Wie so oft im Laufe der Zeit haben sich auch bei der Schlacht in Groß Stresow auf Rügen die Grenzen zwischen Realität und Legende verschoben. Das 1318 erstmals erwähnte Groß Stresow (entweder vom Slawischen für „Wache“ oder vom Familiennamen „Strez“ abgeleitet), auf halbem Weg zwischen Putbus und Sellin, liegt unmittelbar an der Stresower Bucht, die wiederum Teil des Greifswalder Boddens ist. Im November 1715 war der Ort Schauplatz einer Schlacht im Großen Nordischen Krieg, bei dem es unter anderem Polen/Sachsen und Dänemark (später auch Brandenburg/Preußen und Hannover/England) darum ging, die Vorherrschaft Schwedens im Ostseeraum zu brechen.
Die Hintergründe der Schlacht bei Groß Stresow reichen zurück bis in 1520er Jahre, als auf dem Reichstag zu Worms (1521), respektive im Erbvertrag von Grimnitz (1524) der Erbanspruch Brandenburgs auf Pommern einschließlich Rügen im Falle des Aussterbens der Herzöge von Pommern-Wolgast („Greifen“) festgeschrieben worden war. 1637 trat der Fall ein – mit dem Tod von Bogislaw XIV. starben die „Greifen“ aus, Rügen wäre nun an Brandenburg gefallen.
1634 war jedoch Schwedenkönig Gustav II. Adolph im Rahmen des Dreißigjährigen Krieges auf Rügen gelandet und hatte während seines Deutschlandfeldzuges die kaiserlich-wallensteinischen Truppen besiegt. Im Frieden von Osnabrück, häufig als „schwedischer Teil“ des Westfälischen Friedens bezeichnet, fiel Rügen an Schweden. Der Dreißigjährige Krieg machte den erwähnten Erbvertrag und damit den Anspruch Brandenburgs auf Rügen folglich zu Makulatur, die Schweden rückten die Insel nicht heraus.
Das wollte Brandenburg auf Dauer nicht akzeptieren. So landete schließlich am 15. November 1715 der „Alte Dessauer“, Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau, überraschend und mit dänischer Unterstützung durch Admiral Christian Thomessen Sehestedt in der Stresower Bucht und ließ in aller Eile Verschanzungen, tiefe Gräben und spanische Reiter rund um Groß Stresow anlegen. Die Landung soll durch einen einheimischen Fischer unterstützt worden sein. In der Sage „Der Landesverräter“, aufgeschrieben unter anderem von Fritz Worm (Rügensche Volksbücherei, Bergen 1910), wird erzählt, ein Johann Meusling, ursprünglich ein Fischer, habe sich an Bord eines der dänischen Schiffe befunden und angeboten, die Flotte in der Stresower Bucht „dicht unter Land“ zu bringen. Bedingung sei, dass sein Haus, ein 1700 errichteter Katen, verschont werde. Damit das Haus zu erkennen sei, wolle er ein weißes Laken auf das Dach legen. Nachdem Meusling erkundet hatte, dass sich in der Umgebung nur eine kleine schwedische Strandwache befand, kehrte er zurück, um das erste Schiff der dänischen Flotte in die Bucht zu geleiten.
Meusling soll als Dank vom Dänenkönig Friedrich IV. eine Bauernwirtschaft in Dänemark und eine kleine Pension erhalten haben. Gleichwohl ließ der Monarch über der Haustür Meuslings die Inschrift „Hier wohnt Meusling, der Landesverräter!“ anbringen. Das Beispiel sollte wohl nicht Schule machen. Als Meusling gestorben war, sollen die Dänen den Leichnam ins Meer geworfen haben. K. Schneider schrieb in seinem 1823 erschienenen „Reisegesellschafter“ voller patriotischer Empörung: „Noch steht das Haus, wo der Mann wohnte, noch leben dessen Nachkommen im Dorfe, er selbst entfloh; auch weiß man dort noch genau die Stelle anzugeben, die der Verräther dem Feinde zum Landungsplatz bezeichnete.“. Das noch heute legendenumwobene „Verräterhaus“ wurde 1968 durch einen Sturm zerstört und später abgerissen, einen Nachbau konnte eine Interessengemeinschaft 2013 einweihen.
Wie verlief die Schlacht?
Die auf dem Landweg herangeeilten Schweden unter Karl XII., die eine Landung bei Altkamp oder auf der Halbinsel Zudar vor Palmer Ort vermutet und dort Truppen konzentriert hatten, sollen sich im Morgengrauen hinter einem Hügel in Nadelitz versammelt haben.
In einem 1886 erschienenen Reiseführer heißt es, beim Hof Nadelitz führe ein schmaler Fußsteig „hier rechts auf’s Feld zu einem […] Steine, der an Karl XII. Aufenthalt 1715 erinnert“. Vermutlich meinte der Verfasser den so genannten „Frühstücksstein“, an dem Karl seine Generäle vor der Schlacht zum Frühstück gebeten haben soll. Heute ist der teilweise zugewachsene Stein nur mit Ortskenntnis zu finden.
Am 16. November erfolgte morgens der Angriff der Schweden, der nur etwa ein bis zwei Stunden dauerte. Zwei der Generäle des Schwedenkönigs fielen, zwei weitere hohe Militärs wurden schwer verwundet. Der König – selbst gleichfalls verwundet –, konnte nur mühsam mit Hilfe des Grafen Stanislav Poniatowski fliehen und musste sich mit dem Rest seiner Truppen zunächst auf die Schanze bei Altefähr und schließlich nach Stralsund zurückziehen. Bei den Preußen waren unter anderem ein Oberst gefallen und ein Generalmajor schwer verwundet worden, die Dänen verloren von den höheren Rängen einen Bataillons- und zwei Regimentskommandeure, zwei weitere hohe Militärs erlitten ernste Verwundungen. Die Verluste unter den Schützen, Reitern und Kanonieren waren natürlich wesentlich höher, die Angaben dazu differieren. Der preußische Oberst Heinrich Jordan von Wuthenau, Teilnehmer der Schlacht, vermerkte in seinem Tagebuch auf schwedischer Seite an Verlusten „ungefähr 400 Mann & über 100 Pferde, darunter das des Königs mit einem Kanonenschuß durch den Hals“. Über die eigenen, das heißt dänisch-sächsisch-preußischen Verluste, vermerkte von Wuthenau nichts. Laut Wikipedia hatten die Dänen, die in dem Infanteriegefecht die Hauptlast zu tragen hatten, 93 Soldaten als Tote oder Verwundete zu beklagen, die Sachsen zählten im Kavalleriegefecht 36 Tote und Verwundete, die Preußen 49.
Zur Erinnerung an diesen Sieg ließ Friedrich Wilhelm IV. 1855 eine Säule samt steinernem „Soldatenkönig“ mit Schwert und Kommandostab errichten. Die Anregung zur Erinnerung an die Schlacht war 1846 von Kurd Wolfgang Wilhelm Gustav von Schöning, preußischer Generalmajor und Militärliterat, ausgegangen, den Platz für die Säule soll Friedrich Wilhelm IV. am 18. August 1852 in Begleitung des Fürsten Malte von Putbus selbst ausgesucht haben. Das entsprechende Gelände, wahrscheinlich einst Standort eines Hünengrabes, schenkte Fürst Malte dem König. Auf der Säule ist zu lesen: „Friedrich Wilhelm I Koenig von Preussen landete hier mit Friedrich IV Koenig von Daenemark am XVI November MDCCXV und erkaempfte den Frieden“. Zusammen mit der zweiten „Preußensäule“ (Schlacht bei Neukamp 1678) ließ sich Stifter Friedrich Wilhelm IV. die Erinnerung 6.815 Reichstaler kosten.
Sechs Säulentrommeln und Teile der Postamente beider Säulen stammen aus dem großen Findling bei Nardevitz, der trotzdem noch zweitgrößter Findling auf Rügen ist. Da sich ein Teil des Trumms im Erdreich befindet, fallen die Schätzungen seiner Größe unterschiedlich aus: Sein Volumen wurde 2005 vom Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie Mecklenburg-Vorpommerns auf 120 Kubikmeter geschätzt (das entspräche etwa einer Masse von 325 Tonnen), die meisten Veröffentlichungen gehen jedoch von 104 Kubikmeter (oberirdisch 71 Kubikmeter) Volumen und einer Masse von 281 Tonnen aus. Zu finden ist der ursprünglich vielleicht dreimal so große Findling auf einem Feld bei Nardevitz, umgeben von Bäumen und Gebüsch.
1991 wurde die Groß Stresower Säule wegen gefährdeter Standsicherheit abgebaut, Anfang April 2014 teilrestauriert wieder aufgestellt und im November 2015 durch eine von der Dresdner Firma Schubert hergestellte Kopie der Statue von Friedrich Wilhelm I. gekrönt. Das beschädigte Original steht neben dem Nachbau des „Verräterhauses“.
Und das Ende der Geschichte? Außer Spesen nichts gewesen: Im Juli 1720 wurden die Friedensverhandlungen zwischen Dänemark und Schweden mit dem Frieden von Frederiksborg abgeschlossen, Rügen kam erneut an Schweden.
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