von neueren kleinformatigen Arbeiten Neo Rauchs. Der Schöpfer selbst nennt die farbintensiven Skizzen mit Leuchtstift einen „Beifang“, der bei seinen größeren Arbeiten anfällt. Daneben finden sich auch zwei größere Arbeiten, in deren Motiven sich Neo Rauch selbst zitiert. Es sind figurenreiche Ölarbeiten mit den ebenso rätselhaften wie erklärenden Titeln „Frei“ und „Somon“.
Das Erstaunliche an dieser Dreier-Ausstellung bleibt, zu welch unterschiedlichen Ergebnissen bei diesen Künstlern die Suche nach den Bildern in ihren Träumen und vielleicht auch Alpträumen führen kann.
„Vorder-Mittel-Hintergrund Hartwig Ebersbach – Stefan Guggisberg – Neo Rauch“ in der Grafikstiftung Neo Rauch, Aschersleben, ist bis zum 20. März 2022 zu sehen. Geöffnet bis Oktober mittwochs bis sonntags, 11:00 bis 17:00 Uhr; ab November mittwochs bis sonntags, 10:00 bis 16:00 Uhr.
Schlagwörter: Joachim Lange, Neo Rauch